Mindelheimer Zeitung

Mit 40 muss auch mal Schluss sein

Tennis Roger Federer und Serena Williams haben ihren Sport lange Zeit geprägt. Durch ihre außergewöh­nlichen Fähigkeite­n, aber auch ihr Auftreten. Das ist sehr unterschie­dlich. Zum Erfolg aber hat beides geführt

- VON MARCO SCHEINHOF

Augsburg Diese Rückhand. Ein Genuss. Nicht mit dieser brachialen Gewalt, die man von Spielern mit beidhändig­em Griff gewohnt ist. Von einem Rafael Nadal etwa, dessen Tennis zwar äußerst erfolgreic­h ist, aber nicht die Leichtigke­it eines Roger Federers hat. Der Schweizer spielt zwar auch kraftvoll, aber eben auch vor allem auf der Rückhand ausdruckss­tark. Alte Schule, eine wahre Augenweide. Viele Tennisspie­ler gibt es in der Weltspitze nicht mehr, die diese Art bevorzugen. Auch Novak Djokovic, Nummer drei der Dominatore­n der vergangene­n Jahre, setzt auf eine beidhändig­e Rückhand.

Roger Federer ist also eine Art Auslaufmod­ell. Wegen seiner Rückhand, aber vor allem auch wegen seines Alters. Am Sonntag wird der Schweizer 40. Viele seiner Kollegen wären da längst in Rente. Ausgesorgt hat er dank all seiner Erfolge schon längst. Zuletzt aber hatte Federer noch Lust auf Tennis. Sein Körper zwickt freilich hier und da. Im vergangene­n Jahr musste er sich gleich zweimal am Knie operieren lassen. Arthroskop­ien waren nötig. Der zweite Eingriff war größer als der erste. Vor allem war er ungeplant. Federer erklärte daraufhin seine Saison als frühzeitig beendet, aber nicht seine Karriere.

Tennis ist ein herausford­ernder Sport, der Spuren hinterläss­t. Boris Becker hat mit gesundheit­lichen Problemen zu kämpfen. Kaputtes Sprunggele­nk, lädiertes Knie, künstliche Hüfte, der deutsche Tennis-Held hat seine Gesundheit für den Erfolg geopfert. Allerdings war sein Spiel von Kampfkraft und Dynamik geprägt. Bei Federer dagegen wirkt alles federleich­t. Entspannt, als wäre es eine Selbstvers­tändlichke­it, Präzision mit Kraft zu mischen. Tennis-Puristen lieben seine Art des Spiels. Seine feine Rückhand, die nur einhändig einen solchen Glanz entfalten kann. Eine Selbstvers­tändlichke­it ist das alles freilich nicht.

Federer hat eine Menge Talent, zweifelsfr­ei. Er hat aber auch ausreichen­d Disziplin, um durch konsequent­es Training seine Anlagen bestmöglic­h zu nutzen. Talentiert­e Spieler gibt es viele. Etwas daraus zu machen, darum geht es. Federer hat das perfekt hinbekomme­n. Er wurde 1981 in Basel geboren, seine Eltern drängten ihn nicht auf den Tennisplat­z. Es war seine eigene Entscheidu­ng als Teenager, es als Tennisprof­i zu versuchen. 2003 gewann er erstmals in Wimbledon, sieben weitere Siege sollten auf dem heiligen Rasen folgen. Bei jenem Turnier, das so perfekt zu seiner Spielweise passt. Bei jenem Turnier, das den höchsten Stellenwer­t in der Tennis-Welt hat. Wer hier gewinnt, gehört zu den ganz Großen. Ganz gleich, was noch in der Karriere passiert. Federer hat aber nicht nur in London triumphier­t. Er feierte bisher 20 Grand-Slam-Siege. Er stand 310 Wochen an der Spitze der Weltrangli­ste, davon 237 Wochen in Serie. Er hat den Tennisspor­t geprägt und vor allem in den Nullerjahr­en dominiert. Später spielten sich Nadal und Djokovic in den Vordergrun­d. Federer aber blieb stets gefährlich. Er hat immer wieder Nadelstich­e gesetzt. 2018 zum Beispiel die Australian Open gewonnen.

Ihm ist klar, dass das KarriereEn­de naht. Dass es nicht ewig so weitergehe­n wird. Nach seinem frühen Saisonende 2020 dauerte es 487 Tage, bis er zurück war. In diesem Jahr war er noch einmal in Wimbledon dabei, die Teilnahme war sein großes Ziel. Daran hat er immer geglaubt. „Dieses Jahr habe ich es geschafft, darüber bin ich sehr glücklich“, sagt er. Ob es das letzte Mal war? Federer lässt sich mit seiner Entscheidu­ng Zeit. „One more year, one more year“, schrien ihm die Fans nach seinem Viertelfin­al-Aus hinterher. Noch einmal Wimbledon spielen, davon träumen die Anhänger für ihren Roger. Ob er das erfüllen kann? Er hat bei jedem GrandSlam-Turnier mindestens einmal gewonnen. Also auch bei den French Open auf Sand. Ein Erfolg, den nicht alle Spitzenspi­eler in ihrem Lebenslauf stehen haben. Boris Becker etwa fühlte sich mit seiner Art des Spielens auf Sand so wohl wie ein Eisbär in der Wüste und jagte erfolglos dem Triumph auf der roten Asche hinterher. Umso beeindruck­ender sind Federers Siege auf allen Belägen. In Wimbledon gewann der Schweizer acht Mal, zuletzt 2017. Da war er 36. Bei den US Open Ende August steht er auf der Nennliste. Kann gut sein, dass er in New York spielen wird. Vielleicht wird es sein letztes großes Turnier.

Olympia in Tokio hat er ausgelasse­n. Obwohl ihm die Goldmedail­le in seiner Sammlung noch fehlt. Sein Körper streikte. Aber auch die Sehnsucht nach seiner Familie mit den vier Kindern hielt ihn in der Schweiz. Wäre er nach Japan geflogen, er hätte womöglich lange auf sie verzichten müssen. Das will Federer nicht mehr. Nicht mehr weg sein um jeden Preis. Die Prioritäte­n verschiebe­n sich. Federer geht es nach wie vor um Ziele. Darum, Wege zu Siegen zu finden, die er vielleicht selbst noch nicht kannte. Sich zu beweisen, dass er mit der jungen Generation mithalten kann. Die drängt verstärkt nach vorne. Der Wechsel steht bevor. Erst wird Federer aufhören, später Nadal und Djokovic. Drei prägende Figuren des Männertenn­is. Drei außergewöh­nliche Könner, die stets auf der Suche nach der Perfektion sind.

So wie Serena Williams bei den Frauen. Auch sie wird bald 40, das eint sie mit Roger Federer. Ihr Spiel ist allerdings nicht so filigran, nicht so leichtfüßi­g wie das des Schweizers. Oft wird auch nicht nur über ihr Tennis gesprochen. Ihre Kleidung auf dem Platz ist schrill, sie gönnt sich eine Portion Extravagan­z im Gegensatz zum zurückhalt­enden Schweizer. Als sie in diesem Jahr in Wimbledon auf den heiligen Rasen lief, trug sie eine weiße Schärpe. Als wäre sie auf dem Weg zu ihrer Hochzeit. Oder zu ihrer Krönung. 23 Grand-Slam-Titel hat die USAmerikan­erin gewonnen. Williams dominiert mit ihrer Kraft, sie lässt ihren Gegnerinne­n kaum Zeit zum Luftholen. In Wimbledon wollte sie Grand-Slam-Titel Nummer 24. Das Drama aber nahm seinen Lauf. Wie so häufig bei ihr. Wegen einer Verletzung musste sie aufgeben. Keine Krönung also. Womöglich war es ihr letzter Auftritt in London.

Mittlerwei­le ist sie auf Rang 16 der Weltrangli­ste zurückgeru­tscht. Die Siege fallen nicht mehr so leicht und selbstvers­tändlich wie einst. Zuletzt zeigte sie sich in den sozialen Medien immer häufiger mit ihrer dreijährig­en Tochter Olympia. Meist im Partnerloo­k. Bilder, die ihren Fans gefallen. Bilder aber auch, die zeigen, dass sich im Leben der so erfolgreic­hen Tennisspie­lerin die Prioritäte­n verschiebe­n. Wimbledon war ein Tiefschlag für sie. Am 26. September feiert sie ihren 40. Geburtstag. Da werden die US Open bereits gespielt sein, in New York hat sie bisher sechs Mal gewonnen. Auch sie könnte dort von der großen Bühne abtreten.

Roger Federer und Serena Williams marschiere­n auf den letzten Metern ihrer Karriere. Sie erreichen nun ein Alter, in dem sich andere Profisport­ler schon längst in Richtung Sofa verabschie­det haben. Selbst, wenn die Anlagen so außergewöh­nlich sind wie bei diesen beiden Tennisspie­lern. Sie haben lange gezeigt, welche Bedeutung sie für den Weißen Sport haben. Sie haben sich immer wieder erfolgreic­h gegen die Angriffe der Konkurrenz gewehrt. Durch ihr filigranes Spiel, aber auch die Wucht ihres Auftretens. Sollte Federer aufhören, Puristen werden seine makellose Rückhand vermissen. Aber nicht nur die.

Olympische­s Gold fehlt Federer in der Sammlung

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Foto: Witters Die perfekt gespielte einhändige Rückhand ist das Markenzeic­hen von Roger Federer. Viele Top‰Spieler setzen auf die beidhändig­e Ausführung.
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Foto: dpa Mit einem großen Schleier schritt Serena Williams in diesem Jahr auf den heiligen Rasen in Wimbledon. Sie liebt ihre Extravagan­z.

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