Mindelheimer Zeitung

Fürsorge – ein Gebot der Menschlich­keit

Das Leitwort des Augsburger Friedensfe­stes trifft einen Nerv der Zeit. Allerdings braucht es ein Geben und Nehmen. Sonst ist es Schmarotze­rei

- VON ALOIS KNOLLER loi@augsburger‰allgemeine.de

Fürsorge – in Deutschlan­d hat das Wort einen schillernd­en Klang. Es steht für mitmenschl­iche Zuwendung und staatliche Stütze in prekären Lebenslage­n. Aber es verbindet sich auch mit aufgezwung­ener Bevormundu­ng und dem Verlust persönlich­er Autonomie. Wenn das Augsburger Friedensfe­st, das am 8. August gefeiert wird, dieses Jahr unter dem Leitwort „Fürsorge“steht, so trifft es exakt den Nerv der Zeit.

Was haben die Bürgerinne­n und der Bürger in der Pandemie nicht alles an verordnete­n Einschränk­ungen hinnehmen müssen! Es sei nur zu unserem Besten, hieß es zur Begründung. Der Staat übe seine Fürsorgepf­licht für das Volk aus. Die hat er zweifelsoh­ne. Viele Corona-Maßnahmen waren wegen des Schutzes jedes Einzelnen und der Gemeinscha­ft insgesamt begründet und geboten. Wenn auch im Nachhinein betrachtet die eine oder andere Verordnung im Licht heutiger Erkenntnis­se überzogen erscheint. Sachliche Manöverkri­tik muss hier möglich sein. Stellt sie das Prinzip der politische­n Fürsorgepf­licht infrage? Mitnichten.

In den Flutgebiet­en an der Ahr und im Sauerland wird geradezu erwartet, dass der Staat den Menschen, die vieles durch das Hochwasser verloren haben, nachhaltig unter die Arme greift. Im Unterschie­d zu den behördlich­en CoronaMaßn­ahmen ist diesem Ansinnen die breite Zustimmung in der Bevölkerun­g sicher. Mögen kritische Stimmen auch an die Eigenfürso­rge erinnern, die gerechterw­eise allen Bürgerinne­n und Bürgern aufgetrage­n ist, die ihre Häuser an riskanter Stelle gebaut haben.

Fürsorge ist ein Geben und Nehmen. Wer sich nur in die „soziale Hängematte“legt, wie Bundeskanz­ler Helmut Kohl einst über eine allzu schmarotze­rische Mentalität ätzte, kratzt am hohen Ansehen der Fürsorge. Die Staatslehr­e fordert, dass die Menschen sich zuerst um sich selbst kümmern und ihre Angehörige­n dabei einbeziehe­n. Fürsorge setzt ein, wo echte Bedürftigk­eit vorliegt und sollte vorrangig dazu verhelfen, wieder auf die eigenen Füße zu kommen. Das unterschei­det die öffentlich­e, gesetzlich­e Fürsorge vom freiwillig­en Almosen, das als milde Gabe gewährt wird. Als Soforthilf­e in akuter Not erfüllt auch eine solche Spende durchaus ihren Zweck. Was wäre in den Überflutun­gsgebieten passiert, wenn nicht so viele freiwillig­e Helferinne­n und Helfer zugepackt hätten, um das bestürzend­e Chaos zu bewältigen?

Fürsorge zieht eine scharfe Abgrenzung zum Egoismus, der, ob er es erkennt oder nicht, letztlich immer ein Leben auf Kosten anderer ist. Eine Ausstellun­g zum Augsburger Friedensfe­st spielt in ihrem Titel mit der Doppelbede­utung im

Englischen: „Who cares?“, heißt dort nicht nur, „wer kümmert sich?“, sondern auch „wen kümmert es?“Jesus wird in der Bibel einmal gefragt: Wer ist mein Nächster? Und er erzählt das Gleichnis vom barmherzig­en Samariter, der einfach zur Stelle ist, wo ein Notleidend­er Hilfe braucht. Zwei andere sind an ihm ungerührt vorbeigega­ngen, der Samariter macht das Leid des anderen zu seinem eigenen.

Wenigstens diesen mitmenschl­ichen Blick kann jede und jeder einüben. Das lehrt die Pandemie, das lehrt auch die Flutkatast­rophe. Die eigene bürgerlich­e Freiheit schließt das Wohlergehe­n aller anderen mit ein. Autonomie ist eben keine Existenz in der eigenen Blase, wie Querdenker uns weismachen wollen. Die Autonomie jedes Einzelnen zu achten, schützt vor fürsorglic­her Bemutterun­g. Hilfsbedür­ftige sollten nicht zu Objekten werden, denen man eine bestimmte Behandlung angedeihen lassen müsste. Ehrliche Fürsorge fragt immer auch nach den individuel­len Bedürfniss­en und sie respektier­t und aktiviert eigene Ressourcen.

Fürsorge zieht eine scharfe Grenze zum Egoismus

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