Der Traum vom Frieden
Geschichte Am Sonntag feiert Augsburg wieder das Andenken an das Ende des 30-Jährigen Krieges – ein einzigartiger Feiertag. Seit jeher träumt die Menschheit von einem Leben in Frieden. Hat es bereits begonnen?
Am Sonntag feiert Augsburg wieder sein Friedensfest, einen einzigartigen Feiertag zum Andenken an das Ende des 30-jährigen Kriegs. Seit jeher träumt die Menschheit vom Leben in Frieden. Hat es bereits begonnen?
Augsburg Die Tradition des Augsburger Friedensfests ist groß. Vor 371 Jahren wurde es erstmals gefeiert – als Reaktion der evangelischen Stadtbevölkerung auf den Westfälischen Frieden, der den 30-Jährigen Krieg beendete. Fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, 1950, wurde das Hohe Friedensfest in Augsburg ein gesetzlicher, auf die Stadt begrenzter Feiertag, einzigartig in Deutschland, jährlich am 8. August begangen, 2021 also an diesem Wochenende.
Nach Gründen für ein Friedensfest muss man auch in diesem Jahr nicht lange suchen. Ein Blick an die Grenzen Europas reicht: Seit Jahren wird im Donbass in der Ukraine gekämpft – Separatisten, die von Russland unterstützt werden, gegen die ukrainische Armee im Verbund mit Paramilitärs. Und wenn man auf die Zahl der Kriege weltweit schaut, kommt man – je nach Zählung – auf 20 bis 26 für das Jahr 2020, die meisten davon in Afrika und Asien.
Krieg gehört also auch im 21. Jahrhundert zu den Plagen der Menschheit. Man könnte zum Schluss kommen, dass sich die Menschheit seit Jahrtausenden nicht weiterentwickelt, dass alles beim Alten geblieben ist, die Menschen vom Frieden träumen, sich aber immer wieder in Kriege und damit auch ins Unglück stürzen. Allerdings zeigt ein Blick in die Geschichte auch, was sich geändert hat.
Und damit zu einem deutschen Vordenker des Friedens, zum Philosophen Immanuel Kant, der 1795 seinen Traum „Zum ewigen Frieden“formuliert hat, in Form eines Vertrags, den die Menschheit miteinander eingehen muss, um endlich dauerhaft das Kriegführen aufzugeben. Sein Wunschtraum damals: Ein echter Frieden und nicht nur ein Waffenstillstand zwischen den Kriegsparteien, der damals nur dazu diente, den nächsten Krieg vorzubereiten. Schon allein das zeigt, wie selbstverständlich damals in Europa der Krieg als politisches Mittel war.
Als weitere Voraussetzungen für einen echten Frieden stellte Kant weitere Verbote auf, etwa Staaten weder zu verkaufen noch zu verschenken. Diese seien kein Eigentum von Herrschern, sondern souveräne Gebilde, in denen Gesellschaften lebten, die nicht einfach herumgereicht werden können. Werden sie es, sind Voraussetzungen für neue Kriege geschaffen. Kant fordert, keine Staatskredite für die Kriegskasse zu vergeben, weil diese ebenfalls wieder zu neuen Kriegen führen. Dann fordert der Philosoph, dass sich Staaten nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen dürfen, selbst wenn dort bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Das letzte Kant’sche Verbot: ehrlose Kriegsmethoden zu unterlassen, etwa Meuchelmord und Spionage. Diese untergraben den Frieden.
Um diese Verbote verwirklichen zu können, benötigt es nach Kant eine bestimmte Form von Gesellschaft. Eine, in der nicht alle Macht bei einem Despoten liegt; sondern eine republikanische Staatsform, die Gesetzgebung und Gesetzesanwendung trennt. In einer solchen Gesellschaft müssen alle Bürger einem Krieg zustimmen, was diesen weniger wahrscheinlich macht. Hinzukommen muss für den dauerhaften Frieden nach Kant dann auch ein Friedensbund der Staaten, der mäßigend auf andere Staaten einwirkt, indem er die Rechte der Staaten untereinander absichert.
Was damals wie eine Utopie klang, kommt einem zum Teil heute selbstverständlich vor. Unter dem Eindruck des Millionen Menschenleben fordernden Ersten Weltkriegs entstand im Zuge der Versailler Friedensverhandlungen der Völkerbund. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem noch mehr Menschen starben, gingen daraus die Vereinten Nationen (UNO) hervor, heute ein Zusammenschluss von 193 Staaten. Ebenfalls friedensfördernd war die Gründung des europäischen Staatenbunds, der Feinde von einst zu Partnern gemacht hat. Europa besteht heute ausschließlich aus republikanisch aufgebauten Staaten, auch wenn die Regierungen in Polen und Ungarn immer mehr Kontrolle über die Justiz gewonnen haben. Den Fokus nur auf Europa gesetzt, kommt das schon nah an Kants Ideal heran: 70 Jahre Frieden zwischen den europäischen Staaten, so lange wie noch nie, wie nicht oft genug betont werden kann.
Es erstaunt, wie fremd Kants Verbot heute wirkt, dass Staaten nicht verschenkt, nicht als Eigentum behandelt werden dürfen. Da muss man sich erst ins Gedächtnis rufen, dass Politik nicht mehr von Kaisern, Königen oder dem Adel gemacht wird, die Länder als Spielmasse für Heirats- und Familienpolitik betrachtet haben. Da hat – in den meisten Ländern der Welt – ein fundamentaler Wechsel stattgefunden.
Was Kriegsforscher ebenfalls sagen: Die Zahl der Kriege, in die Großmächte involviert sind, hat – seitdem Kant seine Friedensschrift veröffentlicht hat – abgenommen. Es gibt natürlich noch Kriege, aber die Zahl der Menschen, die seit dem Zweiten Weltkrieg jährlich durch Kriege sterben, sinkt – bei einigen Schwankungen.
Haben wir die Vorstufen von Kants dauerhafter Friedensidee erreicht? Auch da hilft ein Blick in die Geschichte, um zu sehen, auf welcher Basis zum Beispiel der Friede nach 1945 geschaffen wurde. Denn von Frieden sprach man da nicht, stattdessen schon von 1947 an vom Kalten Krieg, in dem die Westmächte unter Führung der USA mit den Ostmächten unter Führung der Sowjetunion lagen – ein beiderseitiges Wettrüsten inbegriffen.
Um mit Kant zu sprechen: Nicht der Friedensbund (also die Vereinten Nationen) schuf in diesen Jahren den Frieden zwischen den Supermächten, sondern die irre Logik des nuklearen Kriegs, der ein militärisches Patt durch aberwitzig große Atomwaffenarsenale herbeiführte. Ein Krieg hätte in dieser Situation fast zwangsläufig eine Eskalation ausgelöst, die in der wechselseitigen Totalvernichtung der Supermächte und der restlichen Welt geendet hätte. Erst das Ende des Kalten Krieges hat die Situation in Europa und auch weltweit entspannt.
Trotzdem sollte man die gefährlichen gegenwärtigen Tendenzen für neue Großkonflikte nicht auf die leichte Schulter nehmen: China rüstet auf und etabliert sich als Weltmacht neben den USA. Russland versucht, seinen Status zu behalten. Die atomaren Waffenarsenale bestehen weiter. Neue Atommächte sind hinzugekommen, darunter die Diktatur in Nord-Korea. An feindseligen Handlungen ist kein Mangel – ob nun in Form von herkömmlicher Spionage, gezielten Tötungen oder Cyberangriffen. Nach Kants Friedensschrift sollte das alles vermieden werden, um den dauerhaften, den ewigen Frieden nicht leichtfertig zu riskieren.
Deshalb hat – auch 370 Jahre nach dem Westfälischen Friedensschluss – das Augsburger Hohe Friedensfest nicht nur eine historische, sondern gleichzeitig auch eine zeitgeschichtliche Bedeutung: Friede ist für die Menschheit noch lange keine Selbstverständlichkeit.
Länder sollten nicht verkauft und verschenkt werden