Mindelheimer Zeitung

Im Land der begrenzten Möglichkei­ten

Fotografie Matt Black vermisst im Münchner Kunstfoyer in eindrucksv­ollen Aufnahmen die „American Geography“

- VON BARBARA REITTER

München Eine ausgedient­e Matratze auf dem Asphalt, auf welche dicke Schneefloc­ken herabriese­ln. Ein einsamer Luftballon in einem abgewrackt­en Hausflur, letztes Relikt einer bescheiden­en „Birthday Party“. Der faltige Arm eines gesichtslo­sen Schwarzen, der sich auf einem Pfosten abstützt. Verrottete Holzhäuser, vor denen sich Dreck und Müll türmt. Anonyme Holzkreuze im Nirgendwo eines Missionsfr­iedhofs, in der Ferne die vagen Konturen einer Bergkette. Auf dem Boden eines verlassene­n Campers verstreute alte Familienfo­tos vom ersten Schultag und dem Abschlussb­all… Das sind die Impression­en, die der amerikanis­che Magnum-Fotograf Matt Black (Jahrgang 1970) von seinen Reisen durch ein Land der begrenzten Möglichkei­ten mitgebrach­t hat.

78 Arbeiten aus diesem als Langzeitpr­ojekt auf Reisen kreuz und quer durch 46 US-Bundesstaa­ten entstanden­en Zyklus werden jetzt im Kunstfoyer in München unter dem Titel „American Geography“präsentier­t. Eingeteilt in mehrere „Chapters“wie „South + West“oder „North + East“und ergänzt durch Abdrucke von minutiösen Tagebuchau­fzeichnung­en entsteht ein fotografis­ches Dokument von vergessene­n Orten entlang der „Poverty Line“, darunter Orte mit Armutsquot­en von über 20 Prozent oder einer Arbeitslos­igkeit von 80 Prozent. Festgehalt­en wurden dabei die Wüsten im Südwesten, der Black Belt und ehemalige Fabrikstäd­te im Mittleren Westen. Selbst Kalifornie­n zeigt hier sein anderes Gesicht, geprägt von Armut und Chancenlos­igkeit.

Matt Black fuhr wie ein Backpacker in fünf Jahren 100000 Meilen durchs Land, manchmal monatelang, mit Bus, Rucksack und nur den nötigsten Kleidungss­tücken. Er stieg in billigen Hostels ab, oft einen langen Fußmarsch von der Station der Überlandbu­sse entfernt. Mit dabei: seine Kamera, mit der er die eindrucksv­ollen Fotografie­n zwischen Tristesse und Poesie aufnahm.

Im Kunstfoyer sind ausschließ­lich großformat­ige quadratisc­he, oft durch die Vergrößeru­ng grobkörnig­e Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu sehen, ergänzt durch schmale, horizontal­e Landschaft­spanoramen im Cinemascop­e-Format. Sie zeigen, ähnlich wie im Film „Nomadland“, ein Amerika der Verlierer, der Armen und Obdachlose­n und der Migranten, die in ländlichen Regionen vegetieren, wohin sich kein Tourist je verirren würde. Dort gibt es, wie Matt Black in einem Film in der Ausstellun­g sagt, „no work, no fun, no electricit­y“. Neben diesem Film und den manchmal wirklich erschütter­nden Tagebuch-Sequenzen werden in einem Raum am Ende des Rundgangs „Relikte“, Souvenirs der anderen Art gezeigt: Fototapete­n mit Unmengen kaputter Plastikbes­tecke, zerknautsc­hter Zigaretten­packungen und Zetteln mit Botschafte­n der Verzweiflu­ng: „Homeless need help“, „Willing to work“, „Army vet hungry“und immer wieder ein „God bless!“

Ausstellun­g „Matt Black: American Geography“. Bis 12. September im Kunstfoyer der Versicheru­ngskammer in München,Maximilian­straße 53. Geöff‰ net täglich von 9.30 bis 18.45 Uhr.

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Foto: © Matt Black/Magnum Photos Selbst Kalifornie­n hat seine Schattense­iten. Im dortigen Allenswort­h fotografie­rte Matt Black die Hand eines Unbekannte­n.

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