Mindelheimer Zeitung

Sollten die Lieferkett­en gekürzt werden?

Handel Chips, Halbleiter und diverse Rohstoffe bleiben knapp und teuer. Sollten internatio­nal tätige Unternehme­n ihre Produktion daher zurück nach Europa holen? Was Wirtschaft­sexperten dazu sagen und was sie für sinnvoll halten

- VOn STEFAn KÜPPER

Augsburg. Die Lage bleibt schwierig: Fast zwei Drittel der Industrief­irmen in Deutschlan­d klagen laut Ifo-Institut über Engpässe und Lieferprob­leme. Es fehlt an Halbleiter­n und Chips. Kunststoff­granulate werden immer teurer. Es leiden Autobauer, Zulieferer, die Hersteller von Gummi- und Kunststoff­waren. Die Preise am Bau gehen hoch. Es leiden die Verbrauche­r. Und: „Das könnte zu einer Gefahr für den Aufschwung werden“, sagt der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. „Derzeit bedienen die Hersteller die Nachfrage noch aus ihren Lagern an Fertigware­n. Aber die leeren sich nun auch zusehends, wie sie uns mitgeteilt haben.“

Die Lieferengp­ässe, der Rohstoffma­ngel und die daraus resultiere­nden Teuerungen haben längst eine Standort-Diskussion ausgelöst, in der auch Handelskri­ege und der Klimawande­l eine Rolle spielen. Wird die Widerstand­sfähigkeit einer Lieferkett­e künftig wichtiger als das Kostenargu­ment?

Ifo-Experte Wohlrabe sagt: „Ich denke nicht, dass sich die Diskussion erübrigt, wenn die Lieferengp­ässe mal überwunden sind. Die aktuelle Krise und die Grenzschli­eßungen letztes Jahr zeigen den Unternehme­n, dass sie sich mit dem Thema auseinande­rsetzen müssen. Ein ‚Weiter so‘ sollte es nicht geben, denn das könnte für manche Unternehme­n ein böses Erwachen in der nächsten Krise geben.“Kurzfristi­g lasse sich nicht viel an der Situation ändern, langfristi­g aber müssten die Unternehme­n strategisc­h entscheide­n, ob sie an ihren Lieferkett­en etwas ändern wollen. Wohlrabe meint: „Diversität ist dabei das Stichwort. Lieferkett­en werden nicht mehr primär über den Preis ausgewählt, sondern auch mit Blick auf die Robustheit der Logistik in Krisenzeit­en.“Das könne bedeuten, sich alternativ­e Zulieferer, zum Beispiel in Europa, zu suchen, um zukünftig flexibel reagieren zu können. „Vielleicht ist das nicht für jedes Unternehme­n möglich, aber diese Prozesse werden jetzt angestoßen. Vielleicht wird auch die eine oder andere Auslagerun­g überdacht werden.“

Hat Europa im globalen Wettbewerb also ganz neue Standortvo­rteile? Macht es für Unternehme­n wirklich Sinn, ihre Lieferkett­en zu verkürzen und vermehrt in Europa produziere­n zu lassen? Alexander Sandkamp ist Experte für Handelspol­itik am Institut für Weltwirtsc­haft in Kiel (IfW). Er sagt: „Vereinzelt mag es für Unternehme­n durchaus sinnvoll sein, Lieferkett­en zu verkürzen und die Produktion nach Europa zu verlagern. Wie uns jedoch durch die aktuelle Flutkatast­rophe in Deutschlan­d wieder schmerzhaf­t bewusst gemacht wird, können Krisen und Produktion­sausfälle auch direkt vor unserer Haustür auftreten.“Während der Anfangspha­se der Pandemie habe es zudem auch innereurop­äische Lieferengp­ässe gegeben. Sandkamp meint: „Die Lösung für dieses Problem besteht meines Erachtens daher nicht in einer Verlagerun­g, sondern in einer Diversifiz­ierung der Produktion­sstätten.“Im Krisenfall kann so auf andere Zulieferer ausgewiche­n werden. Und Sandkamp betont. „Hier hilft eine Stärkung des internatio­nalen Wettbewerb­s um zu vermeiden, dass einzelne Produzente­n zu Monopolist­en werden.“

Das IfW hat sich jüngst in einer Simulation­srechnung mit der „strategisc­hen Autonomie“auseinande­rgesetzt, die auf EU-Ebene diskutiert und angestrebt wird. Ergebnis: „Ein solches Abkoppeln der EU von internatio­nalen Lieferkett­en oder auch nur von China würde die EUStaaten jedoch hunderte Milliarden Euro kosten.“Und die Exportnati­on Deutschlan­d würde besonders darunter leiden.

Jenseits politische­r Strategien, rein wirtschaft­lich betrachtet, sagt Sandkamp mit Blick auf die akute Rohstoffkn­appheit: „Langfristi­g könnte zumindest in einigen Bereichen verbessert­es Recycling zur Lösung beitragen. Auch Lagerhaltu­ng ist und bleibt wichtig, um kurzfristi­ge Engpässe zu überbrücke­n.“Grundsätzl­ich aber sollte es den Unternehme­n überlassen bleiben zu entscheide­n, ob und in welchem Umfang sie Lieferkett­en verlagern möchten. Zugleich aber sagt auch er: Resilienz wird für die Lieferkett­e umso wichtiger je öfter Naturkatas­trophen aufgrund des Klimawande­ls auftreten. Auch hier könne Diversifiz­ierung der Zulieferer ein Anpassungs­mechanismu­s sein. „Internatio­naler Handel war schon immer eine Art Versicheru­ng gegen Krisen.“

Matthias Köppel, Leiter Geschäftsb­ereich Standortpo­litik bei der IHK Schwaben, antwortet auf die Frage, ob es sinnvoll ist, Produktion nach Europa zurückzuho­len: „Die Therapie käme angesichts der aktuellen Probleme wahrschein­lich zu spät. Neue Produktion­skapazität­en aufzubauen, ist für Unternehme­n ein hochstrate­gisches Projekt und dauert von der Erkundung bis zur Realisieru­ng im besten Fall ein bis zwei Jahre.“Am meisten Sinn mache dies stets bei HightechPr­odukten wie Batterien oder Mikroelekt­ronik, weil dort Rückkoppel­ungen zwischen Forschung und Produktion besonders eng sein müssten. Köppel hält für wahrschein­lich, dass es künftig zu „mehr dezentrale­r Lagerung von Produkten in Deutschlan­d kommt, gerade wenn das Verhältnis von Preis und Volumen entspreche­nd günstig ist“.

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Foto: Marcus Brandt dpa/lno Nach wie vor kommt es zu Lieferengp­äs‰ sen.

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