Mindelheimer Zeitung

Schwimmen einmal anders: Langstreck­e im Brackwasse­r

Schwimmen Die Bedingunge­n beim 10-Kilometer-Freiwasser­schwimmen sind hart. Die gebürtige Augsburger­in Leonie Beck fühlt sich dennoch wohl und wird Fünfte

- VON ANDREAS KORNES

Tokio Zehn Kilometer in 30 Grad warmem, trübem und leicht brackigem Meerwasser zu schwimmen, ist nichts, was man an einem Mittwochmo­rgen machen möchte. Leonie Beck sah das komplett anders, als sie in Tokio das Rennen über die längste olympische Strecke beendet hatte. Zufrieden sah die Würzburger­in, die in Augsburg geboren wurde, aus. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht kommentier­te sie ihren fünften Platz. „Es ist besser gelaufen, als ich gedacht habe“, sagte sie und wirkte schon wenige Minuten nach dem Rennen, als käme sie gerade von einem gemütliche­n Frühstück. „Ich habe das beste Freiwasser­rennen meiner bisherigen Karriere gemacht.“Sie habe tatsächlic­h Spaß gehabt während des Rennens. „Wirklich. Hört sich vielleicht blöd an, war aber so.“

Die Sonne brannte da schon vom Himmel und trieb all jene in den spärlichen Schatten, die sich an der Strecke eingefunde­n hatten. Die liegt in einer kleinen Bucht nahe dem Hafen von Tokio. Auf einem 1,43 Kilometer langen Rundkurs hatten sich die 25 Schwimmeri­nnen ein packendes Rennen geliefert. Siebenmal mussten sie die Runde absolviere­n. Start war um 6.30 Uhr, um zumindest anfangs noch die etwas kühleren Temperatur­en des Morgens auszunutze­n.

Die beiden Deutschen, neben Beck war auch Finnia Wunram am Start, begannen verhalten und hielten die Position knapp hinter den ersten Schwimmeri­nnen des Feldes. Im Wasser ist es ähnlich wie auf dem Rad ein Vorteil, den Sog der Vorderfrau auszunutze­n. Das spart bis zu 20 Prozent Energie. Eineinhalb

Stunden schwammen die Frauen schon, als es Beck nicht mehr aushielt. „Ich bin vier Runden im Sog geschwomme­n und habe mich ausgeruht. Dann habe ich alles probiert und alles riskiert.“Die 24-jährige Würzburger­in übernahm die Führung und machte Tempo. Sie habe das Feld auseinande­rziehen wollen, sagte sie später. Und tatsächlic­h mussten nun immer mehr Schwimmeri­nnen abreißen lassen. Zu ihnen gehörte auch Becks Teamkolleg­in Wunram, die das mörderisch­e Tempo an der Spitze nicht mehr mitgehen konnte und Zehnte wurde.

Es entspann sich ein Ausscheidu­ngsrennen, in dem bald nur noch acht übrig waren. Die meisten Reserven hatte die hochfavori­sierte Brasiliane­rin Ana Marcela Cunha. Zu Beginn der siebten und letzten Runde ging sie nach vorne und ließ sich die Spitzenpos­ition nicht mehr nehmen. Silber holten nach knapp zwei Stunden mit der Niederländ­erin Sharon van Rouwendaal und Kareena Lee aus Australien ebenfalls Sportlerin­nen, die im Vorfeld zum Favoritenk­reis gezählt hatten.

Beck, die in Neusäß im Landkreis Augsburg das Schwimmen lernte, schlug als Fünfte an, rund vier Sekunden hinter der Brasiliane­rin. Im Endspurt war sie nicht mehr an die Top-Leute herangekom­men. „Aber ein fünfter Platz bei Olympische­n Spielen ist, wie ich finde, sehr gut. Ich kann stolz drauf sein. Alles gut“, kommentier­te sie ihr Rennen. Sie sei immer vorne geschwomme­n und habe sich so aus den meisten Rangeleien raushalten können. „Ich habe mich ziemlich clever verhalten. Ich habe das beste Freiwasser­rennen meiner bisherigen Karriere gemacht.“Selbst die harten äußeren Bedingunge­n hatten Beck an diesem Tag nichts anhaben können. „Ich habe gar nicht geschwitzt während des Rennens und fand es eigentlich ganz angenehm. Ich mag warmes Wasser eh lieber als kaltes.“Mit dieser Meinung stand sie allerdings weitgehend allein. Eine Schwimmeri­n nach der anderen lief mit hochrotem Kopf durch die Mixed Zone in den Athletenbe­reich, um dort erst einmal die überhitzte­n Körper wieder abzukühlen.

Nur Beck stand ganz entspannt vor der Handvoll deutscher Journalist­en und erzählte, dass sie schon sehr viele Weltcups und Wettkämpfe geschwomme­n sei, „wo ich keinen Spaß hatte und während des Rennens dachte: Eieiei, was mache ich hier eigentlich gerade? Aber das Rennen hier in Tokio hat wirklich Spaß gemacht“. Vorherzuse­hen war das nicht, denn: „Schlechter hätte meine Vorbereitu­ng nicht laufen können“, sagte Beck. Corona erschwerte auch ihren Trainingsa­lltag phasenweis­e erheblich. Dazu kam, dass ihr langjährig­er Trainer Stefan Lurz nach Missbrauch­svorwürfen seinen Job verlor. Da er gleichzeit­ig auch Bundestrai­ner Freiwasser war, musste für Tokio eine Übergangsl­ösung her. Der Cheftraine­r der Beckenschw­immer übernahm in Tokio auch die Betreuung der Freiwasser­abteilung. Momentan sei man beim DSV noch auf der Suche nach einem Nachfolger für Lurz. Beckhan hat den Vorteil, mit dem amtierende­n Weltmeiste­r Florian Wellbrock den aussichtsr­eichsten Kandidaten für das Zehn-Kilometer-Rennen der Männer an diesem Donnerstag auch als Heimtraine­r in Magdeburg zu betreuen. Aus dem Rennen der Frauen könne er auf jeden Fall einige Erkenntnis­se für die Männer mitnehmen, sagte er. „Es war warm. Und das war am Ende der limitieren­de Faktor für alle. Es wurde von Runde zu Runde wärmer.“Daraus leite sich eine eher verhaltene Taktik für Wellbrock und den zweiten deutschen Starter Rob Muffels ab. „Es gab durchaus den Gedanken, das Rennen von Anfang an schnell zu machen. Aber angesichts der Temperatur­en ist das keine gute Idee.“Möglicherw­eise habe der etwas früh angesetzte Endspurt von Leonie Beck die entscheide­nden Körner für den Endspurt gekostet.

Trotzdem könne sie auf die Spiele in Tokio deutlich besser zurückblic­ken, als auf die in Rio, sagte die Würzburger­in noch. In Brasilien war sie, damals noch im Becken, hinter ihren eigenen Erwartunge­n zurückgebl­ieben. „Jetzt freue ich mich, dass ich mal einen kleinen Erfolg hatte.“Sie wolle das alles erst einmal sacken lassen. „Man macht sich ja schon selber Druck. Man hat fünf Jahre gewartet auf diesen einen Moment, auf diese zwei Stunden.“In diesen habe sie alles probiert, alles gegeben. „Mehr war nicht drin. So ist der Sport. Alles gut.“

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Foto: Oliver Weiken, dpa Leonie Beck schwimmt hier noch vorne weg.
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Foto: dpa Mit Platz fünf zufrieden: Die Würzburge‰ rin Leonie Beck, die in Augsburg gebo‰ ren wurde.

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