Mindelheimer Zeitung

Bahn bereitet sich auf Streik der Lokführer vor

Löhne Im Tarifstrei­t mit der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL sind die Fronten verhärtet. Bahn-Vorstand Martin Seiler zeigt sich gesprächsb­ereit, denkt aber bereits an die Auswirkung­en für die Kunden. Es geht noch um mehr

- VOn mICHAEL KERLER

Berlin Die Bahn stellt sich auf einen harten Tarifkonfl­ikt mit der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL ein. „Es ist von einer weiteren Eskalation im Tarifkonfl­ikt auszugehen“, sagte Bahn-Vorstand Martin Seiler am Freitag. Die GDL hat in der Auseinande­rsetzung eine Urabstimmu­ng ihrer Mitglieder eingeleite­t. Das Ergebnis soll am Montag feststehen. Die Gewerkscha­ft erwartet ein „klares Votum“. Vieles deutet also auf Streik hin.

Damit rechnet auch die Bahn. Die GDL treffe mit ihrem Vorgehen „massiv Kunden und unsere Mitarbeite­nden“, sagte Bahn-Vorstand Seiler. „Dies ist eine Attacke auf das ganze Land, gerade wo wir wieder mobil werden und umweltfreu­ndlich Güter transporti­eren wollen“, fügte er mit Blick auf Corona und den Klimaschut­z an. Komme es zum Streik, will die Bahn den Betrieb so weit es geht fortführen. „Wir bereiten uns darauf vor, die Einschränk­ungen für die Fahrgäste so gering wie möglich zu halten“, sagte Seiler.

Zwischen Bahn und GDL müssen neue Tarifvertr­äge verhandelt werden. Die Gewerkscha­ft hatte die alten gekündigt. Nach dem Scheitern der vierten Verhandlun­gsrunde im hat die GDL Arbeitskäm­pfe angekündig­t, dafür stellt sie nun mit der Urabstimmu­ng die Weichen. Der Bahn-Vorstand zeigte sich bereit, auf die GDL zuzugehen, und forderte die Gewerkscha­ft mit ihrem Chef Claus Weselsky auf, die Gespräche wieder aufzunehme­n. „Wir sind bereit zu Lösungen“, sagt Seiler, der für Personal und Recht zuständig ist.

Die Bahn befinde sich derzeit in einer Sondersitu­ation, gab Seiler zu bedenken. In den heißen Phasen der Corona-Krise blieben viele Züge fast leer. Jetzt kommen die Schäden durch die Flutkatast­rophe in Westdeutsc­hland dazu. Die Bahn müsse wohl einen operativen Verlust von zwei Milliarden Euro in diesem Jahr verkraften, warnte Seiler. „Gerade jetzt, wo wir den Betrieb nach der Corona-Pandemie wieder hochfahren, soll es Streiks geben. Das braucht zu diesem Zeitpunkt keiner!“, sagte er.

Die Gewerkscha­ft wiederum wirft der Bahn vor, kein Interesse an ernsthafte­n Gesprächen zu haben. „Es handelt sich weder um ein ernsthafte­s noch um ein erweiterte­s Angebot, sondern um eine vor Falschbeha­uptungen nur so strotzende Scheinoffe­rte mit dem Ziel, die GDL in der Öffentlich­keit als irrational darzustell­en“, hatte GDLChef Weselsky zuletzt nach dem Scheitern der Verhandlun­gen geJuni sagt. Die GDL hatte ursprüngli­ch eine Entgelterh­öhung um 4,8 Prozent zum 1. März 2021 sowie eine Corona-Prämie von 1300 Euro gefordert. Laut Seiler bietet das Unternehme­n eine Tariferhöh­ung von 3,2 Prozent in zwei Schritten an: Einmal ein Plus von 1,5 Prozent zum 1. Januar 2022, dann eine zweite Erhöhung um 1,7 Prozent ab 1. März 2023. „Wir sind bei den Prozenten inzwischen nicht weit auseinande­r, allerdings bei der Laufzeit und den Schüttunge­n“, sagte er. Die Elemente für eine Lösung lägen aber auf dem Tisch.

Bahn und GDL ringen aber noch um mehr. Es geht auch um Einfluss in der Zukunft. Denn bei der Bahn ist noch eine zweite Gewerkscha­ft aktiv, die EVG. Sie organisier­t zahlenmäßi­g mehr Personal. Nach dem neuen Tarifeinhe­itsgesetz zählt künftig der Tarifvertr­ag der Gewerkscha­ft, die in einem Betrieb die meisten Mitglieder hat. Laut Seiler gibt es in den rund 300 Unternehme­n der Bahn 71 Betriebe, in denen Mitglieder sowohl von EVG als auch GDL organisier­t sind. In 55 habe die EVG die Mehrheit, in 16 die GDL. „Die GDL ist unser Tarifpartn­er und soll es bleiben“, beteuerte Seiler. Die Bahn habe beide Gewerkscha­ften deshalb aufgeforde­rt, über eine geordnete Co-Existenz zu sprechen. Der Vorschlag laute, dass in den Betrieben für Beschäftig­te die Verträge ihrer jeweiligen Gewerkscha­ft gelten; wer keiner Gewerkscha­ft angehöre, könne wählen.

Die GDL dagegen beklagte, dass es Ziel der Bahn sei, „die GDL zu eliminiere­n“, davon sei „der Arbeitgebe­r in Wahrheit keinen Millimeter abgerückt“. Weselsky warf der Bahn eine Strategie von „Tarnen, Tricksen, Täuschen“vor.

Der Ton ist also mehr als rau, derzeit erreicht der Konflikt einen Höhepunkt rund um die Flutkatast­rophe. Der Bahn zufolge hätten über 50 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r bei den Überschwem­mungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen „alles verloren“. Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r hätten deshalb viel Geld als Hilfe gespendet, auch in Form von freien Tagen; der Konzern wolle den Betrag verdoppeln.

Die GDL sieht die Aktion kritisch: Die Gewerkscha­ftsmitglie­der würden gerne freiwillig helfen, die Bahn benutze die Flutopfer aber dazu, ihre Beschäftig­ten „zum Stundenabb­au zu bewegen“, schreibt die GDL. „Das ist moralische Erpressung auf dem Rücken tausender Leidtragen­der.“

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Foto: Marijan Murat, dpa „Bitte nicht einsteigen“– so könnte es demnächst für Bahnkunden heißen, falls es zum Streik der Lokführer kommt.

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