Mindelheimer Zeitung

Der Sommer – ein Fest?

Zwischen Corona-Krise und Wetterkapr­iolen: Von geplatzten Träumen und ertrotzten Inseln der Freiheit – die August-Serie im

- / Von Wolfgang Schütz

Ach, wen stören denn die klitzeklei­nen Schwitzefl­eckchen am Hemdsärmel­ansatz? Groß und breit ist dagegen das Lächeln, es wirkt froh, hoffnungsv­oll, und es ist echt. An diesem strahlende­r Sommertag steht Armin Laschet auf einer Bühne im westlichen Ostwestfal­en und spricht vom Stolz, den man ruhig auch mal über Deutschlan­d empfinden dürfe, weil es trotz manchem Makel doch gut durch die globale Krise gekommen sei; von der Freiheit, die wie versproche­n zurückgeke­hrt sei; von der Zuversicht, um die es nun mit Blick auf die Herausford­erungen der Zukunft gehe.

Die Menschen auf dem sehr gut gefüllten Marktplatz schlecken maskenfrei Maracuja-Eis for free, die Stimmung ist gelöst, sie erwarten gar nicht viel von Laschet – und dafür scheint er genau der richtige Mann. Vor dem nächsten Grill- oder Stadtfest am Abend, vor der Fahrt am Wochenende auf ein Open-AirFestiva­l oder in befreite Urlaubsfer­ne, vor der Nacht im wiedereröf­fneten Klub – wer braucht da schon eine überengagi­ert die nächste Weltkrise in den endlich mal wolkenlose­n Himmel hinein beschwören­de Annalena? Oder einen verwaltung­saktsteif belehrende­n Olaf?

Der gute Armin nimmt einfach die Stimmung mit, die doch einfach gut ist, nachdem die Fußballer eine so gute EM vor vollen, jubelnden Stadien gespielt haben, wenn sie auch im Finale an den Italienern gescheiter­t sind – und da doch jetzt auch die bunten deutschen Athletinne­n und Athleten bei den so fröhlich gefeierten Olympische­n Spielen reichlich Grund zur Freude verbreiten. In einem solchen Sommer lässt’s sich eben gut merkeln …

Es ist bloß alles nicht so gekommen. Auch wenn es sicher nicht nur Armin Laschet so gewünscht hätte. Nicht nur der jedenfalls kaut wieder und weiter auf zähen Wörtern wie Impfpflich­t und Hochinzide­nzgebiet und Quarantäne und Hospitalit­ätsquote herum, die alles andere als Zuversicht verbreiten – das nur noch gelegentli­che Lächeln eher verkrampft (mit etwas anderen Schwitzefl­eckchen), wenn nicht ganz fehl am Platz. Denn dazu muss er sich ja noch der sehr schlechten Stimmung stellen, die in den Regionen herrscht, in denen die extremen Unwetter dieses Sommers bereits für Flutkatast­rophen gesorgt haben.

Dieses „Sommers“? Er, der eigentlich, das wissen nicht nur alle Sommerferi­enkinder, die Hochzeit der Freiheit ist, wirkt so nun wie zwischen gleich zwei Krisenries­en verzwergt, weil diese ihn auch ganz konkret in seinem Wesen bedrängen. Corona lässt die offene, gemeinsam genossene Freiheit höchstens draußen zu – dort aber schränken die Wetterkapr­iolen die Möglichkei­ten ein und wirken mit Düsterwolk­enturmhimm­eln und aufziehend­en Gewitterfr­onten wie Vorboten eines noch viel dauerhafte­ren Bruchs mit dem Gewohnten durch den Klimawande­l. Und so erntet, wer in Nachbarsch­aft und Arbeit oder auch nur unter Unbekannte­n, etwa beim Warten an der Tankstelle­nkasse, das Wort „Sommer“in

Mund nimmt, fast den gleichen Verdruss, wie wenn er „Wahlkampf“sagt. Beides nicht so die Stimmungsb­ringer. Politik: wirkt? Der Sommer: ein Fest? Noch jemand Glühwein? Während draußen ein neuer Regenguss runtergeht und im Radio die neusten Inzidenzst­eigerungen vermeldet werden, die Unwetter- und Flutwarnun­g für die nächsten Regionen verlautbar­t? Und bald wird es Herbst …

Dabei könnten wir dieses Jahr sogar ein epochales Jubiläum feiern. Denn die Ferien, die im Sommer eigentlich ihre größte Ausdehnung und Tiefe erreichen, in Wärme und Trägheit, im Unterwegs und Draußen, in Lockerheit und Feierfreud­e: Sie wurden vor genau 500 Jahren geboren. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation 1521 durch das festgesetz­te Recht auf geschäftsf­reie Tage, Feiertage, „feriae“. Und im Lauf der Jahrhunder­te, vor allem des vergangene­n, hat sich daraus etwas entwickelt, was wie viele auch die hiesige Gesellscha­ft im Inneren ihrer Lebensgest­altung wie im Äußerliche­n ihrer Städteentw­icklung tief geprägt hat: Freizeit.

Die moderne Gesellscha­ft ist eine Freizeitge­sellschaft, mit all ihren Shopping-, Event-, Vergnügung­s-, Erlebnis-, Ertüchtigu­ngs-, Erholungs-, Selbstfind­ungs- und Entspannun­gs-Angeboten – und der moderne Mensch einer, der seine

Work-Life-Balance effektiv und erfüllend auszutarie­ren versucht. Wohlstand schafft Gestaltung­sfreizeit. So wirken die noch anhaltende­n Beschränku­ngen durch Corona und sich ankündigen­den Beeinträch­tigungen durch das Klima nicht nur existenzge­fährdend für die darauf bauende Wirtschaft im Inneren wie im Äußeren, sondern überhaupt wie Stiche ins Herz dessen, was Freiheit heute zu meinen scheint: Freizeit – hier ist der Mensch, hier darf er’s sein. Zum Jubiläum aber gibt’s stattdesse­n nun im Großen den Kulturbruc­h, der eben nicht nur einen Corona-Sommer vorbeischa­ute; und im Kleinen reichlich zerstörte Träume und geplatzte Hoffnungen.

Aber Moment: Ganz so weit ist es nun auch wieder nicht gekommen. Denn zwischen den Krisenries­en haben sich die Freiheiten eben doch noch ihre Plätzchen gesucht und gefunden. Es sind Inseln der Freiheit, die ihren sinnigsten Ausdruck wohl im ungebremst anhaltende­n Boom zu immer neuen Rekordverk­äufen von Campingmob­ilen finden – aber auch weit in den Alltag ausstrahle­n. Vor allem den städtische­n. Denn auf dem Land, regnet es gerade mal nicht und hat der Metzger ja sowieso Lockdown, ist Freiheit ohnehin viel eher zu Haus.

Kann man auch nicht in die Disco oder zum Festival oder in den Urlaub fahren, trifft man sich eben so, geht an den See zum Baden, facht Grill oder Lagerfeuer an. Abends im Garten fährt keine Polizeibes­treife vorbei, gibt es kein Glasflasch­enverbot oder Alkoholaus­schanksbed­en schränkung­en, keine Kontaktkon­trollen. Und bleibt die aktuelle Flut weit weg, ist es das künftige Klima sowieso. Wo alles eh viel schneller privat ist, inzwischen fast überall das eigene Trampolin steht und der Pool aufgeblase­n wird, sind die Freiheitsi­nseln fast Normalität – wenn man sie nach der gewohnheit Globalfrei­heit denn wieder als solche entdeckt. Es geht einfach nicht mehr alles – und die Wetterkapr­iolen bringen eine Vorahnung davon, dass das so bleiben könnte. Aber es geht doch noch so einiges, vielleicht ohnehin das eigentlich Wichtigste. Das könnte sogar eine Lehre dieser Zeit bleiben.

Und in den Innenstädt­en? Werden Inseln gesucht, geschaffen oder auch wiedererka­nnt. Die Parks sind traditione­ll Freizeiträ­ume gewesen – und werden in diesen CoronaSomm­ern in lange nicht gesehenem Umfang wieder bevölkert. Sport und Picknick, aber auch Gelage und der sonst im Café stattfinde­nde Salsa-Kurs jetzt auch hier, nebenan Poweryoga auf der Wiese. Junge Menschen im Park in all die Jahre ungesehene­r Zahl. Denn die Bedürfniss­e treiben unweigerli­ch nach draußen. Sie sorgen auch für immer weiter wachsende Bestuhlung­en durch die Gastronomi­e im Stadtraum. Nebenan findet das Weltmusikf­estival zwar in abgespeckt­er und hygienebew­ährter Form statt – aber das von den Konzerten auf dieser Insel herüberweh­ende Gejohle ist um so inniger. Ja, so klingt der Sommer! In der Ferne dröhnt das etwas andere Volksfest, durch die Straßen flanieren bei jedem Sonnendurc­hbruch sofort viele, essen Eis, manchmal Maracuja.

Selbst wenn das Phone von Gewitter warnt, die Wolkenfron­t aufzieht: Hier kehrt keine Unruhe, setzt keine Flucht nach drinnen ein. Bloß bei kreischend vorbeirenn­enden Teenagern, die ums Outfit fürchten, nach Hause müssen, eben nicht die Zeit für den Gleichmut der anderen haben: Wenn es losgeht, kann man sich ja unterstell­en. Es wird schon bald wieder aufhören. Zumindest dieser Schauer.

Entwickelt sich so, draußen, in diesem sonderbare­n Sommer, wieder ein Gefühl dafür, auch in der eigenen Freiheit dem größeren Ganzen ausgeliefe­rt zu sein – und sich damit arrangiere­n zu müssen? Noch eine Lehre, eine auch politische? Aber von Demut ist auf den Wahlplakat­en nichts zu lesen. Und von Laschet nichts zu sehen. Ist ja Bayern, in Land und Stadt. Unten am Fluss sitzen bei gelegentli­ch doch milde strahlende­n Sonnenunte­rgängen immer viele Leute. Es ist trotzdem still, wie eine Andacht, eine sehr schöne, fast festliche Stimmung. Denn die Wolken sind abgezogen, für diesmal.

Es ist eine der vielen Freiheitsi­nseln des Sommers 2021. In dieser Journal-Serie werden wir in den kommenden Wochen einige davon besuchen. Herzlich willkommen.

Wegen nach draußen – aber da ist ja dieses Wetter!

Ins Herz der modernen Freizeitge­sellschaft

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Foto: Michael Schreiner

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