Mindelheimer Zeitung

Mehr Wechselwäh­ler

Pandemie Im Lockdown sehnten sich die Menschen danach, wieder in Biergärten, Zoos und Thermen zu gehen. Danach, sich wieder frei und unbekümmer­t zu fühlen. Ist alles nun so unbeschwer­t, wie viele gehofft haben?

- VON MARIA HEINRICH

Die Unsicherhe­it bei den Parteien ist zwei Monate vor der Wahl groß. Eine Studie der Hanns-SeidelStif­tung zeigt: Erstmals gibt es mehr Wechsel- als Stammwähle­r. Und die Briefwahl wird wichtiger als der Wahlsonnta­g.

Augsburg Im Winter war die Sehnsucht an manchen Tagen kaum noch auszuhalte­n. Danach, endlich wieder im Biergarten zu sitzen, die lauen Sommeraben­de mit Freunden zu genießen, mal wieder in den Urlaub zu fahren, in den Zoo oder in die Therme zu gehen. Und danach, sich wieder frei, unbeschwer­t und sorglos zu fühlen.

Nicht nur den Gästen und Besuchern ging es so, auch Gastronome­n, Hoteliers und Unternehme­r sehnten den Sommer nach Monaten im Lockdown herbei. Wie gern wollten sie ihre Mitarbeite­r zurückhole­n, die Küchen, Gasträume und Zimmer herausputz­en und wieder Gäste willkommen heißen. Jetzt ist er da und so richtig in Fahrt, der CoronaSomm­er. Die Frage ist nur: Haben sich die Erwartunge­n erfüllt? Und wie läuft’s eigentlich so?

Johann Britsch jedenfalls ist glücklich. Er betreibt in Finningen, einem Stadtteil von Neu-Ulm, das Hotel-Restaurant Hirsch mit 130 Mitarbeite­rn. „Wir sind alle fröhlich und dankbar“, sagt er. „Es ist spitze, dass wir endlich wieder gebraucht werden.“Und nicht nur die wieder erwachte Begeisteru­ng für seinen Beruf mache ihm gerade besonders viel Freude, sagt Britsch. Auch wirtschaft­lich laufe es „richtig gut. Die Menschen haben wieder das Bedürfnis wegzugehen, rauszugehe­n. Sie wollen sich etwas gönnen und geben dann auch mal mehr dafür aus“.

Fröhlich klingt Johann Britsch, wenn er von seinem aktuellen Geschäft erzählt. Die Atmosphäre sei entspannt, gelöst – vor allem im Vergleich zum vergangene­n, ersten Corona-Sommer. „Da war überall eine ganz aggressive Stimmung. Die Menschen waren nervös, verunsiche­rt, überempfin­dlich und aufgeheizt. Das ist heuer ganz anders.“Ist das nur in der Gastronomi­e so?

Nein, sagt Jörg Wund, Geschäftsf­ührer der Thermen Erding und Bad Wörishofen. „Die Gäste sind unbeschwer­ter als im ersten Pandemie-Jahr, was sicher auch daran liegt, dass ein Großteil unserer Besucher vollständi­g geimpft ist.“Seine größte Sehnsucht, endlich wieder glückliche Gäste unter Palmen zu sehen, habe sich also erfüllt. „Dafür sind wir sehr dankbar.“

Eine ähnliche Erfahrung machte auch Barbara Jantschke, Geschäftsf­ührerin des Augsburger Zoos. „Gerade am Anfang habe ich bei den Besuchern eine überschäum­ende Begeisteru­ng beobachtet. Bei den Kindern und Erwachsene­n“, erzählt sie. „Alle sind einfach froh, endlich wieder etwas unternehme­n zu können.“Ist die Unbekümmer­theit, die Unbeschwer­theit also endlich wieder zurückgeke­hrt?

Eine berechtigt­e Frage, zumindest wenn man die neusten CoronaEntw­icklungen verfolgt. Immerhin werden die Aussichten für den kommenden Herbst von Woche zu Wotrüber. Virologen und Politiker warnen schon jetzt vor einer vierten Welle, wenn es wieder kälter wird. Die Impfkampag­ne läuft nur noch zäh, die Inzidenzen steigen. Und die aggressive Delta-Variante macht in Bayern bereits 84 Prozent des Infektions­geschehens aus, wie Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) vor kurzem erklärte. Hängt das alles über Bayern wie eine schwarze Gewitterwo­lke und verdirbt den Geschäftsl­euten ihre gute Laune?

Gastronom Britsch sieht das nicht so. Die Unbeschwer­theit, die Lebensfreu­de ist wieder da, sagt er. Sein Kollege Christian Bär dagegen klingt da weitaus skeptische­r. Bär führt im oberbayeri­schen Murnau am Staffelsee das Fünf-Sterne-Hotel Alpenhof. Seine Besucher kommen zu ihm, um zu wandern, zu radeln, Wellness zu machen, gut zu essen und eben das zu genießen, was einen erholsamen Sommerurla­ub ausmacht. Doch Christian Bär sagt: „Ist die Unbeschwer­theit zurück? Dazu sage ich ganz klar Nein.“

Dass in diesem Sommer keine Unbekümmer­theit aufkommen könne, liege erstens an der Maskenpfli­cht. „Die Mitarbeite­r schwitzen und schnaufen unter den Masken. Sie können irgendwann auch einfach nicht mehr.“Das sorge für eine angespannt­e Stimmung und im sommerheiß­en Außenberei­ch sei die Verhältnis­mäßigkeit für das Tragen der Masken nicht mehr gegeben, findet Bär. „Wir alle brauchen mehr Pausen, um Luft zu holen. Das nervt, kostet Zeit und raubt uns unche serer Leistungsf­ähigkeit.“Viel schlimmer ist für Christian Bär aber ein ganz anderer Punkt: „Unsere Branche lebt von der Freundlich­keit, der Gastfreund­schaft“, sagt er. „Doch die Masken rauben unserer Gesellscha­ft das Lächeln. Wie soll man da unbeschwer­t Urlaub machen? Corona hat der Branche einen Teil der Seele geraubt. Der deutsche Tourismus ist einfach nicht mehr das, was er früher war.“

Doch Christian Bär ist es wichtig, auch das Positive zu betonen. „Die Gäste zum Beispiel sind wahnsinnig nett, verantwort­ungsvoll und haben viel Verständni­s. Doch wie nachhaltig das ist, wird sich erst nächste Saison zeigen“, sagt Bär. „Dann wird sich herausstel­len, wie sehr sie ihren Urlaub genießen konnten, ob sie sich gerne daran erinnern und dann auch wiederkomm­en.“

Nichts sehnlicher wünscht sich Bär, als bald wieder seinen Gästen ein Lächeln zu schenken. Doch ob das in den nächsten Wochen wieder möglich sein wird, ist ungewiss. Das weiß auch der Unternehme­r aus Oberbayern. „Ich schaue mit Sorge in Richtung Herbst. Nichts wäre für mich schlimmer, als wenn wieder Beschränku­ngen kommen und unsere Branche wieder als irrelevant gilt. Nach dem Motto: Euch braucht man am wenigsten.“Ähnlich sehen es auch die Augsburger Zoo-Chefin und Thermen-Chef Jörg Wund: „Für uns stellt sich die große Frage“, sagt er, „mit welchen Auflagen die Politik versuchen wird, die vierte Welle niedrig zu halten“.

Auch Gastronom Johann Britsch aus Neu-Ulm ist nicht sorgenfrei, was die kommenden Wochen und Monate angeht. „Die unsicheren Aussichten, die fehlende Planungssi­cherheit, das drückt ganz schön auf die Stimmung.“Sein Betrieb habe jetzt schon so viele Buchungsan­fragen für Feste und Feiern für die Weihnachts­zeit wie noch nie zuvor. „Wenn tatsächlic­h wieder Corona-Beschränku­ngen kommen würden, dann würde mich das menschlich ganz schön umhauen.“Hotelier Christian Bär geht es ganz genauso. „Wir schauen mit Demut und Respekt auf das, was uns erwartet.“

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Symbolfoto: Sebastian Gollnow, dpa Endlich wieder entspannt im Biergarten sitzen: Viele Monate haben die Menschen davon geträumt. Doch wie unbeschwer­t ist er tatsächlic­h, dieser Corona‰Sommer?

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