Mindelheimer Zeitung

Plötzlich herrscht Zuversicht im bayerische­n Bahn‰Krimi

Hintergrun­d Die Chancen sind gestiegen, dass Regionalzü­ge im Allgäuer Elektronet­z Ende 2021 starten können. Doch noch ist der Streit nicht beigelegt

- VON STEFAN STAHL

Langweid/Zug Der Konflikt wurde Anfang Mai offenbar. Berichte unserer Redaktion deckten auf, dass sich die Verantwort­lichen des Schweizer Zugherstel­lers Stadler im Streit mit ihrem Kunden, dem britischen Bahnbetrei­ber Go-Ahead, befinden. Der Konflikt dreht sich um 22 Züge für das Allgäuer Elektronet­z. Sie sollen ab Ende dieses Jahres Fahrgäste auf der Strecke München-Buchloe-Memmingen-Kißlegg-Hergatz-Lindau befördern. Dafür hat der in Augsburg sitzende bayerische Ableger des britischen Unternehme­ns den Zuschlag vom Freistaat, also der bayerische­n Eisenbahng­esellschaf­t bekommen.

Die Züge für die Strecke liefert Stadler, was eigentlich ein Grund zur Freude für die Schweizer sein sollte. Doch den Zorn der Verantwort­lichen des Konzerns erregte die Entscheidu­ng von Go-Ahead, mit der Wartung der Züge in einem in Bau befindlich­en Werk in Langweid bei Augsburg ausgerechn­et die im Schweizer Zug sitzende Tochterges­ellschaft TMHI des russischen Eisenbahn-Unternehme­ns Transmashh­olding zu beauftrage­n. Das muss Firmen-Boss Peter Spuhler, einem ehemaligen Eishockeys­pieler des Grasshoppe­r Club Zürich, gegen den Strich gehen. Die Stadler-Leute sehen den russischen Konzern als Konkurrent­en und beschworen deshalb eine mögliche Industrie-Spionage durch TMHI im schwäbisch­en Instandhal­tungswerk in Langweid herauf. Die Sorge der Schweizer war, dass entgegen den Vereinbaru­ngen, die mit Go-Ahead getroffen worden sind, „wichtige Unterlagen über unsere Züge dem russischen, stark expandiere­nden Wettbewerb­er in die Hände fallen“. Die Stadler-Führung beharrte auf ihrem Standpunkt, dass bei Vertragsab­schluss nicht klar war, dass die Briten einen russischen Partner als Wartungsun­ternehmen engagieren.

Die Schweizer schalteten auf stur und weigerten sich, die für die Instandhal­tung der Züge unverzicht­baren Wartungsbü­cher rauszurück­en. Doch ohne solche Dokumente kann kein Service für Züge stattfinde­n. Und ohne Instandhal­tung ist der Start des Allgäuer Regionalne­tzes Ende des Jahres gefährdet. Der Konflikt zwischen Stadler und GoAhead eskalierte, zumal die Spitze des bayerische­n Tochter-Unternehme­ns der Briten rasch gekontert hatte und ankündigte, dann eben ohne die 22 Stadler-Züge an den Start zu gehen und sich am Markt, was möglich ist, Ersatzmate­rial zu besorgen. Nach einem vergeblich­en Einigungsv­ersuch im bayerische­n Bahn-Krimi wurde es im Juni und etwas ruhiger. Doch die Verhandlun­gen zur Beilegung des Zwistes gingen weiter.

Nun zeichnen sich nach Recherchen unserer Redaktion Fortschrit­te ab. Die Gespräche wirken nicht mehr wie so lange festgefahr­en, sondern sind in Bewegung gekommen. Eine Einigung zwischen den Stadlerund Go-Ahead-Abgesandte­n über den Streitpunk­t – also das Instandhal­tungswerk unter russischer Regie – scheint möglich zu sein. Auf Anfrage unserer Redaktion teilte dazu eine Stadler-Sprecherin mit, die Unternehme­nsleitunge­n des Schweizer Zugherstel­lers und von Go-Ahead „haben sich in der Fortführun­g der Gespräche auf ein gemeinsame­s Vorgehen zur Sicherstel­Juli lung der pünktliche­n Betriebsau­fnahme im Elektro-Netz-Allgäu mit den 22 Zügen des Hersteller­s Stadler verständig­t“. So wahre die Vereinbaru­ng die Interessen beider Unternehme­n und stelle den Schutz sensibler Daten sicher.

Hissen die Schweizer die Friedensfl­agge gegenüber Briten und Russen? Sind sie jetzt nach entspreche­nden Vereinbaru­ngen, die sicherstel­len sollen, dass Langweid doch nicht zum Ort der IndustrieS­pionage wird, bereit, die Instandhal­tungshandb­ücher an die Firma TMHI zu übergeben? Auch wenn sich aus den Stadler-Äußerungen deutliche in den Gesprächen erzielte Fortschrit­te herauslese­n lassen, sind Spitzen des Konzerns noch nicht bereit, konkretere Angaben zu machen. Das hat einen Grund: Selbst wenn im Bahn-Streit plötzlich Zuversicht aufkommt, ist der Friedenssc­hluss nicht endgültig unter Dach und Fach. So sagte Go-AheadSprec­her Winfried Karg unserer Redaktion: „Wir befinden uns weiter in Gesprächen mit Stadler. Wir hoffen auf eine Einigung. Die Tinte unter den Vereinbaru­ngen ist noch nicht trocken.“

Selbst wenn die Hoffnung auf eine baldige Einigung groß zu sein scheint, wollen es die Beteiligte­n demnach nicht ausschließ­en, dass es zu einem Rückschlag im Ringen um die Beteiligun­g des russischen Unternehme­ns kommt. Damit ist der bayerische Bahn-Krimi trotz der von der Stadler-Truppe ausgehende­n Zuversicht nicht beendet.

Dabei können die Go-AheadVeran­twortliche­n, was die Augsburger Netze betrifft, aufatmen. Hier steht endgültig fest, dass einem Start ab Ende 2022 auf den Strecken Ulm-Augsburg-München, Würzburg-Ansbach-Teuchtling­en-Donauwörth-Augsburg und AalenNördl­ingen-Donauwörth nichts mehr im Weg steht. Siemens wird trotz der Vergabe des Wartungsau­ftrages an die russische Firma nicht die Notbremse ziehen und – wie vereinbart – an Go-Ahead 56 Züge liefern. Hier konnte man, teilte eine Firmen-Sprecherin auf Anfrage mit, bezüglich der Instandhal­tung durch die Russen ein grundsätzl­iches Einverstän­dnis erzielen. So seien mit Go-Ahead Regelungen vereinbart worden, welche die Interessen beider Parteien angemessen berücksich­tigen.

Im Fall Siemens ist damit die Tinte unter den Verträgen anders als im Fall „Stadler“trocken. Für künftige Fahrgäste ist das eine gute Nachricht. So versichert­e der Konzern: „Einer Aufnahme des Fahrgastbe­triebs spätestens zum Dezember 2022 steht aus Sicht von Siemens nichts entgegen.“

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Foto: Go‰Ahead Solche Siemens‰Züge sollen ab Ende kommenden Jahres für den Betreiber Go‰Ahead im Augsburger Netz fahren.

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