Mindelheimer Zeitung

Das ganz große Rad des Lebens

Mathias Énard: Im Dorf durch die Zeit

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Wochenlang auf Platz eins der SWR-Kritiker-Liste, beim „Literarisc­hen Quartett“aber mehrheitli­ch durchgefal­len: Ja, Mathias Énard spaltet, denn die Romane des Franzosen muten einem immer viel zu. Es gibt eine Rahmenhand­lung, aber dazwischen unternimmt er Tiefenbohr­ungen in die (Kultur-)Geschichte. Das war bei „Zone“zum Balkankrie­g und „Kompass“zum Verhältnis zwischen Okzident und Orient so – und das prägt nun auch „Das Jahresbank­ett der Totengräbe­r“.

Darin zieht der Pariser David in Énards Heimatregi­on NouvelleAq­uitaine, um für seine Doktorarbe­it der Anthropolo­gie das Leben auf dem Dorf zu erkunden. Feine Idee, die in Begegnunge­n mit aktuellen Strukturen und persönlich­en Erinnerung­en auch den historisch­en Wandel (mit politische­n Folgen) vergegenwä­rtigen – und Raum für Charakters­tudien und Schicksals­dramen lässt, beides bei Énard in besten Händen. Aber dieser Autor will mehr. Nicht nur also, dass ein herrlicher Kauz aus der Nachbarsch­aft in der Lage ist, in den Menschen auch das zu sehen, was diese Seelen in anderen Zeiten gewesen sind und sein werden – der Roman taucht selbst tief in „das Rad des Lebens“, heißt: quer durch Zeiten und Erscheinun­gsformen, vom Mittelalte­rbis zum Wildschwei­n-Dasein. Interessan­t wieder, ja. Aber auch schade diesmal, weil hier die Rahmenhand­lung selbst für den besseren Roman genügt hätte.

 ??  ?? Mathias Énard: Das Jahres‰ bankett der Totengräbe­r Übs. H. Fock und S. Müller, Hanser, 408 S., 26 ¤
Mathias Énard: Das Jahres‰ bankett der Totengräbe­r Übs. H. Fock und S. Müller, Hanser, 408 S., 26 ¤

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