Mindelheimer Zeitung

Der Ramminger Dorfwirt und die Dezibel

Kultur Unentgeltl­ich stellt die Ramminger Wirtsfamil­ie Hammerl in der Pandemieze­it Raum für Musikprobe­n zur Verfügung – Gäste und Musiker freuen sich. Doch nicht jedem in der Nachbarsch­aft schmeckt das Konzept

- VON REGINE PÄTZ

Rammingen Die besonderen Geschichte­n aus der Gemeinde Rammingen lassen sich seit geraumer Zeit weniger über die Tagesordnu­ng der monatliche­n Gemeindera­tssitzung, sondern eher am Ende der Sitzung finden. Dann, wenn einzelne Ratsmitgli­eder – oder der Bürgermeis­ter selbst – das Wort ergreifen, um ein Thema, das ihnen auf den Nägeln brennt, an die Öffentlich­keit zu bringen.

Im Rahmen der jüngsten Ramminger Gemeindera­tssitzung meldete sich am Ende des öffentlich­en Teils Manuel Rauscher zu Wort. Rauscher wählte diese Möglichkei­t in Doppelfunk­tion; zum einen fungiert er als Zweiter Bürgermeis­ter des Ortes, zum anderen ist er engagierte­s Mitglied im Ramminger Musikverei­n. Als Jugendleit­er begleitet er nicht wenige musikbegei­sterte Kinder und Jugendlich­e durch den jährlichen Vereinszyk­lus.

Unter den Beschränku­ngen der Corona-Pandemie hatten auch die Vereine schwer zu leiden. Im Falle der Ramminger Musikkapel­le hieß das: keine Auftritte mehr, keine Proben mehr im Vereinshei­m, auch aufgrund der dort nicht umsetzbare­n Hygienevor­schriften.

Abhilfe schaffte eine tolle Idee, die Wirtin Martina Hammerl hatte, Betreiberi­n des Gasthofs zum Stern. Vor rund einem Jahr schon öffnete sie den Biergarten ihres Hauses für Musikkapel­len und Bands und ließ diese dort unentgeltl­ich proben (wir berichtete­n). Die Gäste des Sterns konnten so gleich doppelt genießen und sich endlich wieder im Freien bewirten lassen – und das bei musikalisc­her Begleitung.

Von einen Tag auf den anderen hatte sie keine Einnahmen mehr, erzählt Martina Hammerl auf Nachfrage der Mindelheim­er Zeitung. „Auch die Kinder- und Schulessen, die wir sonst liefern, sind durch Corona weggefalle­n.“Als nach bangen Monaten des Wartens eine Öffnung der Außengastr­onomie zeitweise wieder möglich war, war das auch die einzige Möglichkei­t für Hammerl, das Ruder herumzurei­ßen. Mit den öffentlich­en Proben im Außenberei­ch sollte sie den richtigen Riecher gehabt haben.

Das Konzept schlägt ein wie eine Bombe, der Zuspruch von beiden Seiten – Musikern wie Gästen – war enorm. Martina Hammerl legt noch drauf und investiert in eine Bühne, die sich nun an den Biergarten anschließt. Auch in Sachen Personal stockt sie ordentlich auf. Den Ramminger Musikern stellt sie den Saal des Gasthauses für Proben zur Verfügung, ebenfalls unentgeltl­ich.

Vor rund 17 Jahren hat Hammerl, damals Mitte 20, das Gasthaus inmitten Rammingens übernommen, das Haus in Besitz der Gemeinde dafür gepachtet. „Die Wirtsfamil­ie lässt sich sehr viel einfallen für unseren Ort“, bescheinig­t denn auch Manuel Rauscher in jüngster Sitzung. Froh sei man nicht nur in Gremium und Rathaus darüber, die Hammerls als Pächter des Sterns zu wissen.

Seit geraumer Zeit gebe es jedoch unschöne Meinungsve­rschiedenh­eiten, berichtet Rauscher. Nicht jeder Anlieger kann sich für das Konzept der öffentlich­en Musikprobe­n begeistern. Mehrmals, so berichtet Manuel Rauscher, hätten in jüngster Zeit Polizeikon­trollen stattgefun­den, initiiert von einer Anliegerin des Gasthauses. Vor Ort hätten die Beamten kontrollie­rt, ob Hygienemaß­nahmen eingehalte­n werden, aber auch, ob sich die Stimmung durch überhöhte Lautstärke darstellen und damit eventuell die Nachbarsch­aft in Mitleidens­chaft gezogen würde. „Zu beanstande­n war jedoch nie etwas.“

Zwischenze­itlich, führt Manuel Rauscher weiter aus, hätten die Beschwerde­führer eine Veränderun­g der Sperrstund­e für den Außenberei­ch des Gasthofes erreicht, „einfach so, aus dem Nichts“, sagt er. Nun muss der Betrieb ab 23 Uhr ins Innere des Hauses verlegt werden.

Die öffentlich­en Musikprobe­n sind sowieso schon zeitlich reglementi­ert; „von 17 bis 20.30 Uhr darf gespielt werden“, bestätigt Martina Hammerl, „mit Zugabe ist spätestens um 21 Uhr Schluss.“Für alle Gäste heißt es dann, um 23 Uhr ist im Biergarten der Betrieb einzustell­en.

Vorneweg, auch das bestätigte Rauscher an diesem Abend, könne er die betroffene­n Anlieger schon verstehen. So mag es über die Zeit des Lockdowns deutlich ruhiger um das Gasthaus herum gewesen sein.

Verstehen kann er aber auch die Situation der Wirtsfamil­ie, die schlicht und ergreifend ums Überleben kämpfe.

Noch im Mai habe es Gespräche mit den Anliegern gegeben, Rauscher selbst habe als Bürgermeis­ter daran teilgenomm­en. Sachlich sei es abgelaufen, sagt er, und man habe auch detaillier­t auf den Turnus der Musikprobe­n hingewiese­n. Er selbst habe sich eine App herunterge­laden, die den Dezibel-Wert messen könne. Damit überprüfe er regelmäßig, ob bei Proben, die im Saal des Sterns abgehalten werden – „bei geschlosse­nen Fenstern!“– zuviel Schall nach außen dringt.

Nun habe sich mit der Durchsetzu­ng der geänderten Sperrstund­e eine neue Situation ergeben, bedauert Rauscher. Auch Fahrzeuge, die den Parkplatz des Gasthauses späterer Stunde verlassen, wären nun Teil der Beschwerde, manches Mal auch die Gespräche derer, die sich kurz im Freien noch unterhalte­n würden. „Wie soll das weitergehe­n?“, fragt Manuel Rauscher.

Wirtin Martina Hammerl hat schon Initiative ergriffen und die betroffene­n Nachbarn zu Gesprächen und zum Essen eingeladen. Einige hätten diese Geste verstanden, ihr das kostenlose Mahl nicht abverlangt, sondern die Botschaft dahinter verstanden und das Gratis-Essen abgelehnt, „weil es in ihren Augen nicht notwendig gewesen sei und man sich auch so zu einigen versuchen könne“, sagt Hammerl. Einige wenige hätten es dagegen durchaus in Anspruch genommen, kann ein Ratsmitgli­ed hinter vorgehalte­ner Hand bestätigen.

Sie leide schon unter diesen Verstimmun­gen, gibt Martina Hammerl offen zu. Allerdings weiß sie auch um den kulturelle­n Wert, den sie mit ihrem Engagement seit vielen Jahren den Rammingern und ihren Gästen ermöglicht. Das schwierigs­te Jahr seit Beginn ihrer Pacht sei das vergangene Jahr gewesen, keine Innenraumb­ewirtung, keine Hochzeiten durchzufüh­ren. Ein finanziell­er Kraftakt.

Dass sie jetzt das Gefühl vermittelt bekomme, sich für das Betreiben ihres Hauses bedanken zu müssen, dafür, „dass ich aufsperren darf“, das belaste sie ebenfalls. Sie sei mit Leidenscha­ft Wirtin und sorge mit der Öffnung des Saales zur unentgeltl­ichen Nutzung durch die Vereine auch für das Miteinande­r im Ort. Sie verdient ihr Auskommen damit, und leistet über das Jahr enormen Einsatz, mit ihrem Team.

Das zeigt sich nun zur Ferienzeit, die jüngst auch in Bayern begonnen hat. „Wir machen durch“, sagt Martina Hammerl, eine Schließung könne sich der Stern nicht leisten. „Wir wissen ja nicht, was dieses Jahr noch kommen könnte.“

Das Ramminger Gremium zeigt sich solidarisc­h und stellt sich hinter die Familie Hammerl. Bürgermeis­ter Anton Schwele erinnert daran, dass die Anliegerin beim Kauf ihres Grundstück­es darüber informiert worden sei, dass der Stadel zwischen ihr und dem Stern in Bälde abgerissen werde, um einen Parkplatz fürs Gasthaus zu schaffen. All das sei bekannt gewesen, sagt Schwele. Er selbst wohne in unmittelba­rer Nähe zum Gasthof. „Wegfahrend­e Autos und Geräusche der Bewirtung habe ich schon lebtags“, sagt er.

Bis 12. September finden die öffentlich­en Musikprobe­n noch statt, dann läuft diese Notlösung für Wirt und Vereine aus. Bleibt zu hoffen, dass sich die Situation bis dahin beruhigt. Allerdings, auch dass muss Anton Schwele bestätigen, habe er seine Zweifel daran. „Ich spreche wöchentlic­h mit den Anliegern, wir kommen jedoch nicht weiter.“

„Wir machen durch. Wir wissen ja nicht, was dieses Jahr noch kommen könnte.“Stern‰Wirtin Martina Hammer will die öffentlich­en Musikprobe­n weiter anbieten

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Foto: Sabine Adelwarth Seit 17 Jahren beweist das Ehepaar Hammerl Gastgeberq­ualität im Ramminger Wirtshaus zum Stern. Hat ihr das Corona‰Jahr be‰ reits finanziell alles abverlangt, stehen derzeit Unstimmigk­eiten mit einzelnen Anliegern an.

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