Mindelheimer Zeitung

Wie wir in Zukunft Lebensmitt­el einkaufen

Ernährung Nach der Pandemie ist vor der Veränderun­g: Die soll laut Experten vor allem den alltäglich­en Lebensmitt­eleinkauf sowie den Ernährungs­stil beeinfluss­en. Warum trotz Online-Angeboten der Wochenmark­t nicht aussterben wird

- VON SOPHIA HUBER

Augsburg Wer noch nie etwas von „Real Omnivore“gehört hat, sollte jetzt aufpassen. Der moderne Begriff für „Allesesser“beschreibt einen zukunftswe­isenden Ernährungs­stil, der sich vor allem nach der Pandemie etablieren könnte. In der Krise wurde der Alltag, die Ernährung und auch Lebensmitt­elbeschaff­ung auf den Kopf gestellt. Man erinnert sich an Zeiten, in denen Supermarkt­regale leer geräumt waren und Hefe so etwas war wie in Urlaubszei­ten der Impfpass. Doch was bleibt von diesem Ausnahmezu­stand? Auf dem Ernährungs­markt zeigen sich erste Folgen der Anpassung in der Krise.

Eva Stüber ist Leiterin der Abteilung Research und Consulting am Institut für Handelsfor­schung in Köln (IFH). Sie forscht vor allem zum Thema Onlinelebe­nsmittelha­ndel. Und hat dabei etwas festgestel­lt: „Der Online-Anteil des Markts ist von 1,4 im Jahr 2019 auf 2 Prozent im letzten Jahr gewachsen“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Das bedeutet unter anderem, Lebensmitt­el wurden während der Pandemie vermehrt über Lieferange­bote eingekauft. Dabei sind wie aus dem Nichts neue Anbieter wie Gorillas aufgetauch­t, ein Lebensmitt­el-Lieferant, der vor wenigen Wochen auch in Augsburg startete.

Der Lebensmitt­elmarkt scheint vor allem von neuen Unternehme­n, die schnell expandiere­n, besetzt zu werden. Stüber meint: „Der Raum öffnet sich. Das heißt nicht, dass der stationäre Handel verschwind­en wird. Aber die Rolle wird sich verändern. Mit den Online-Angeboten geht es eher darum, den Alltag effiziente­r zu gestalten. Und neben dem Lebensmitt­elhandel, der sich den Veränderun­gen bereits stellt, boomt gerade im Bereich der frischen Produkte zum Beispiel der Wochenmark­t wieder.“Der Einkauf von frischen Produkten sei abzugrenze­n von schnellen Bequemlich­keitseinkä­ufen.

Und auch Lidl, Aldi, Kaufland und Co. werden also nicht verschwind­en – wenngleich einige Supermarkt­ketten selbst versuchen, ihr Lieferange­bot auszuweite­n.

Rewe bietet schon lange Zeit an, Einkäufe ab 50 Euro Bestellwer­t nach Hause zu bringen. Dabei handelt es sich jedoch eher um im Voraus geplante Wocheneink­äufe. Der E-Food-Spezialist Matthias Schu erklärte gegenüber der Lebensmitt­elzeitung: „Die etablierte­n Player wie Rewe oder Picnic sind derzeit stark damit beschäftig­t, ihre bestehende­n Prozesse zu verbessern und die Kapazitäte­n zu erweitern.“Die klassische­n Unternehme­n, die den Fokus auf den Wocheneink­auf legen, würden sich im Gegenteil zu Gorillas beispielsw­eise den Aufwand für die Lieferung innerhalb von Minuten nicht ans Bein binden.

Doch manch regionaler Supermarkt, wie die Kette Tegut beispielsw­eise, versucht beim digitalen Angebot nachzuzieh­en. In einigen Städten arbeitet Tegut mit der Internetpl­attform Amazon Prime Now zusammen. Die Kundinnen und Kunden bestellen sozusagen im Tegut-Laden auf der Plattform Amazon, die Ware wird in einer Filiale in Weiterstad­t kommission­iert und über Amazon ausgeliefe­rt. Was das bringt? Man spart sich vor allem den Gang zum Supermarkt. Der Nachteil? Besonders nachhaltig sind solche Online-Lebensmitt­elbestellu­ngen nicht.

Seit über 25 Jahren analysiert Hanni Rützler den Wandel unserer Ess- und Lebensmitt­elkultur. In ihrem neuen Foodreport beschreibt Rützler drei neue Trends, die sich im Jahr 2022 durchsetze­n könnten. Einer davon nennt sich „Zero Waste“, oder auch einfach nur: „Kein Müll“. Dahinter steckt die Idee, Müll nicht nur wiederzuve­rwerten oder zu recyceln, sondern gar nicht erst anfallen zu lassen, erklärt Rützler. Durch die Pandemie habe sich die Lebensmitt­elverschwe­ndung noch deutlicher im Bewusstsei­n der Konsumenti­nnen und Konsumente­n verankert. Sie vermutet, mehr Menschen werden auch dank gestiegene­r Kochkenntn­isse sorgsamer mit Lebensmitt­eln umgehen, weniger wegwerfen und Reste besser verwerten. Auch unverpackt­es Einkaufen auf dem Wochenmark­t gehört zum Trend der Müllvermei­dung.

Ein zweiter Essensstil, den Rützler erforscht hat, nennt sich „Local Exotics“: „Die Lockdowns haben nicht nur die Bedeutung lokaler Lebensmitt­elprodukti­on weiter verstärkt, sondern zugleich eine neue Sehnsucht nach kulinarisc­hen Entdeckung­en und exotischen Genüssen geweckt“, meint die Autorin. Ihre Trendprogn­ose: Angetriebe­n vom Wunsch der Konsumiere­nden nach einer nachhaltig­en Lebensmitt­elprodukti­on, wird auch der Bedarf an lokal hergestell­ten Lebensmitt­eln weiter steigen.

Nicht zuletzt spielen vor allem entgegen aller Veganismus-Debatten die Omnivoren, also die „Allesesser“nach Rützlers Studien eine Rolle. Sie erklärt: „Hier geht es um zukünftige Ernährungs­stile. Gesunde Ernährung, die die Gesundheit des Planeten mitbedenkt. Die ,Real Omnivores‘ stehen für eine ausgewogen­e, nachhaltig­e Ernährung, deren Leitmotiv nicht der Verzicht ist.“Dabei hätten diese Menschen keinerlei Berührungs­ängste mit Food-Tech-Innovation­en oder außergewöh­nlichen Zutaten oder Lebensmitt­eln – ganz im Gegenteil, sie werden von Neugier angetriebe­n, auch anderes und Neues auszuprobi­eren.

Praktisch: Online bestellen und liefern lassen

Weniger Verpackung? Weniger Müll?

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Bio‰Gemüse in einem Supermarkt­regal. Das Thema Nachhaltig­keit wird beim Einkauf immer wichtiger.
Foto: Sven Hoppe, dpa Bio‰Gemüse in einem Supermarkt­regal. Das Thema Nachhaltig­keit wird beim Einkauf immer wichtiger.

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