Der Winter wird teuer
Die Gaspreise steigen und steigen – und mit ihnen klettern auch die Preise für Strom. Das hat vor allem politische Gründe. Was Verbraucherschützer jetzt fordern
Berlin Die Gas- und Strompreise in Deutschland steigen so stark wie schon lange nicht mehr und werden die Haushaltskassen im Herbst und im Winter deutlich stärker belasten als in den Jahren zuvor. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher kommt es in diesem Jahr besonders dicke, weil nicht nur innenpolitische, sondern auch außenpolitische Faktoren die Preise nach oben treiben. Das macht die Sache aus Sicht des Bundesverbands der Verbraucherzentralen für die Kundinnen und Kunden noch schwieriger.
Schon der Ist-Zustand ist alarmierend: Nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox sind die Kosten für Heizung, Strom und Sprit in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten um 18 Prozent gestiegen. Bei einem Musterhaushalt mit einem Wärmebedarf von 20000 Kilowattstunden, einem Stromverbrauch von 4000 Kilowattstunden und einer Fahrleistung von 13000 Kilometern im Jahr mache das zusätzliche Kosten von 618 Euro im Jahr aus. Oder, anders gerechnet:
Juli 2020 habe diese Energiemenge noch 3422 Euro pro Jahr gekostet, rechnet Verivox vor. In diesem Juli seien es bereits 4040 Euro.
„Die Strom- und Gaspreise steigen für die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland wieder einmal“, konstatierte auch der Energieexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Thomas Engelke. Die gute Nachricht sei, dass man mit einem Wechsel des Strom- oder Gasanbieters bares Geld sparen könne. „Dabei sollten Sie beim Vergleich der Tarife nicht nur auf die Konditionen des ersten Jahres, sondern auch auf die des zweiten und dritten Jahres achten“, riet Engelke im Gespräch mit unserer Redaktion. Ein Tarifwechsel hat jedoch nur begrenzte Auswirkungen aufs Portemonnaie, wenn die Preise insgesamt steigen. „Die schlechte Nachricht ist, dass ein Großteil der Preise von Marktentwicklungen und politischen Entscheidungen abhängt, auf die Verbraucher weniger bis gar keinen Einfluss haben“, sagte Engelke.
Eine dieser politischen Entscheidungen ist in Moskau getroffen worden. Der russische Präsident Wladimir Putin hat den Energiekonzern Gazprom, an dem der russische Staat die Mehrheit hält, dazu angewiesen, die Gaslieferungen nach Europa zu verknappen. Putin will damit die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 aufwerten, die im Oktober fertiggestellt sein könnte. Die derzeitigen Gaslieferungen durch die Ukraine hat Gazprom übereinstimmenden Medienberichten zufolge drastisch reduziert.
Ein weiterer Preistreiber ist die Hitzewelle in Asien, wo der Strombedarf durch die Tag und Nacht laufenden Klimaanlagen enorm gestiegen ist. Für die Stromproduktion wird mehr Gas gebraucht, die Asiaten zahlen besser als die Europäer was dafür sorgt, dass viele verfügbaren Ressourcen dorthin gehen.
Nach Einschätzung der Verbraucherzentralen könnte die Bundesregierung durchaus gegensteuern. „Die Politik könnte die VerbrauIm cher entscheidend entlasten, indem sie den Strompreis senkt, Industrieausnahmen bei der EEG-Umlage und den Netzentgelten abschafft und die Netzentgelte für Strom und Gas reduziert“, sagte Engelke. Über die EEG-Umlage werden die Kosten für den Ausbau der regenerativen Energien auf den Endverbraucher umgelegt. Viele Großverbraucher sind von der Umlage jedoch weitgehend befreit, diesen Fehlbetrag müssen Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Mittelstand aufbringen. Der Bundesverband plädiert deshalb dafür, die Ausnahmen steuerlich zu finanzieren.
Würden außerdem die Industrieausnahmen von den Gebühren für die Nutzung von Strom- und Gasnetzen befreit, die die Verbraucher ebenfalls zusätzlich zahlen, und die Stromsteuer auf das von der Europäischen Union vorgegebene Minimum reduziert, ließe sich Engelke zufolge der Strompreis problemlos um etwa vier Cent pro Kilowattstunde senken. Ein Haushalt mit einem durchschnittlichen Stromverbrauch könnte so etwa 140 Euro im Jahr sparen.
Auch die Hitze in Asien ist ein Problem
Herr Mertens, die Politik ist bisher dem Kurs der Ständigen Impfkommission weitgehend gefolgt – nun rückt sie von ihren Empfehlungen ab, indem sie Druck macht wegen der Kinder-Impfungen und der dritten Impfdosis für Ältere. Wie beurteilen Sie das? Thomas Mertens: Das ist nicht ganz korrekt. Die Entscheidung der Gesundheitsminister-Konferenz besagt, dass den Kindern zwischen zwölf und 17 Jahren ein verstärktes Impfangebot gemacht werden soll. Das ist auch nach der bestehenden Stiko-Empfehlung möglich. Denn dort steht, dass eine Impfung dieser Altersgruppe nach Beratung durch einen Arzt und bei entsprechender Entscheidung durch die Eltern und den Impfling möglich ist. Diejenigen, die auf dieser Basis ihre Impfung machen lassen wollen, können das tun.
Und bei der dritten Impfspritze? Mertens: Mit Blick auf die Auffrischungsimpfungen für alte Menschen und für Immun-Supprimierte (Anm. Menschen mit unterdrücktem
Immunsystem) eilt die Politik allerdings tatsächlich der Stiko-Empfehlung voraus. Die Aufarbeitung der für eine solche Empfehlung notwendigen Daten ist weltweit im Gange, es gibt da noch wirklich große Wissenslücken. Mit anderen Worten: Wir wissen alle nicht ganz genau, wann die Drittimpfung vor allem der alten Menschen notwendig sein wird. Bei den Immun-Supprimierten ist es etwas anders, da kennt man für einige Gruppen, etwa für Empfänger von Organtransplantaten, erste Ergebnisse, aus denen hervorgeht, dass die tatsächlich zum Teil rasch nachgeimpft werden sollten.
Fühlen Sie sich von der Politik unter Druck gesetzt?
Mertens: Eigentlich nicht so sehr, wie Sie glauben. Wir wissen, was unsere gesetzliche Aufgabe ist, nämlich die Erarbeitung von Impfempfehlungen auf der Basis der besten verfügbaren wissenschaftlichen Datenlage. Und das verfolgen wir mit großer Energie und auch sehr großem Arbeitsaufwand. Insofern muss man die Äußerungen mancher Politiker einfach ertragen. Das ist so eine Art hektisches Bemühen, sich durch Aktivitäten hervorzutun. Vielfach ist dieser scheinbare zeitliche Druck gar nicht in dem Maß gegeben, wie immer getan wird. Es wäre sicher besser, wenn man erst genaue Datenanalysen machen würde und dann auf dieser Basis eine Empfehlung und schließlich eine politische Umsetzung angeht. Aber das ist in diesen Zeiten nicht ganz so leicht zu erreichen. Die politische Ebene steht sehr unter dem Eindruck, dass sie ganz schnell Dinge entscheiden muss. Auch wenn das objektiv gar nicht so gegeben ist.
Für Eltern ist die Entscheidung schwer – die Politik sagt, Kinder unbedingt impfen, von der Stiko gibt es keine ausdrückliche Empfehlung.
Mertens: Der Aktionismus in der Politik trägt sicher nicht zur Beruhigung der Menschen bei. Ich weiß gar nicht genau, warum das so gemacht wird. Für die Wahrnehmung in der Bevölkerung wäre es besser, wenn die Dinge etwas ruhiger und überlegter angegangen würden.
Machen Sie sich gar keine Sorgen, wenn im Herbst ungeimpfte Kinder in den Klassen zusammenkommen?
Mertens: Eigentlich nicht so sehr. Viele Berechnungen zeigen ja, dass der Unterricht an den Schulen gut zu händeln wäre, wenn man die bekannten Maßnahmen – dazu gehören unter anderem das Maskentragen, das Lüften und der Einbau von Luftfiltern – umsetzen würde. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass 9,1 Millionen Kinder vor dem zwölften Lebensjahr gar nicht impfbar sind – das betrifft alle Kita- und Kindergartenkinder, alle Kinder in den Grundschulen, alle Kinder der ersten Klassen der weiterführenden Schulen. Die kann man nicht impfen. Deshalb braucht man ein Maßnahmenpaket, um die Schulen sicher betreiben zu können. Das ist die Ansicht der Stiko und die Ansicht aller pädiatrisch-medizinischen Fachgesellschaften: Wir brauchen vielfältige Maßnahmen, um den Schulalltag sicherzustellen. Die Aussage, dass das nur durch Impfungen möglich ist, ist so nicht korrekt.
Diese Maßnahmen, wie etwa den Einbau von Luftfiltern, könnte die Politik selbst in die Hand nehmen. Lenkt sie also von eigenen Fehlern ab? Mertens: Es ist einfacher, alles auf eine Impfung zu schieben, anstatt den von vielen medizinischen Fachgesellschaften erarbeiteten Maßnahmenkatalog umzusetzen. Hinzu kommt, dass die Kinderimpfung derzeit vielfach eine Statthalter-Diskussion ist. Sie überdeckt die Tatsache, dass man die eigentlich entscheidende Gruppe, nämlich die 18bis 59-Jährigen, augenblicklich mit Impfangeboten nicht so gut erreicht, wie man das sollte und müsste. Dabei ist hier wiederum sehr gut belegt, dass die Impfquote in dieser Altersgruppe darüber entscheidet, wie die nächste Welle ablaufen wird. Es wäre wirklich sehr wichtig, den 18- bis 59-Jährigen deutlich zu machen, dass es hier nicht nur um ihren Individualschutz geht, sondern um unsere Gemeinschaft bis hin zur wirtschaftlichen Entwicklung.
Wie blicken Sie auf die mögliche nächste Welle?
Mertens: Auch in anderen Ländern wurde beobachtet, dass sich die neuen Infektionsfälle von der Zahl der Hospitalisierungen entkoppelt. Es wird wegen des Impffortschritts bei den Menschen aus den Risikogruppen zwar einen steilen Anstieg der Infektionszahlen geben, aber keinen ebenso steilen Anstieg der Fälle, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Insofern ist die Diskussion vernünftig, dass wir für die Beurteilung der Lage nicht mehr nur auf den Inzidenzwert schauen, sondern die Frage einbeziehen, wie viele Menschen schwer erkrankt sind.
Wir kämpfen uns nun schon seit mehr als eineinhalb Jahren durch diese Pandemie, die meisten Menschen hätten nie für möglich gehalten, was da mit uns passiert ist. Wie ging es Ihnen in dieser Zeit?
Mertens: Was ich unterschätzt habe, waren die Auswirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen in unserem Land. Eigentlich hätte man sich das frühzeitig überlegen können – aber das war mir nicht bewusst. Jeder schaut eben auf seine speziellen Fachgebiete. Epidemiologisch war mir viel klarer, wie sich die Pandemie entwickelt.
Thomas Mertens ist Chef der Stiko und Ziel politischen Drucks.
Wie wird es weitergehen? Helfen uns bald Medikamente gegen Covid? Mertens: Es wird bald Medikamente geben – aber die werden das Problem an sich nicht lösen. Wir müssen die Impfung vorantreiben, neue Impfstoffe entwickeln, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Das wird auch gelingen. Für die Immunität in der Bevölkerung ist nicht nur die Impfung dienlich, sondern auch jede überstandene Infektion. Jeder, der genesen ist, ist in einer ähnlichen Situation wie ein Geimpfter. Das wird die Herdenimmunität herbeiführen.
Der Ständigen Impfkommission (Sti ko) gehören 18 Mitglieder aus ver schiedenen Disziplinen an, die ehren amtlich in dem unabhängigen Gremium tätig sind. Sie werden vom Bundesgesundheitsministerium berufen. Geleitet wird das Gremium vom Ulmer Virologen Thomas Mertens.