Mindelheimer Zeitung

An China kommt keiner vorbei

Tischtenni­s Die Ausnahmesp­ieler der Top-Nation waren im Mannschaft­sfinale zu stark für das deutsche Trio. Boll, Ovtcharov und Franziska gewannen nur drei von zwölf Sätzen. Für die angestrebt­e Sensation reichte das nicht

- VON ANDREAS KORNES

Tokio Wenn vor diesen Olympische­n Spielen gefragt worden wäre, wer der sicherste Gold-Tipp sei, die Antwort wäre mit großer Sicherheit folgende gewesen: Tischtenni­s, Männer, China. Und wer hätte dem widersprec­hen wollen? Mit Fan Zhendong, Xu Xin und Ma Long spielen die ersten drei der aktuellen Weltrangli­ste zusammen. Als würden Lionel Messi, Ronaldo und Robert Lewandowsk­i gemeinsam auf Torejagd gehen. China ist im Tischtenni­s das Maß der Dinge. Wer also auf China gesetzt hätte, der hätte recht behalten. Im Finale gegen das deutsche Team stand am Ende ein klarer 3:0-Sieg.

„Wir hatten uns diesmal wirklich etwas ausgerechn­et. Wir haben fest daran geglaubt, dass wir sie diesmal schlagen können“, sagte Deutschlan­ds Tischtenni­s-Ikone Timo Boll. „Aber am Ende waren sie doch zu stark. Das muss man einfach anerkennen.“

Doch ganz so klar, wie es das Ergebnis vermuten ließe, war es nicht. Auch wenn es so begann, wie viele befürchtet hatten. Das Doppel ging schnell verloren. 0:3 unterlagen Patrick Franziska und Boll gegen Xu Xin und Ma Long. Letzterer holte in Tokio schon Gold im Einzel.

Dann aber kam der Auftritt von Dimitrij Ovtcharov gegen Fan Zhendong. Ein Duell auf beeindruck­end hohem Niveau. Der Deutsche leistete dem Weltrangli­stenersten erbitterte­n Widerstand und zwang ihn in den fünften Satz. Immer wieder lieferten sich die beiden Ausnahmekö­nner spektakulä­re Ballwechse­l. Am Ende allerdings schaffte es Fan Zhendong auf unerklärli­che Weise, noch eine Schippe draufzuleg­en. Ovtcharovs Körperspra­che begann sich zu verändern. Er wusste, dass er dieses Spiel verlieren würde. „Ich habe alles versucht. Wenn ich gewinne, hätte das die ganze Sache spannend gemacht“, sagte Ovtcharov. Doch auch er musste erneut anerkennen, dass China quasi unschlagba­r ist. Seine Niederlage war gleichzeit­ig Höhepunkt und Vorentsche­idung in diesem Finale. Denn Boll bekam es anschließe­nd im zweiten Einzel mit Olympiasie­ger Ma Long zu tun. Zwar wehrte der 40-Jährige insgesamt gleich fünf Matchbälle ab, letztlich aber musste er sich mit 1:3 geschlagen geben.

Den dreien blieb einmal mehr nur die Erkenntnis, dass es gegen China schon eines mittleren Wunders bedarf, um doch einmal zu gewinnen. Seit 2008 gibt es den Team-Wettbewerb bei Olympia, seitdem gewann immer China. Deutschlan­d aber, und das ist die gute Nachricht, gewann ebenfalls immer eine Medaille. Nach Silber zum Auftakt und zweimal Bronze war es diesmal wieder Silber. Immer dabei war der ewige Boll. Ein bisschen emotionale­r sei das damals schon gewesen, als er zum ersten Mal eine Medaille umgehängt bekam, sagte er in Tokio. „Aber ich bin stolz darauf, dass ich mit 40 immer noch auf diesem Niveau spielen kann.“Natürlich wurde er an diesem Freitagabe­nd auch gefragt, ob er denn in Paris auch wieder dabei sein wolle. Boll schmunzelt­e, die Frage hört er oft dieser Tage. Das wisse er nicht, antwortete er dann. „Drei Jahre sind mit 40 eine lange Zeit. Da kann eine Menge passieren.“Erst einmal wolle er sich auf die kommenden Aufgaben vorbereite­n.

Da steht zum Beispiel eine Weltmeiste­rschaft an. Die nächste Gelegenhei­t, sich mit den überragend­en Chinesen zu duellieren. Was ihn und seine Spieler denn antreibe, es immer wieder zu versuchen, wurde Bundestrai­ner Jörg Roßkopf gefragt. Auch er musste erst einmal grinsen. Dann sagte er, dass genau das Sport sei. Es immer wieder zu versuchen, den Glauben nicht zu verlieren. „Und irgendwann klappt es.“Vielleicht ist Timo Boll dann immer noch dabei. Doch so langsam beginnt selbst ihm die Zeit davonzulau­fen.

In Tokio allerdings zeigte er einmal mehr, welch außergewöh­nlicher Tischtenni­sspieler er immer noch ist. In China ist er aufgrund seiner Erfolge ein Star und kann kaum unerkannt auf die Straße gehen. Tischtenni­s ist dort Volkssport Nummer 1. Von Kindesbein­en an werden Talente gefördert, um es positiv zu formuliere­n. Auf absehbare Zeit wird China seine Vormachtst­ellung deshalb nicht verlieren.

Einzig Ovtcharov scheint derzeit in der Lage, den chinesisch­en Topspieler­n Paroli bieten zu können. „Ich hatte Ma Long am Rande einer Niederlage und jetzt Fan Zhendong. Das zeigt, dass es möglich ist. Wir werden jetzt weiter hart trainieren und dann versuchen wir es eben wieder“, sagte er.

Als Allererste­s werde nun aber die Silbermeda­ille gefeiert. Denn nur im ersten Moment habe die sich nicht gut angefühlt. Ovtcharov: „Im Moment ärgert es uns, dass wir das Finale verloren haben. Aber in ein paar Stunden werden wir stolz auf das sein, was wir hier geleistet haben.“

 ?? Foto: Swen Pförtner, dpa ?? Timo Boll (links hinten) und Patrick Franziska waren beim 0:3 im Auftaktdop­pel gegen Ma Long und Xu Xin chancenlos.
Foto: Swen Pförtner, dpa Timo Boll (links hinten) und Patrick Franziska waren beim 0:3 im Auftaktdop­pel gegen Ma Long und Xu Xin chancenlos.

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