Mindelheimer Zeitung

Wahlforsch­er sieht Laschet vorne

Bundestags­wahl Matthias Jung, Chef der Forschungs­gruppe Wahlen, über die schwierige Kampagne der Union, sich selbst überschätz­ende Grüne und warum SPD-Kandidat Olaf Scholz ein Problem mit seiner eigenen Partei hat

- Interview: Margit Hufnagel

Augsburg Trotz schwindend­er Sympathiew­erte sieht die Forschungs­gruppe Wahlen in Mannheim Armin Laschet als ersten Anwärter auf das Kanzleramt. Da die Union vermutlich die stärkste Fraktion stellen werde, sei der CDU-Chef quasi automatisc­h der Favorit, betont der Leiter der Forschungs­gruppe, Matthias Jung, im Interview mit unserer Redaktion. „Wobei: So richtig ist Wahlkampf bei Laschet ja noch gar nicht erkennbar.“Nach dem „Deutschlan­dtrend“der ARD käme er bei einer Direktwahl des Kanzlers nur noch auf 20 Prozent – ein Minus von acht Prozentpun­kten binnen eines Monats. Der SPD-Mann Olaf Scholz liegt bei 35 Prozent, die Grüne Annalena Baerbock bei 16 Prozent.

Herr Jung, Kanzlerin Angela Merkel verlässt nach 16 Jahren das Kanzleramt, eigentlich sollte man meinen, dass so etwas wie eine politische Aufbruchst­immung herrscht. Stattdesse­n kommt der Wahlkampf nicht in Schwung. Was ist da los?

Matthias Jung: Wieso sollte es einen Aufbruch geben, nur weil es einen Wechsel im Kanzleramt gibt? Das wäre vielleicht der Fall, wenn es eine weitverbre­itete Unzufriede­nheit mit der bisherigen Amtsinhabe­rin gäbe. Das Gegenteil ist aber der Fall. Unsere Umfragen zeigen, dass die Zufriedenh­eit mit der Arbeit der Kanzlerin auf einem hohen Niveau ist – weit über die Parteigren­zen hinweg. Und auch wenn es um die persönlich­e Beliebthei­t geht, hat Angela Merkel Bestwerte. Wir haben also ein ganz anderes Bild als das, was nach 16 Jahren Helmut Kohl vorgeherrs­cht hat. Man kann sogar den Eindruck bekommen, dass es einem Teil der Wählerscha­ft noch gar nicht so ganz bewusst geworden ist, dass da ein Wechsel stattfinde­t – das Entsetzen könnte also nach der Wahl umso größer sein, wenn einer der Kandidaten oder die Kandidatin zum Nachfolger bestimmt wird. Der Befund ist jedenfalls ziemlich eindeutig: Keiner der drei ist besonders gut gelitten.

Woran liegt das, dass weder Armin Laschet, noch Annalena Baerbock noch Olaf Scholz die Menschen von sich überzeugen können? Wenn Merkel so beliebt ist, könnte sich Laschet doch einfach als ihr natürliche­r Nachfolger inszeniere­n.

Jung: Armin Laschet hat im Prinzip den gleichen Fehler gemacht wie seine Vorgängeri­n Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Beide haben mit Blick auf innerparte­iliche Differenze­n – die absolut nichts mit der Stimmung in der Gesamtbevö­lkerung und auch nicht in der Wählerscha­ft der Union zu tun haben – auf Leute wie Friedrich Merz zu viel Rücksicht genommen. Laschet hat es unterlasse­n, sich in eine Kontinuitä­t mit Merkel einzufinde­n. Das Erfolgsrez­ept von Markus Söder ging anders. Er ist unter dem Motto angetreten: Das Erbe von Merkel bewahren. Und unter anderem deshalb hat er auch die besseren Werte. Besonders kurios ist das ja mit Blick in die Geschichte von CDU und CSU. Söder hat damit einen ganz anderen Kurs als sein Vorgänger Horst Seehofer eingeschla­gen und erhält dafür breite Unterstütz­ung aus der Bevölkerun­g.

Armin Laschet sitzt also gewisserma­ßen in der Falle: Entweder er macht es seiner Partei Recht oder den Wählern...

Jung: Er hat sich einfach viel zu spät in Richtung der potenziell­en Wählerscha­ft der Union orientiert. Das hängt auch zusammen mit dem verunglück­ten Prozedere rund um seine Nominierun­g als Parteivors­itzender und später als Kanzlerkan­didat. Das waren alles keine Glanzstück­e, die dazu geführt haben, dass ein strahlende­r Kandidat gekürt wurde. Es waren Hängeparti­en, knappe Gewinne. So schafft man keine große Dynamik und auch keine echte Perspektiv­e. Die Favoritenr­olle hat der Unions-Kanzlerkan­didat ein Stück weit trotzdem automatisc­h, weil auch bei schlechter Performanc­e die Union immer noch stärkste Fraktion im Bundestag werden dürfte.

Laschet hängt das Image des stolpernde­n Kandidaten an. Kann es gelingen, dieses Bild nochmal zu drehen?

Jung: Das ist sehr schwer. Ein Image ist schnell zerstört, es wieder aufzubauen ist viel schwierige­r, vor allem im Wahlkampf, wo jeder darauf giert, den kleinsten Fehler groß erscheinen zu lassen.

Warum geht es so gar nicht mehr um Inhalte?

Jung: Was heißt „mehr“? Es war doch schon immer eine Illusion, dass in Wahlkämpfe­n um die Details der Wahlprogra­mme gekämpft würde. Es geht in der Breite des Wahlkampfe­s immer nur um drei, vier Punkte, die eine grundsätzl­iche Linie einer Partei erkennen lassen. Bei denen müssen Partei und Kandidat überzeugen­d rüberzukom­men. Das sind diesmal der Komplex Corona und der Komplex Klima, beides mit ihren wirtschaft­lichen Dimensione­n. Aber tatsächlic­h haben wir gerade eine ganz komische Konzentrat­ion auf lauter Äußerlichk­eiten.

Haben die Nadelstich­e, die aus München kommen, Einfluss auf die Stimmung der Wähler?

Jung: Das nehmen Sie aus bayerische­r Perspektiv­e wahrschein­lich deutlicher wahr als es in der Breite der Bevölkerun­g bundesweit der Fall ist. Wenn man in die Geschichte schaut, etwa auf Strauß Stoiber und Seehofer, dann haben wir doch eine geradezu kooperativ­e WahlkampfS­timmung zwischen CDU und CSU. 2017 sprach die CSU noch von der Kanzlerin des Unrechts – das waren Töne, die im Moment nicht einmal ansatzweis­e angeschlag­en werden. Von Markus Söder kommen kleine Spitzen, die irgendwie auch zum

Selbstvers­tändnis der CSU gehören, die ja nicht irgendein Landesverb­and der CDU sein kann, sondern ein eigenes Profil braucht. Natürlich ist aber auch der Stil, mit dem Markus Söder Wahlkampf machen will, anders als der von Armin Laschet. Wobei: So richtig ist Wahlkampf bei Laschet ja noch gar nicht richtig erkennbar...

Schon Mitte August startet die Briefwahl. Der Wahlkampf könnte für viele Wählerinne­n und Wähler also ohnehin bald obsolet sein.

Jung: Zumindest teilweise wird sich ein Effekt aufheben, den wir in den vergangene­n Jahren vermehrt gesehen haben, nämlich, dass die Wahlentsch­eidung näher an den Wahltag heranrückt und deshalb auch der Wahlkampf immer später in die entscheide­nde Phase kommt. Aber wenn sich drei, vier Wochen vor der eigentlich­en Wahl ein erhebliche­r Teil der Wählerinne­n und Wähler festlegt, fließen Ereignisse, die danach stattfinde­n, nicht mehr in die Entscheidu­ng ein. Etwa beim letzten TV-Triell, dem Aufeinande­rtreffen der drei Kandidaten 14 Tage vor der Wahl, wird ein großer Teil der Wählerscha­ft die Stimme schon abgegeben haben. Aber man muss auch sehen, dass schon bisher diejenigen, die Briefwahl gemacht haben, ein stückweit sowieso eine stärkere Bindung an Parteien hatten, auch ein höheres Informatio­nsniveau. Die lassen sich von Wahlkampf-Effekten nicht so stark beeinfluss­en.

Die CDU ist nicht die einzige Partei, die ein Problem mit diesem Wahlkampf hat...

Jung: .... die SPD hat das auch. Eigentlich hat sie sogar das größte Problem. Sie hat einen Kanzlerkan­didaten, der für die Wähler durchaus attraktiv ist. Aber die SPD hat eine maximale Anstrengun­g unternomme­n, um zu demonstrie­ren, dass Olaf Scholz ungeeignet ist, die Partei als Vorsitzend­er nach außen zu präsentier­en. Von der SPD selbst ist dieser Link zwischen dem Kandidaten und der Partei beschädigt worden. Deshalb profitiert die SPD bisher auch nur sehr eingeschrä­nkt von den guten Werten von Olaf Scholz. Letztlich wird nämlich die Partei gewählt, und nicht der Kandidat.

Unterstell­en die Wähler der SPD womöglich, dass sie ohnehin nicht regieren will, weil sie ein Bündnis mit der Union ausschließ­t?

Jung: Wenn man davon ausgeht, dass die Union weiter eine schwache Performanc­e

abliefert, gibt es grundsätzl­ich die Möglichkei­t einer Ampel-Koalition. Einen Kanzler Scholz wird es aber nur geben, wenn es ihm gelingt, die SPD hochzuzieh­en und stärker werden zu lassen als die Grünen.

Auch die Grünen stecken im UmfrageTal. Hätte die Partei von Baerbock auf Robert Habeck wechseln sollen? Jung: Nachdem man die Kandidatin nominiert hatte, wäre es ein ganz gravierend­er Fehler gewesen, hier nochmal zu wechseln. Ob ein Kanzlerkan­didat Habeck wirklich so viel besser gewesen wäre, kann man auch infrage stellen. Da darf man sich nicht von aktuellen positiven Sympathiew­erten täuschen lassen. Hinzu kommt: Bei der letzten Bundestags­wahl kamen die Grünen noch nicht mal auf 9 Prozent. Der Ansatz, dass man jetzt stärkste Partei werden wollte und die Kanzlerin stellen will, war schlicht unrealisti­sch. Die jetzige Enttäuschu­ng über die Grünen rührt also auch aus diesem sehr überzogene­n Anspruch.

Welche Rolle spielt ein möglicher Verdruss über die Corona-Politik bei dieser Wahl?

Jung: Wir haben für das Politbarom­eter einen Trend festgestel­lt, dass die Zustimmung­swerte zwar etwas zurückgega­ngen sind. Aber: Die Zustimmung geht deshalb zurück, weil der Kurs in der Corona-Politik nicht mehr als ausreichen­d hart wahrgenomm­en wird. Den massivsten Einbruch hatten wir im Dezember, als sich Angela Merkel mit ihren Verschärfu­ngen nicht gegenüber den Ministerpr­äsidenten durchsetze­n konnte. Damals war zum ersten Mal keine Mehrheit mehr für die Corona-Politik der Regierung erkennbar. Jetzt fordert mit dem Herannahen der vierten Welle auch wieder fast ein Drittel der Befragten, dass die Maßnahmen wieder verschärft werden. Es ist auf jeden Fall eine konstante Stimmung in der Bevölkerun­g, die sich wesentlich von den medienwirk­samen Forderunge­n der Interessen­sverbände unterschei­det, die immer nur Lockerunge­n fordern. Die Mehrheit der Bevölkerun­g will das so nicht, sondern eher eine restriktiv­e, sehr vorsichtig­e Politik.

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Foto: Lukas Schulze, Getty Begossen: Armin Laschet, Ministerpr­äsident von Nordrhein‰Westfalen und Unions‰Kanzlerkan­didat, und Olaf Scholz, Bundesfina­nzminister und SPD‰Kanzlerkan­didat, mach‰ ten sich ein Bild von der Lage in den Hochwasser­gebieten.

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