Plötzlich herrscht Zuversicht im bayerischen BahnKrimi
Hintergrund Die Chancen sind gestiegen, dass Regionalzüge im Allgäuer Elektronetz Ende 2021 starten können. Doch noch ist der Streit nicht beigelegt
Langweid/Zug Der Konflikt wurde Anfang Mai offenbar. Berichte unserer Redaktion deckten auf, dass sich die Verantwortlichen des Schweizer Zugherstellers Stadler im Streit mit ihrem Kunden, dem britischen Bahnbetreiber Go-Ahead, befinden. Der Konflikt dreht sich um 22 Züge für das Allgäuer Elektronetz. Sie sollen ab Ende dieses Jahres Fahrgäste auf der Strecke München-Buchloe-Memmingen-Kißlegg-Hergatz-Lindau befördern. Dafür hat der in Augsburg sitzende bayerische Ableger des britischen Unternehmens den Zuschlag vom Freistaat, also der bayerischen Eisenbahngesellschaft bekommen.
Die Züge für die Strecke liefert Stadler, was eigentlich ein Grund zur Freude für die Schweizer sein sollte. Doch den Zorn der Verantwortlichen des Konzerns erregte die Entscheidung von Go-Ahead, mit der Wartung der Züge in einem in Bau befindlichen Werk in Langweid bei Augsburg ausgerechnet die im Schweizer Zug sitzende Tochtergesellschaft TMHI des russischen Eisenbahn-Unternehmens Transmashholding zu beauftragen. Das muss Firmen-Boss Peter Spuhler, einem ehemaligen Eishockeyspieler des Grasshopper Club Zürich, gegen den Strich gehen. Die Stadler-Leute sehen den russischen Konzern als Konkurrenten und beschworen deshalb eine mögliche Industrie-Spionage durch TMHI im schwäbischen Instandhaltungswerk in Langweid herauf. Die Sorge der Schweizer war, dass entgegen den Vereinbarungen, die mit Go-Ahead getroffen worden sind, „wichtige Unterlagen über unsere Züge dem russischen, stark expandierenden Wettbewerber in die Hände fallen“. Die Stadler-Führung beharrte auf ihrem Standpunkt, dass bei Vertragsabschluss nicht klar war, dass die Briten einen russischen Partner als Wartungsunternehmen engagieren.
Die Schweizer schalteten auf stur und weigerten sich, die für die Instandhaltung der Züge unverzichtbaren Wartungsbücher rauszurücken. Doch ohne solche Dokumente kann kein Service für Züge stattfinden. Und ohne Instandhaltung ist der Start des Allgäuer Regionalnetzes Ende des Jahres gefährdet. Der Konflikt zwischen Stadler und GoAhead eskalierte, zumal die Spitze des bayerischen Tochter-Unternehmens der Briten rasch gekontert hatte und ankündigte, dann eben ohne die 22 Stadler-Züge an den Start zu gehen und sich am Markt, was möglich ist, Ersatzmaterial zu besorgen. Nach einem vergeblichen Einigungsversuch im bayerischen Bahn-Krimi wurde es im Juni und etwas ruhiger. Doch die Verhandlungen zur Beilegung des Zwistes gingen weiter.
Nun zeichnen sich nach Recherchen unserer Redaktion Fortschritte ab. Die Gespräche wirken nicht mehr wie so lange festgefahren, sondern sind in Bewegung gekommen. Eine Einigung zwischen den Stadlerund Go-Ahead-Abgesandten über den Streitpunkt – also das Instandhaltungswerk unter russischer Regie – scheint möglich zu sein. Auf Anfrage unserer Redaktion teilte dazu eine Stadler-Sprecherin mit, die Unternehmensleitungen des Schweizer Zugherstellers und von Go-Ahead „haben sich in der Fortführung der Gespräche auf ein gemeinsames Vorgehen zur SicherstelJuli lung der pünktlichen Betriebsaufnahme im Elektro-Netz-Allgäu mit den 22 Zügen des Herstellers Stadler verständigt“. So wahre die Vereinbarung die Interessen beider Unternehmen und stelle den Schutz sensibler Daten sicher.
Hissen die Schweizer die Friedensflagge gegenüber Briten und Russen? Sind sie jetzt nach entsprechenden Vereinbarungen, die sicherstellen sollen, dass Langweid doch nicht zum Ort der IndustrieSpionage wird, bereit, die Instandhaltungshandbücher an die Firma TMHI zu übergeben? Auch wenn sich aus den Stadler-Äußerungen deutliche in den Gesprächen erzielte Fortschritte herauslesen lassen, sind Spitzen des Konzerns noch nicht bereit, konkretere Angaben zu machen. Das hat einen Grund: Selbst wenn im Bahn-Streit plötzlich Zuversicht aufkommt, ist der Friedensschluss nicht endgültig unter Dach und Fach. So sagte Go-AheadSprecher Winfried Karg unserer Redaktion: „Wir befinden uns weiter in Gesprächen mit Stadler. Wir hoffen auf eine Einigung. Die Tinte unter den Vereinbarungen ist noch nicht trocken.“
Selbst wenn die Hoffnung auf eine baldige Einigung groß zu sein scheint, wollen es die Beteiligten demnach nicht ausschließen, dass es zu einem Rückschlag im Ringen um die Beteiligung des russischen Unternehmens kommt. Damit ist der bayerische Bahn-Krimi trotz der von der Stadler-Truppe ausgehenden Zuversicht nicht beendet.
Dabei können die Go-AheadVerantwortlichen, was die Augsburger Netze betrifft, aufatmen. Hier steht endgültig fest, dass einem Start ab Ende 2022 auf den Strecken Ulm-Augsburg-München, Würzburg-Ansbach-Teuchtlingen-Donauwörth-Augsburg und AalenNördlingen-Donauwörth nichts mehr im Weg steht. Siemens wird trotz der Vergabe des Wartungsauftrages an die russische Firma nicht die Notbremse ziehen und – wie vereinbart – an Go-Ahead 56 Züge liefern. Hier konnte man, teilte eine Firmen-Sprecherin auf Anfrage mit, bezüglich der Instandhaltung durch die Russen ein grundsätzliches Einverständnis erzielen. So seien mit Go-Ahead Regelungen vereinbart worden, welche die Interessen beider Parteien angemessen berücksichtigen.
Im Fall Siemens ist damit die Tinte unter den Verträgen anders als im Fall „Stadler“trocken. Für künftige Fahrgäste ist das eine gute Nachricht. So versicherte der Konzern: „Einer Aufnahme des Fahrgastbetriebs spätestens zum Dezember 2022 steht aus Sicht von Siemens nichts entgegen.“