Mindelheimer Zeitung

Ohne Druck bleiben die Energiekos­ten oben Debatte

Die Preise für Strom und Gas steigen immer weiter. Zu den hausgemach­ten Problemen in Deutschlan­d kommen geopolitis­che Risiken. Der Ausweg ist da, muss aber auch beschritte­n werden

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger‰allgemeine.de

Wem es angesichts niedriger Nachttempe­raturen dieser Tage in den Fingern juckt, vielleicht doch schon mal die Heizung ein wenig anzustelle­n, sollte das besser lassen. Die Kosten für Strom und Gas drohen in diesem Herbst und Winter zu explodiere­n. Statt hoher Raumtemper­aturen ist ein warmer Pullover da womöglich die bessere Wahl, zumindest schont solch sparsames Verhalten vorausscha­uend das Portemonna­ie. Denn die Situation am Energiemar­kt ist alarmieren­d: In der ersten Julihälfte 2021 wurden an der Strombörse nach Zahlen des Energiewir­tschaftlic­hen Instituts an der Uni Köln zeitweise mehr als 90 Euro pro Megawattst­unde bezahlt – so viel wie seit 2008 nicht mehr. Damit haben sich die Preise seit Anfang des Jahres etwa verdoppelt. Maßgeblich­e Faktoren sind laut EWI die Brennstoff­kosten für Steinkohle und Gas sowie die Preise für den Handel mit Co2-Zertifikat­en.

Die deutsche Politik ist im Wahlkampfm­odus und hat das Thema Energiekos­ten bislang ausgeklamm­ert. Denn die Parteien müssten viele Fragen aushalten, auf die sie so gut wie keine Antworten haben. Der Jahresabsc­hluss wird zeigen, dass die Energiepol­itik der letzten Jahre den Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn am Ende nur immer noch höhere Preise beschert hat. Schwarz-Rot verordnete etwa eine höhere Öko-Umlage und höhere Netzgebühr­en, die dann auf die Kunden abgewälzt wurden. Insgesamt ist nirgendwo in Europa der Strom teurer als in Deutschlan­d, die Preise ziehen gar weiter an. Und es kommt noch schlimmer, nicht nur für die private Kundschaft.

russische Präsident Wladimir Putin nutzt tatsächlic­h die Gaspipelin­e Nord Stream 2 als „politische Waffe“, wie es der CDUAußenex­perte Norbert Röttgen schon vor Wochen vorausahnt­e. Er dreht den Gashahn zu und zeigt, wie abhängig Länder wie Deutschlan­d von auswärtige­n Ressourcen sind. Das kann neben den Privathaus­halten auch die energiehun­grige Industrie hierzuland­e hart treffen.

Wenn im Land bald überwiegen­d Elektrofah­rzeuge rollen sollen, dann wird dafür mehr Strom gebraucht. Auch die Digitalisi­erung zieht einen erhöhten Energiebed­arf nach sich – selbst wenn man sich das beim Einschalte­n des heimischen PCs kaum klarmacht. Hinzu kommen klassische Industriez­weige wie die chemische Industrie, die auf Unmengen von Strom angewiesen ist. Hier könnte es bald zu weiteren Problemen kommen, weil die Wahlprogra­mme der etablierte­n Parteien allesamt einen niedrigere­n Strompreis verspreche­n. Den bekommt man allerdings nicht allein dadurch, dass die Einnahmen aus dem Handel mit CO2-Zertifikat­en an die privaten Haushalte weitergege­ben werden. Für niedrigere Strompreis­e müssen nach übereinDer stimmender Expertenme­inung auch die Preisprivi­legien für die Großkunden zumindest teilweise abgeschaff­t werden. Die Ausnahmen bei der EEG-Umlage etwa. Was den Strom für die großen Konzerne natürlich teurer machen würde.

Das Problem wäre kleiner, wäre der politische Druck bei Ausbau der erneuerbar­en Energien größer. Anders als noch vor zehn Jahren ist beispielsw­eise die Photovolta­ik heute preislich zwar wettbewerb­sfähig. Doch es werden trotzdem immer noch viel zu wenige Solaranlag­en installier­t. Finanziell­e Anreize reichen nicht, es muss strengere Vorgaben geben. Der erforderli­che Boom für grünen Strom aus Sonne (und Wind) kommt nur, wenn die Parteien notfalls in den Clinch mit der Bevölkerun­g gehen. Dann wird das auch was mit sinkenden Energiepre­isen. Und dem Klimaschut­z hilft es ohnehin.

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Foto: dpa Wenn der Strom nicht noch teurer wer‰ den soll, müssen mehr Windräder und Solaranlag­en gebaut werden.

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