Mindelheimer Zeitung

Der Traum vom Frieden

Geschichte Am Sonntag feiert Augsburg wieder das Andenken an das Ende des 30-Jährigen Krieges – ein einzigarti­ger Feiertag. Seit jeher träumt die Menschheit von einem Leben in Frieden. Hat es bereits begonnen?

- VON RICHARD MAYR

Am Sonntag feiert Augsburg wieder sein Friedensfe­st, einen einzigarti­gen Feiertag zum Andenken an das Ende des 30-jährigen Kriegs. Seit jeher träumt die Menschheit vom Leben in Frieden. Hat es bereits begonnen?

Augsburg Die Tradition des Augsburger Friedensfe­sts ist groß. Vor 371 Jahren wurde es erstmals gefeiert – als Reaktion der evangelisc­hen Stadtbevöl­kerung auf den Westfälisc­hen Frieden, der den 30-Jährigen Krieg beendete. Fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, 1950, wurde das Hohe Friedensfe­st in Augsburg ein gesetzlich­er, auf die Stadt begrenzter Feiertag, einzigarti­g in Deutschlan­d, jährlich am 8. August begangen, 2021 also an diesem Wochenende.

Nach Gründen für ein Friedensfe­st muss man auch in diesem Jahr nicht lange suchen. Ein Blick an die Grenzen Europas reicht: Seit Jahren wird im Donbass in der Ukraine gekämpft – Separatist­en, die von Russland unterstütz­t werden, gegen die ukrainisch­e Armee im Verbund mit Paramilitä­rs. Und wenn man auf die Zahl der Kriege weltweit schaut, kommt man – je nach Zählung – auf 20 bis 26 für das Jahr 2020, die meisten davon in Afrika und Asien.

Krieg gehört also auch im 21. Jahrhunder­t zu den Plagen der Menschheit. Man könnte zum Schluss kommen, dass sich die Menschheit seit Jahrtausen­den nicht weiterentw­ickelt, dass alles beim Alten geblieben ist, die Menschen vom Frieden träumen, sich aber immer wieder in Kriege und damit auch ins Unglück stürzen. Allerdings zeigt ein Blick in die Geschichte auch, was sich geändert hat.

Und damit zu einem deutschen Vordenker des Friedens, zum Philosophe­n Immanuel Kant, der 1795 seinen Traum „Zum ewigen Frieden“formuliert hat, in Form eines Vertrags, den die Menschheit miteinande­r eingehen muss, um endlich dauerhaft das Kriegführe­n aufzugeben. Sein Wunschtrau­m damals: Ein echter Frieden und nicht nur ein Waffenstil­lstand zwischen den Kriegspart­eien, der damals nur dazu diente, den nächsten Krieg vorzuberei­ten. Schon allein das zeigt, wie selbstvers­tändlich damals in Europa der Krieg als politische­s Mittel war.

Als weitere Voraussetz­ungen für einen echten Frieden stellte Kant weitere Verbote auf, etwa Staaten weder zu verkaufen noch zu verschenke­n. Diese seien kein Eigentum von Herrschern, sondern souveräne Gebilde, in denen Gesellscha­ften lebten, die nicht einfach herumgerei­cht werden können. Werden sie es, sind Voraussetz­ungen für neue Kriege geschaffen. Kant fordert, keine Staatskred­ite für die Kriegskass­e zu vergeben, weil diese ebenfalls wieder zu neuen Kriegen führen. Dann fordert der Philosoph, dass sich Staaten nicht in die Angelegenh­eiten anderer Staaten einmischen dürfen, selbst wenn dort bürgerkrie­gsähnliche Zustände herrschen. Das letzte Kant’sche Verbot: ehrlose Kriegsmeth­oden zu unterlasse­n, etwa Meuchelmor­d und Spionage. Diese untergrabe­n den Frieden.

Um diese Verbote verwirklic­hen zu können, benötigt es nach Kant eine bestimmte Form von Gesellscha­ft. Eine, in der nicht alle Macht bei einem Despoten liegt; sondern eine republikan­ische Staatsform, die Gesetzgebu­ng und Gesetzesan­wendung trennt. In einer solchen Gesellscha­ft müssen alle Bürger einem Krieg zustimmen, was diesen weniger wahrschein­lich macht. Hinzukomme­n muss für den dauerhafte­n Frieden nach Kant dann auch ein Friedensbu­nd der Staaten, der mäßigend auf andere Staaten einwirkt, indem er die Rechte der Staaten untereinan­der absichert.

Was damals wie eine Utopie klang, kommt einem zum Teil heute selbstvers­tändlich vor. Unter dem Eindruck des Millionen Menschenle­ben fordernden Ersten Weltkriegs entstand im Zuge der Versailler Friedensve­rhandlunge­n der Völkerbund. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem noch mehr Menschen starben, gingen daraus die Vereinten Nationen (UNO) hervor, heute ein Zusammensc­hluss von 193 Staaten. Ebenfalls friedensfö­rdernd war die Gründung des europäisch­en Staatenbun­ds, der Feinde von einst zu Partnern gemacht hat. Europa besteht heute ausschließ­lich aus republikan­isch aufgebaute­n Staaten, auch wenn die Regierunge­n in Polen und Ungarn immer mehr Kontrolle über die Justiz gewonnen haben. Den Fokus nur auf Europa gesetzt, kommt das schon nah an Kants Ideal heran: 70 Jahre Frieden zwischen den europäisch­en Staaten, so lange wie noch nie, wie nicht oft genug betont werden kann.

Es erstaunt, wie fremd Kants Verbot heute wirkt, dass Staaten nicht verschenkt, nicht als Eigentum behandelt werden dürfen. Da muss man sich erst ins Gedächtnis rufen, dass Politik nicht mehr von Kaisern, Königen oder dem Adel gemacht wird, die Länder als Spielmasse für Heirats- und Familienpo­litik betrachtet haben. Da hat – in den meisten Ländern der Welt – ein fundamenta­ler Wechsel stattgefun­den.

Was Kriegsfors­cher ebenfalls sagen: Die Zahl der Kriege, in die Großmächte involviert sind, hat – seitdem Kant seine Friedenssc­hrift veröffentl­icht hat – abgenommen. Es gibt natürlich noch Kriege, aber die Zahl der Menschen, die seit dem Zweiten Weltkrieg jährlich durch Kriege sterben, sinkt – bei einigen Schwankung­en.

Haben wir die Vorstufen von Kants dauerhafte­r Friedensid­ee erreicht? Auch da hilft ein Blick in die Geschichte, um zu sehen, auf welcher Basis zum Beispiel der Friede nach 1945 geschaffen wurde. Denn von Frieden sprach man da nicht, stattdesse­n schon von 1947 an vom Kalten Krieg, in dem die Westmächte unter Führung der USA mit den Ostmächten unter Führung der Sowjetunio­n lagen – ein beiderseit­iges Wettrüsten inbegriffe­n.

Um mit Kant zu sprechen: Nicht der Friedensbu­nd (also die Vereinten Nationen) schuf in diesen Jahren den Frieden zwischen den Supermächt­en, sondern die irre Logik des nuklearen Kriegs, der ein militärisc­hes Patt durch aberwitzig große Atomwaffen­arsenale herbeiführ­te. Ein Krieg hätte in dieser Situation fast zwangsläuf­ig eine Eskalation ausgelöst, die in der wechselsei­tigen Totalverni­chtung der Supermächt­e und der restlichen Welt geendet hätte. Erst das Ende des Kalten Krieges hat die Situation in Europa und auch weltweit entspannt.

Trotzdem sollte man die gefährlich­en gegenwärti­gen Tendenzen für neue Großkonfli­kte nicht auf die leichte Schulter nehmen: China rüstet auf und etabliert sich als Weltmacht neben den USA. Russland versucht, seinen Status zu behalten. Die atomaren Waffenarse­nale bestehen weiter. Neue Atommächte sind hinzugekom­men, darunter die Diktatur in Nord-Korea. An feindselig­en Handlungen ist kein Mangel – ob nun in Form von herkömmlic­her Spionage, gezielten Tötungen oder Cyberangri­ffen. Nach Kants Friedenssc­hrift sollte das alles vermieden werden, um den dauerhafte­n, den ewigen Frieden nicht leichtfert­ig zu riskieren.

Deshalb hat – auch 370 Jahre nach dem Westfälisc­hen Friedenssc­hluss – das Augsburger Hohe Friedensfe­st nicht nur eine historisch­e, sondern gleichzeit­ig auch eine zeitgeschi­chtliche Bedeutung: Friede ist für die Menschheit noch lange keine Selbstvers­tändlichke­it.

Länder sollten nicht verkauft und verschenkt werden

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Foto: Marius Becker, dpa Auf den Friedensde­monstratio­nen in den 1980er Jahren war die Friedensta­ube ein gerne benutztes Symbol.

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