Mindelheimer Zeitung

Deutscher Rekordbeit­rag für EU

Finanzen 2020 floss so viel Geld nach Brüssel wie nie zuvor. Die Regierung hält es für gut angelegt. Wie die Perspektiv­en sind

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Brüssel Deutschlan­d hat im vergangene­n Jahr trotz der Corona-Krise einen Rekordbetr­ag in den europäisch­en Gemeinscha­ftshaushal­t eingezahlt. 2020 wurden netto etwa 19,4 Milliarden Euro nach Brüssel überwiesen. Frankreich steuerte unter dem Strich mit 9,5 Milliarden Euro nur etwa halb so viel bei, Italien mit rund 6,3 Milliarden Euro weniger als ein Drittel. Der in absoluten Zahlen größte Nettoempfä­nger war Polen, das 12,4 Milliarden Euro mehr herausbeka­m, als es einzahlte. Danach folgten Griechenla­nd mit 5,6 Milliarden Euro sowie Rumänien und Ungarn mit je rund 4,7 Milliarden Euro.

Brisant sind die Zahlen vor allem wegen der großen Geldflüsse nach Polen und Ungarn. Beide Staaten stehen in der Kritik, weil ihnen gravierend­e Verstöße gegen Prinzipien der Rechtsstaa­tlichkeit und andere Grundwerte der EU vorgeworfe­n werden. Immer lauter werden deswegen derzeit Stimmen, die sich für eine Kürzung von EU-Zahlungen an Ungarn und Polen ausspreche­n. „Wenn wir verhindern wollen, dass sich Ungarn und Polen weiter zu Autokratie­n entwickeln, muss die EU-Kommission die Auszahlung von EU-Geld an Warschau und Budapest unmittelba­r stoppen“, fordert zum Beispiel der deutsche Grünen-Europaabge­ordnete Daniel Freund. Selbst die Vizepräsid­entin des Parlaments Katarina Barley (SPD) äußerte sich jüngst ebenfalls klar in diese Richtung.

Die sowohl für den EU-Haushalt als auch für die Einhaltung der Rechtsstaa­tlichkeit in der EU zuständige EU-Kommission wollte die Zahlen nicht kommentier­en. Die Brüsseler Behörde veröffentl­icht seit einiger Zeit nicht mehr die Bilanzen, weil sie befürchtet, dass die

Zahlen politisch instrument­alisiert werden könnten. Zudem wird in der Kommission darauf verwiesen, dass der EU-Haushalt im Vergleich zu den nationalen Budgets sehr klein sei und dass sich der Nutzen der EU-Mitgliedsc­haft nicht allein aus den Haushaltsz­ahlen ableiten lasse.

So wird zum Beispiel argumentie­rt, dass die finanziell­en Vorteile, die Export-Nationen wie Deutschlan­d durch freien Warenverke­hr haben, außen vor blieben. Dies wird auch in Berlin so gesehen. „Keine andere europäisch­e Volkswirts­chaft profitiert so sehr vom EU-Binnenmark­t wie die deutsche“, heißt es auf einer Webseite der Bundesregi­erung. Deutschlan­d zahle viel Geld in den EU-Topf ein, profitiere aber noch mehr davon.

Wie viel Geld ein EU-Staat in den Gemeinscha­ftshaushal­t einzahlen muss, richtet sich im Wesentlich­en nach seinem Anteil an der Wirtschaft­skraft der EU. Bedeutet die deutsche Lesart Entwarnung für Ungarn und Polen? Vermutlich nicht. Unter dem Druck von Ländern wie Deutschlan­d wurde ein Instrument geschaffen, mit dem Ländern Mittel aus dem Gemeinscha­ftsbudget gekürzt werden können, wenn wegen Rechtsstaa­tsverstöße­n ein Missbrauch des Geldes droht. Im Herbst sollen nach Angaben der EU-Kommission die ersten Verfahren auf den Weg gebracht werden.

Problemati­sch ist dabei allerdings, dass die Mittelkürz­ungen eigentlich keine negativen Auswirkung­en auf den normalen Bürger haben sollen. Wie dies bewerkstel­ligt werden soll, ist bislang unklar, weil der weit überwiegen­de Teil der EU-Ausgaben noch immer für die Einkommens­sicherung von Landwirten gezahlt wird und auch das Geld zur Unterstütz­ung vergleichs­weise wirtschaft­sschwacher Regionen oder für Infrastruk­turprojekt­e oder Forschung zahlreiche Arbeitsplä­tze sichert.

Fest steht schon jetzt, dass sich die Bilanz für Deutschlan­d weiter verschlech­tern wird. Bei den Verhandlun­gen zum EU-Finanzrahm­en für die Jahre 2021 bis 2027 haben die Bundesrepu­blik und die anderen Nettozahle­r eingewilli­gt, ihre Beiträge noch einmal zu erhöhen, um den durch den EU-Austritt des Nettozahle­rs Großbritan­nien entstehend­en Verlust weitgehend auszugleic­hen. Nach der Einigung wird Deutschlan­d jährlich brutto um die 40 Milliarden Euro in den europäisch­en Haushalt zahlen. In den vergangene­n Jahren waren es um die 30 Milliarden Euro gewesen.

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Foto: Z. Cheng, dpa Die EU‰Kommission in Brüssel bekommt immer mehr Geld vom Nettozahle­r Deutschlan­d.

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