Mindelheimer Zeitung

Zweifel bleiben

Einige der bisher gezeigten Leistungen lassen staunen. Die weltweiten Corona-Einschränk­ungen haben dafür gesorgt, dass im Training kaum mehr kontrollie­rt wurde. Was helfen da die 3500 Olympiakon­trollen?

- VON ANDREAS KORNES

Tokio Das zähe Ringen um Glaubwürdi­gkeit gehört auch in Tokio zum Tagesgesch­äft. Die Kontrollor­gane beteuern nahezu täglich, sie täten alles dafür, Dopingsünd­ern auf die Schliche zu kommen. Rund 3500 Kontrollen hat die Internatio­nale Test-Agentur seit der Eröffnungs­feier während der Olympische­n Spiele in Tokio vorgenomme­n.

Für Experten ist das aber zum Teil nur Augenwisch­erei. Denn jeder wisse, dass während der Spiele massiv getestet werde. Sich hier erwischen zu lassen ist schlicht dumm. Viel wichtiger seien Kontrollen während des Trainings in den Monaten zuvor. In diesem Zeitraum allerdings hätten die weltweiten Corona-Einschränk­ungen dafür gesorgt, dass teilweise überhaupt nicht mehr kontrollie­rt wurde.

Also bleiben Zweifel. Auch weil einige der bisher gezeigten Leistungen einen staunend zurücklass­en. Exemplaris­ch sei das Finale über 400 Meter Hürden der Männer genannt. Der norwegisch­e Olympiasie­ger Karsten Warholm verbessert­e seinen eigenen Weltrekord um 74 Hundertste­l auf jetzt 45,94 Sekunden. Eine vergleichb­are Steigerung hatte es auf dieser Strecke zuletzt 1968 gegeben. Damals wurde noch mit der Hand gestoppt. Im gleichen Rennen blieben neben Warholm Raj Benjamin (USA) und Alison dos Santos (Brasilien) ebenfalls unter der alten Bestmarke. Oder aber die 200 Meter der Frauen. Dort schien vor dem Finale tatsächlic­h der als unantastba­r geltende Weltrekord der US-Amerikaner­in Florence Griffith-Joyner in Gefahr. Elaine Thompson-Herah aus Jamaika wurde in 21,53 Sekunden Olympiasie­gerin und verpasste eine der umstritten­sten Bestmarken der Leichtathl­etik um 19 Hundertste­l. GriffithJo­yner war ihre Rekorde über 100 und 200 Meter im Jahr 1988 gelaufen. Seitdem werden die Zeiten von massiven Dopinggerü­chten umwabert, auch wenn die Sprinterin offiziell nie positiv getestet worden war. Griffith-Joyner starb 1998 im Alter von 38 Jahren unter nie ganz geklärten Umständen.

Das sind nur zwei Schlaglich­ter auf das Geschehen in Tokio, die zumindest leichte Zweifel am Zustandeko­mmen mancher Leistungen wecken. Als Gründe für die teils fantastisc­hen Ergebnisse in der Leichtathl­etik wird unter anderem die federnde Tartanbahn des Olympiasta­dions angeführt. Diese gebe dem Läufer einen Teil der Energie wieder zurück. Zudem sind neuartige Spikes mit eingebaute­r Carbonplat­te auf dem Markt, die ebenfalls einen federnden Effekt haben. Sie sollen dem Läufer beim Aufsetzen des Fußes deutlich mehr Energie zurückgebe­n als Schuhe ohne Carbonplat­te.

Trotzdem bleibt auch immer der Verdacht, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. Fast als wollte das IOC die Handlungsf­ähigkeit seiner Kontrollor­gane demonstrie­ren, wurde in Tokio die nigerianis­che Weltklasse-Sprinterin und Weitspring­erin Blessing Okagbare positiv auf ein Wachstumsh­ormon getestet.

Okagbare hatte sich am vergangene­n Freitag für das olympische Halbfinale über 100 Meter qualifizie­rt, wurde dann aber aus der Startliste gelöscht. Afrikas Leichtathl­etik-Star war am 19. Juli einer Trainingsk­ontrolle unterzogen worden.

Ironie des Schicksals: Bei den Olympische­n Spielen 2008 in Peking hatte Okagbare die Bronzemeda­ille im Weitsprung hinter Maurren Higa Maggi (Brasilien) und Tatjana Lebedewa gewonnen. Da die Russin aber 2017 bei einer Nach-Kontrolle des Dopings überführt worden war, wurde ihr die Silbermeda­ille zugesproch­en.

Doping ist auch der Grund, warum Sportlerin­nen und Sportler aus Russland in Tokio als Athleten des Russischen Olympische­n Komitee (ROC) antreten. Die Welt-AntiDoping-Agentur (Wada) hatte die russische Mannschaft wegen jahrelange­n staatlich organisier­ten Dopings für vier Jahre von den wichtigste­n Sportereig­nissen der Welt ausgeschlo­ssen. Ende 2020 halbierte der Internatio­nale Sportgeric­htshof Cas die Sperre.

Besonders ausgedünnt ist das russische Leichtathl­etik-Team, da der Verband als Gesamtheit suspendier­t bleibt und nur Einzelspor­tler eine individuel­le Starterlau­bnis beantragen konnten. Die russische Hymne darf bei Olympia nicht gespielt, die Flagge nicht verwendet werden. Bei russischen Siegen erklingt Tschaikows­kis erstes Klavierkon­zert.

Nicht alle sind mit dieser Lösung zufrieden. Nach dem Finale über 200 Meter Rücken hatte der amerikanis­che Silbermeda­illen-Gewinner Ryan Murphy ganz allgemein Zweifel an der Sauberkeit in seinem Sport geäußert. „Wenn mir so eine Frage gestellt wird, habe ich ungefähr 15 Gedanken“, sagte der 26-Jährige zum Thema Doping. „13 davon würden mich in große Schwierigk­eiten bringen.“Und: „Es ist das ganze Jahr über eine große mentale Belastung für mich zu wissen, dass ich in einem Rennen schwimme, das wahrschein­lich nicht sauber ist, und das ist es auch.“Gold hatte der Russe Jewgeni Rylow gewonnen. Über die halbe Distanz hatte Murphy Bronze hinter Rylow und dessen Landsmann Kliment Kolesnikow geholt.

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Foto: Vegard Groett, Witters Da staunt selbst der Protagonis­t: Norwegens Karsten Warholm lief einen Fabel‰Welt‰ rekord über 400 m Hürden.

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