Sollten die Lieferketten gekürzt werden?
Handel Chips, Halbleiter und diverse Rohstoffe bleiben knapp und teuer. Sollten international tätige Unternehmen ihre Produktion daher zurück nach Europa holen? Was Wirtschaftsexperten dazu sagen und was sie für sinnvoll halten
Augsburg. Die Lage bleibt schwierig: Fast zwei Drittel der Industriefirmen in Deutschland klagen laut Ifo-Institut über Engpässe und Lieferprobleme. Es fehlt an Halbleitern und Chips. Kunststoffgranulate werden immer teurer. Es leiden Autobauer, Zulieferer, die Hersteller von Gummi- und Kunststoffwaren. Die Preise am Bau gehen hoch. Es leiden die Verbraucher. Und: „Das könnte zu einer Gefahr für den Aufschwung werden“, sagt der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. „Derzeit bedienen die Hersteller die Nachfrage noch aus ihren Lagern an Fertigwaren. Aber die leeren sich nun auch zusehends, wie sie uns mitgeteilt haben.“
Die Lieferengpässe, der Rohstoffmangel und die daraus resultierenden Teuerungen haben längst eine Standort-Diskussion ausgelöst, in der auch Handelskriege und der Klimawandel eine Rolle spielen. Wird die Widerstandsfähigkeit einer Lieferkette künftig wichtiger als das Kostenargument?
Ifo-Experte Wohlrabe sagt: „Ich denke nicht, dass sich die Diskussion erübrigt, wenn die Lieferengpässe mal überwunden sind. Die aktuelle Krise und die Grenzschließungen letztes Jahr zeigen den Unternehmen, dass sie sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Ein ‚Weiter so‘ sollte es nicht geben, denn das könnte für manche Unternehmen ein böses Erwachen in der nächsten Krise geben.“Kurzfristig lasse sich nicht viel an der Situation ändern, langfristig aber müssten die Unternehmen strategisch entscheiden, ob sie an ihren Lieferketten etwas ändern wollen. Wohlrabe meint: „Diversität ist dabei das Stichwort. Lieferketten werden nicht mehr primär über den Preis ausgewählt, sondern auch mit Blick auf die Robustheit der Logistik in Krisenzeiten.“Das könne bedeuten, sich alternative Zulieferer, zum Beispiel in Europa, zu suchen, um zukünftig flexibel reagieren zu können. „Vielleicht ist das nicht für jedes Unternehmen möglich, aber diese Prozesse werden jetzt angestoßen. Vielleicht wird auch die eine oder andere Auslagerung überdacht werden.“
Hat Europa im globalen Wettbewerb also ganz neue Standortvorteile? Macht es für Unternehmen wirklich Sinn, ihre Lieferketten zu verkürzen und vermehrt in Europa produzieren zu lassen? Alexander Sandkamp ist Experte für Handelspolitik am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Er sagt: „Vereinzelt mag es für Unternehmen durchaus sinnvoll sein, Lieferketten zu verkürzen und die Produktion nach Europa zu verlagern. Wie uns jedoch durch die aktuelle Flutkatastrophe in Deutschland wieder schmerzhaft bewusst gemacht wird, können Krisen und Produktionsausfälle auch direkt vor unserer Haustür auftreten.“Während der Anfangsphase der Pandemie habe es zudem auch innereuropäische Lieferengpässe gegeben. Sandkamp meint: „Die Lösung für dieses Problem besteht meines Erachtens daher nicht in einer Verlagerung, sondern in einer Diversifizierung der Produktionsstätten.“Im Krisenfall kann so auf andere Zulieferer ausgewichen werden. Und Sandkamp betont. „Hier hilft eine Stärkung des internationalen Wettbewerbs um zu vermeiden, dass einzelne Produzenten zu Monopolisten werden.“
Das IfW hat sich jüngst in einer Simulationsrechnung mit der „strategischen Autonomie“auseinandergesetzt, die auf EU-Ebene diskutiert und angestrebt wird. Ergebnis: „Ein solches Abkoppeln der EU von internationalen Lieferketten oder auch nur von China würde die EUStaaten jedoch hunderte Milliarden Euro kosten.“Und die Exportnation Deutschland würde besonders darunter leiden.
Jenseits politischer Strategien, rein wirtschaftlich betrachtet, sagt Sandkamp mit Blick auf die akute Rohstoffknappheit: „Langfristig könnte zumindest in einigen Bereichen verbessertes Recycling zur Lösung beitragen. Auch Lagerhaltung ist und bleibt wichtig, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken.“Grundsätzlich aber sollte es den Unternehmen überlassen bleiben zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie Lieferketten verlagern möchten. Zugleich aber sagt auch er: Resilienz wird für die Lieferkette umso wichtiger je öfter Naturkatastrophen aufgrund des Klimawandels auftreten. Auch hier könne Diversifizierung der Zulieferer ein Anpassungsmechanismus sein. „Internationaler Handel war schon immer eine Art Versicherung gegen Krisen.“
Matthias Köppel, Leiter Geschäftsbereich Standortpolitik bei der IHK Schwaben, antwortet auf die Frage, ob es sinnvoll ist, Produktion nach Europa zurückzuholen: „Die Therapie käme angesichts der aktuellen Probleme wahrscheinlich zu spät. Neue Produktionskapazitäten aufzubauen, ist für Unternehmen ein hochstrategisches Projekt und dauert von der Erkundung bis zur Realisierung im besten Fall ein bis zwei Jahre.“Am meisten Sinn mache dies stets bei HightechProdukten wie Batterien oder Mikroelektronik, weil dort Rückkoppelungen zwischen Forschung und Produktion besonders eng sein müssten. Köppel hält für wahrscheinlich, dass es künftig zu „mehr dezentraler Lagerung von Produkten in Deutschland kommt, gerade wenn das Verhältnis von Preis und Volumen entsprechend günstig ist“.