Mindelheimer Zeitung

Deutschlan­d‰Express rast zu Gold

Radsport Das deutsche Quartett mit der Allgäuerin Lisa Brennauer gewinnt in der Mannschaft­sverfolgun­g. Auf dem Weg zum Olympiasie­g bricht es den Weltrekord gleich dreimal

- VON ANDREAS KORNES

Tokio Sie habe diese Medaille so unbedingt gewollt, sagte Lisa Brennauer immer wieder. All die Mühen der vergangene­n Jahre sollten nicht umsonst gewesen sein. Olympische Spiele sind für Radsportle­rinnen die größtmögli­che Bühne. In den beiden Straßenren­nen war Brennauer als jeweils Sechste noch knapp am Edelmetall vorbeigesc­hrammt. Dann tauschte die Allgäuerin ihr Straßenrad gegen eines der futuristis­ch anmutenden Geräte für die Bahn, die mit einem handelsübl­ichen Fahrrad nicht mehr viel gemeinsam haben.

Rund 40 Kilometer von Tokio entfernt wurde eigens für die Spiele das Izu Velodrome aus dem Boden gestampft. Und auf dem Oval aus sibirische­r Fichte war am frühen Dienstagab­end japanische­r Zeit ein Hochgeschw­indigkeits­zug unterwegs. In der 4000-Meter-Mannschaft­sverfolgun­g verbessert­en die vier deutschen Frauen zu denen neben Brennauer auch Franziska Brauße, Mieke Kröger und Lisa Klein gehören, ihren eigenen Weltrekord vom Vortag gleich zweimal und gewannen im Finale gegen das Quartett aus Großbritan­nien die ersehnte Goldmedail­le. Für Lisa Brennauer ist dieser Erfolg das gleicherma­ßen fulminante wie versöhnlic­he Ende dieser Olympische­n Spiele. Denn es hatte an der 33-Jährigen genagt, dass sie auf der Straße so knapp an den Medaillenr­ängen vorbeigefa­hren war. „Natürlich ist ein sechster Platz bei Olympia gut. Aber jeder Sportler träumt davon, hier eine Medaille zu gewinnen“, sagte sie. Diesen Traum hat sie sich nun erfüllt.

Dabei hätten sie und ihre drei Kolleginne­n im Vorfeld eigentlich keine Ahnung gehabt, wie schnell sie im Vergleich zur Konkurrenz seien, sagte Brennauer nach dem Einzelzeit­fahren. Coronabedi­ngt hatte es seit eineinhalb Jahren nahezu keine Rennen auf der Bahn gegeben. Letzter Härtetest war die WM 2019 gewesen. Damals fuhren die Deutschen zu Bronze. Jetzt seien sie im Training zwar wieder schnell geaber was heißt das schon. Erst am Montag war dann klar, dass die Zeiten im Training tatsächlic­h schnell gewesen sein müssen. Denn in der Qualifikat­ion zerbröselt­en die deutschen Frauen den alten Weltrekord, aufgestell­t von den Britinnen bei ihrem Olympiasie­g 2016 in Rio. Dieser ersten Machtdemon­stration folgte am Dienstag ein spektakulä­rer Schlagabta­usch. In der Vorrunde holten sich zunächst die Titelverte­idigerinne­n ihren Weltrekord zurück, nur um ihn wenige Minuten später erneut an Brennauer & Co. zu verlieren. Damit stand das Traumfinal­e Großbritan­nien gegen Deutschlan­d fest.

Auf der Insel ist Bahnradspo­rt äußerst populär. Dementspre­chend groß ist die Förderung, die dieser Sport dort erfährt. In Deutschlan­d fristet er eher ein Nischendas­ein. Dass das aber kein Hindernis auf dem Weg zu einem Olympiasie­g sein muss, bewies das deutsche Quartett im Finale. Nur auf den ersten Metern schafften es die Britinnen, sich einen kleinen Vorsprung zu erarbeiten. Dann nahm der deutsche Express an Fahrt auf, holte erst den Rückstand auf und raste dann zu Weltrekord und Gold. „Wir sind mit dem Anspruch hergekomme­n, eine Medaille zu gewinnen. Ich habe in Berlin schon gemerkt, dass in den Mädels wesentlich mehr Potenzial steckt“, sagte der Bundestrai­ner André Korff, als am Dienstag gerade die deutsche Hymne verklungen war. „Dass es jetzt so gut läuft, da bin ich selbst positiv überrascht. Hier haben sie alles abgerufen, was ging. Der Frauen-Radsport hat einen enormen Hype bekommen. Alles ist profession­eller geworden. In den letzten zehn Jahren hat sich das enorm entwickelt.“

Was für Außenstehe­nde so leicht und locker aussieht, ist das Ergebnis knochenhar­ter Arbeit. „Die Belastung ist komplett anders als auf der Straße. Das sind vier Kilometer Vollgas. Da wird richtig Lactat produziert in den Muskeln“, sagte Brennauer. Mit teilweise mehr als 60 Stundenkil­ometern rasen die vier Frauen um das Oval. Die Renntaktik ist bis ins letzte Detail ausgetüfwe­sen, telt. Wann wer und wie lange vorne im Wind fährt, ist genau abgesproch­en. Jeder in dem Quartett hat eine feste Rolle. „Wir haben versucht, an uns zu arbeiten und Schritt für Schritt immer schneller zu werden. Wir hatten da was aufzuholen. Umso schöner, dass die Lücke immer kleiner wurde“, berichtet Brennauer von dem mühsamen Weg an die Spitze. Schon bei der WM vor 18 Monaten hatte es in Berlin zu Bronze gereicht. Und irgendwann muss den deutschen Frauen und ihren Trainern klar geworden sein, dass sogar der Weltrekord möglich ist. Das Oval hat sich schon in den ersten Runden als sehr schnell erwiesen. Dazu die hohen Temperatur­en – die Rahmenbedi­ngungen waren ideal. Die deutschen Frauen haben ihre Chance genutzt. „Ich kann das Gefühl noch gar nicht beschreibe­n. Das ist Gänsehaut, da oben zu stehen und das als Team zusammen zu genießen“, sagte Brennauer nach der Siegerehru­ng, trug die Goldmedail­le um den Hals und lächelte in die Kameras. Vergessen waren die sechsten Plätze aus der Vorwoche. „Ich wollte diese Medaille unbedingt. Jetzt habe ich sie.“

Schnell im Training, aber was heißt das schon

Die Renntaktik ist bis ins letzte Detail ausgetüfte­lt

 ?? Foto: Sebastian Gollnow, dpa ?? Rasend schnell unterwegs: das deutsche Quartett auf dem Weg zum Olympiasie­g.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa Rasend schnell unterwegs: das deutsche Quartett auf dem Weg zum Olympiasie­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany