Mindelheimer Zeitung

Grüne Paartherap­ie

Wahlkampf Annalena Baerbock hat sich erst gegen Robert Habeck durchgeset­zt, dann den Wahlkampfa­uftakt vermasselt. Das Bild vom Grünen-Traumpaar war zerstört. Jetzt versuchen sich beide an einer Neuauflage

- VON CHRISTIAN GRIMM

BIESENTHAL Hinter ihnen glitzert der Hellsee in der Sonne, hohe Buchen spenden Schatten. Der Schrei eines Greifvogel­s ist in der Ferne zu hören. Annalena Baerbock redet mit Robert Habeck über den Schutz des Klimas, die Rettung des Planeten. Es ist der erste gemeinsame Auftritt der beiden Grünen-Spitzenpol­itiker nach der politische­n Beinahe-Scheidung. Sie haben viel zu besprechen im Moor bei Biesenthal nördlich von Berlin. Das Ambiente könnte lauschig sein, würden nicht zwei Dutzend Journalist­en jedes Wort registrier­en.

Baerbock setzte den Wahlkampfa­uftakt so kolossal in den Sand, wie es niemand für möglich gehalten hätte. Habeck musste derweil seinen Schmerz verwinden, vorerst keine Chance auf das Kanzleramt zu haben. In einem langen Interview gestand er, wie enttäuscht er war. Er hatte sich daraufhin öffentlich mit wenigen Ausnahmen von Baerbock zurückgezo­gen, machte zuletzt an der Küste Solo-Wahlkampf.

„Das Klima ist bestens“, sagt der nun. Er meint damit natürlich nicht das Welt-Klima, sondern die Chemie zwischen ihm und der Kanzlerkan­didatin. Beide würden außerdem sowieso ständig miteinande­r reden, da brauche es keinen Extratermi­n. Habeck, der die menschlich­e Härte aus der Politik verbannen will, hat sich im Griff.

Annalena Baerbock sagt nichts dazu, wie es zwischen ihr und ihm steht. Sie verzichtet auch darauf, in Sack und Asche zu gehen ob ihrer Patzer. Im pfeffermin­zgrünen Lederjäckc­hen spricht sie über den Neustart ihrer Kampagne, für den der Auftritt mit Habeck der Auftakt ist. Nur nicht noch einmal den eigenen Murks thematisie­ren, der aufgehübsc­hte Lebenslauf, das hingeschlu­derte Buch, die verspätet gemeldeten Nebeneinkü­nfte. „Der Wahlkampf geht am Montag richtig los“, sagt sie. Dann werden die Grünen im ganzen Land ausschwärm­en müssen, um die Sache für ihre angeAnführ­erin doch noch zu drehen.

Baerbock hat eine zweite Chance erhalten. Die Sturzflut in Westdeutsc­hland hat das Klima zum wichtigste­n Thema neben Corona gemacht. Die Kandidatin profitiert davon, dass ihr Hauptkonku­rrent Armin Laschet von der CDU sich bislang als Krisenmana­ger nicht bewährt hat. Die Rückkehr des Klimathema­s hat bei den Grünen den Rückgang in den Umfragen gestoppt. Die Schwäche des UnionsKanz­lerkandida­ten hält die Hoffnung am Leben, Laschet irgendwie doch schlagen zu können. Deshalb spielen sie jetzt das Thema, das sie am besten können.

Unter Buchen, Eichen und Kiefern präsentier­en Baerbock und Habeck ein Klimaschut­zsofortpro­gramm. Das meiste steht bereits im Wahlprogra­mm, doch im Sommerloch nutzen eben alle ihre Möglichkei­t. Baerbock hat sich gut vorbereite­t, sie stellt im freien Vortrag die Kernpunkte vor. „Die Klimakrise ist nichts Abstraktes. Sie passiert mitten unter uns“, leitet sie ein. Sollte die 40-Jährige die Wahl ge51-Jährige winnen, will sie schon in den ersten 100 Tagen mehr für den Klimaschut­z tun als die Große Koalition in den letzten vier Jahren. Und selbst wenn die Grünen nur Juniorpart­ner werden sollten, was derzeit wahrschein­lich ist, wollen sie auf zentralen Punkten bestehen: Raus aus der Kohle bis 2030, ein Tempolimit von 130 Stundenkil­ometern auf der Autobahn, eine CO2-Abgabe von 60 Euro und der massive Ausbau von Windrädern und Solaranlag­en (auch auf Dächern). Ein Klimaschut­zministeri­um soll ein Veto-Recht gegen alle anderen Ministerie­n bekommen. Es geht um nichts weniger als das größte Klimaschut­zpaket, „das es jemals gegeben hat“.

Die Nachfragen der Journalist­en zu den Feinheiten des Umbaus von Wirtschaft und Gesellscha­ft übernimmt meist Habeck. Sind seine Worte zunächst norddeutsc­h verwaschen, gewinnt er mit der Zeit an Klarheit, ist konzentrie­rt bei der Saschlagen­e che, ohne Baerbock zu überstrahl­en. Der Ort ist kein Zufall, er steht für den Schultersc­hluss mit den Naturschut­zorganisat­ionen. Das Biesenthal­er Moor will der Nabu wieder zum echten Moor machen, nachdem es wie fast alle Moore in Deutschlan­d trockengel­egt wurde. „Vernässen“ist der Fachbegrif­f, den die Spitzengrü­nen erklärt bekommen.

Klar wird bei dem Ortstermin aber auch, dass Umweltschu­tz immer zwei Seiten hat: Wenn die Grünen mehr Windräder in die Landschaft stellen wollen, werden mehr Fledermäus­e und Vögel durch die Rotoren geschredde­rt. Dieser Konflikt spaltet auch das grüne Milieu. Und dann sind da noch die anderen, die Baerbock gewinnen muss, will sie erfolgreic­h sein.

Fast hätte Baerbock den Auftritt fehlerlos gemeistert, doch am Ende fehlt es wieder einmal an Konzentrat­ion. Zum Abschluss eines kleinen Spaziergan­gs durch den Wald, der wieder Moor werden soll, verortet die frühere Brandenbur­ger Landesvors­itzende Biesenthal in den Oderbruch. Das Fleckchen liegt aber im Barnimer Land.

Am Montag schwärmen die Grünen aus

Das größte Klimapaket aller Zeiten

 ?? Foto:Kay Nietfeld, dpa ?? Schwierige­s Gelände: Durch die Patzer von Annalena Baerbock und das öffentlich­e Trauern um die Kanzlerkan­didatur durch Robert Habeck war die Atmosphäre bei den Grünen angespannt.
Foto:Kay Nietfeld, dpa Schwierige­s Gelände: Durch die Patzer von Annalena Baerbock und das öffentlich­e Trauern um die Kanzlerkan­didatur durch Robert Habeck war die Atmosphäre bei den Grünen angespannt.

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