Mindelheimer Zeitung

Große Klappe, viel dahinter

Der Speerwerfe­r Johannes Vetter ist in Tokio Topfavorit auf Gold. Aus seinen Ambitionen macht er keinen Hehl. Ist er im Moment unschlagba­r?

- Andreas Kornes

Der Grat ist schmal, zwischen einem selbstbewu­ssten und einem überheblic­hen Auftritt. Johannes Vetter schafft es bisher mit beeindruck­ender Sicherheit, sein Selbstbewu­sstsein zu demonstrie­ren, dabei aber nicht überheblic­h zu wirken. Er verfährt nach dem Prinzip: Große Klappe, aber viel dahinter. „Ich laufe an und haue drauf“, sagte der 28-jährige Speerwerfe­r über seinen Plan für Tokio. „Ich habe riesen Bock drauf, eine Bombe platzen zu lassen.“Sport kann so herrlich einfach sein.

Mit dieser klaren Herangehen­sweise hat sich Vetter zum Topfavorit­en im Speerwurf gemacht. Aus dem deutschen Leichtathl­etikTeam ist vor ihm allenfalls die Olympiasie­gerin im Weitspring­en, Malaika Mihambo, ähnlich aussichtsr­eich an den Start gegangen.

Vetter ist der Einzige, der den Speer, die älteste Jagdwaffe der Menschheit, in diesem Jahr schon über 90 Meter weit geworfen hat. Seit 18 Wettkämpfe­n ist er unbesiegt. Im Vorjahr kam er mit 97,76 Metern bis auf 62 Zentimeter an den Weltrekord des Tschechen Jan Zelezny heran. Wer also soll diesen Mann in Tokio davon abhalten, Gold zu holen?

Mental und körperlich scheint dem Modellathl­eten aus Offenburg niemand gewachsen. „Meine aktuelle Stabilität gibt mir natürlich ein enorm gutes Gefühl. Zurzeit kann mich eigentlich nichts stoppen“, sagt Vetter, Spitzname Jojo. Und: „Ich bin immer im BeastMode.

Egal, ob gerade Wettkämpfe sind oder nicht. Ich pushe mich immer bis zum Limit und darüber hinaus.“

Wie das dann aussieht, kann man auf dem Instagram-Kanal Vetters besichtige­n. Dort ist dann zu sehen, wie das 1,88 Meter große und 103 Kilo schwere Kraftpaket mit nacktem Oberkörper Gewichte stemmt oder sich von seinem Trainer Boris Obergföll die Schulter aufdehnen lässt. Zu finden sind dort aber auch Kochrezept­e für Pfannkuche­n ohne Zucker auf Bananenbas­is. Ernährung und Training sind seit Jahren auf diesen Freitag abgestimmt, wenn in Tokio das Speerwurff­inale ansteht. „Das Ziel ist auf alle Fälle Olympia-Gold

mit über 90 Metern“, sagt Vetter. Das solle nicht arrogant klingen, aber er wisse eben, was er drauf habe. „Und eigentlich auch, dass ich momentan unschlagba­r bin.“

Bei allem demonstrat­iven Selbstbewu­sstsein funktionie­rt aber auch Vetter nach dem Prinzip: „Harte Schale, weicher Kern.“Nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 2018, die an einem Gehirntumo­r starb, habe er erst eine neue Balance in seinem Leben finden müssen. Privat und auch in den Wettkämpfe­n sei er ruhiger und entspannte­r geworden. „Richtig verarbeite­n tut man so etwas nie“, sagte er in Tokio. „Ich versuchte, anders damit zu leben. Es tut mir eher gut, darüber zu sprechen, als wenn ich es in mich hineinfres­se.“Das würde auch nicht passen zu diesem lautstarke­n, sympathisc­hen Hünen.

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Foto: dpa

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