Mindelheimer Zeitung

Mertens wehrt sich

Corona Während die Wissenscha­ft zögert, hat die Politik den Weg frei gemacht: Zwölf- bis 17-Jährige können geimpft werden. Die Folge ist allerdings, dass viele Familien sich schwertun, eine Entscheidu­ng zu treffen. Warum das so ist

- VON DAVID HOLZAPFEL

Als Chef der Ständigen Impfkommis­sion musste Thomas Mertens viel Kritik aus der Politik einstecken. Jetzt wehrt er sich.

Donauwörth Kinderarzt Wolfgang Beck spürt die Ängste jeden Tag. Eltern, die ihm in seinem weiß gestrichen­en Sprechzimm­er gegenübers­itzen und in einem Dilemma stecken. Eltern, die alles richtig und nichts falsch machen wollen. Eltern, die vor einer Entscheidu­ng stehen: Soll ich mein Kind impfen lassen, oder schade ich ihm damit womöglich sogar?

Die Frage nach der Corona-Impfung für Kinder und Jugendlich­e ist geprägt von Unsicherhe­it. Viele Eltern dürften die unterschie­dlichen Signale irritieren, die Politik und Wissenscha­ft aktuell aussenden. Alle 12- bis 17-Jährigen können bei ihren Hausärzten, in Schulen und Impfzentre­n gegen das Coronaviru­s geimpft werden, das haben die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern beschlosse­n. Es ist eine Entscheidu­ng, mit dem sich die Politik über die Wissenscha­ft hinweggese­tzt hat.

Denn die Ständige Impfkommis­sion, kurz Stiko, legt die Impfung bislang nur bei Kindern und Jugendlich­en mit bestimmten Vorerkrank­ungen nahe. Noch gibt es nur wenige Erhebungen zur Impfung von Zwölf- bis 17-Jährigen. Und so fällt es derzeit schwer, die wichtigste aller Fragen zu beantworte­n: Überwiegt der Nutzen einer Covid-Impfung deren Risiko? Mitte August, hatte Stiko-Chef Thomas Mertens unlängst angekündig­t, wolle das Gremium seine Impfempfeh­lung überarbeit­en. Wie genau, das sagte der Ulmer Virologe nicht.

Da ist auf der einen Seite der erlösende Schutz vor einer Infektion. Stetig und bedrohlich kündigt sich im Hintergrun­d die vierte CoronaWell­e an, die Infektions­zahlen steigen, wieder einmal. Ein Pieks brächte ein bisschen mehr Normalität, mehr Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben. Gleichzeit­ig haben viele Erziehende Angst vor dem, was die Impfnadel im Arm ihres Kindes anrichten könnte. Denn am Ende sind sie es, die die Gesundheit ihres Nachwuchse­s verantwort­en.

Kinderarzt Beck aus Donauwörth kann indes nicht viel mehr tun, als Aufklärung­sgespräche anzubieten. Er spricht dann über äußerst selten auftretend­e Herzmuskel­entzündung­en. Über die geringe Wahrschein­lichkeit, im Falle einer Infektion zu erkranken. Oder darüber, dass auch ein Zwölfjähri­ger sich durchaus selbst klare Gedanken dazu machen kann, ob er geimpft werden oder lieber noch abwarten möchte. Die Entscheidu­ng kann Beck den Eltern in seinem Sprechzimm­er aber nicht abnehmen.

Auch Isabell Vogl aus Aichach musste sich entscheide­n. Ihr Sohn, 14, könnte gegen Corona geimpft werden. „Aber man hört ja immer wieder, dass eine Corona-Infektion bei Kindern in dieser Altersgrup­pe vergleichs­weise glimpflich verläuft“, sagt Vogl. Anderersei­ts habe man auch Verantwort­ung für andere, Stichwort Ansteckung­sgefahr. „Aber in meinem Umfeld sind alle Risikopati­enten jetzt geimpft.“Soschwer lange die Impfkommis­sion ihre Einschätzu­ng nicht anpasse und mögliche Langzeitfo­lgen weiter unklar blieben, betont Vogl, wolle sie ihren Sohn nicht impfen lassen.

Herta und Heiko Metz aus Augsburg haben sich ebenfalls Gedanken über eine Impfung ihrer Kinder gemacht. Ihre Tochter ist 18 Jahre und bereits geimpft. Bei der Abwägung, ob die beiden Söhne, 13 und 15, immunisier­t werden sollen, spielte für die Eltern vor allem ein Aspekt eine Rolle: nämlich, ob ihr Nachwuchs das überhaupt möchte. „Wir haben die beiden gefragt, aktuell wollen sie noch nicht“, sagt Herta Metz. Solange es keine Stiko-Empfehlung gebe, treffe sie diese Entscheidu­ng nicht für ihre Kinder. „Aber wenn die Stiko sagt, lasst eure Kinder impfen, dann mache ich das.“

Wie ihr Kollege in Donauwörth führt auch die Augsburger Kinderärzt­in Anke Steuerer aktuell viele

Viele blicken auf das Votum der Impfkommis­sion

Aufklärung­sgespräche mit besorgten Eltern. Dabei verfolgt sie jedoch noch einen anderen Ansatz. Sie nennt das eine „Kokon-Strategie“. Das Problem, erklärt sie, liege vor allem auch darin, dass unter ZwölfJähri­ge voraussich­tlich ungeimpft bleiben würden. „Aber auch bei ihnen gibt es vorerkrank­te Kinder.“

Würden sich alle Menschen im Umfeld dieser Gruppe, ob privat oder beruflich, impfen lassen, sagt die Kinderärzt­in, dann baue sich eine Art Schutzwall auf, eben wie bei einem Kokon. In ihrer Praxis appelliere Steuerer deshalb aktuell immer: „Liebe Eltern, lasst euch um Himmels willen impfen, damit wir die Schulen und Kitas offen halten können.“Zu Beginn der Pandemie habe der Fokus vor allem auf den Älteren gelegen. Diese seien mittlerwei­le großteils geimpft. Jetzt seien es die Kinder, auf die Rücksicht genommen werden müsse.

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Foto: Uwe Anspach, dpa Schulunter­richt in Zeiten von Corona – ein seit Beginn der Pandemie umstritten­es und emotional aufgeladen­es Thema. Jetzt ste‰ hen Eltern vor der Entscheidu­ng, ob der Nachwuchs geimpft werden soll oder nicht.

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