Nicht immer ein Bruch
Leistenschmerz Hinter dem Leiden können verschiedene Ursachen stecken. Wie diese sich äußern, wer häufig betroffen ist und wie Ärzte diagnostizieren
Schmerzt es stark im Leistenbereich, denken die meisten Menschen zuerst an einen Bruch. „Dieser Begriff ist völlig gängig und es kommt auch häufig vor“, erläutert Dr. Michael Hailer, Facharzt für Chirurgie am dem Klinikverbund Allgäu angeschlossenen Medizinischen Versorgungszentrum in Ottobeuren. Demnach entwickeln rund 0,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland pro Jahr einen Leistenbruch. Bei dieser sogenannten Hernie gibt das Bindegewebe der Bauchwand mit der Zeit nach. Sich „einen Leistenbruch zu heben“, wie es oft heißt, gibt es laut Hailer daher nicht. Durch die Leiste verlaufen Kanäle, die bei Männern aufgrund der Samenstränge deutlich dicker ausfallen. Das führt zu einer Art „Sollbruchstelle“, sodass neun von zehn Brüchen Männer treffen. Doch dies ist nur eine mögliche Ursache von Leisten-Problemen.
Patienten absolvieren häufig eine Ärzte-Odyssee. Das liegt laut Hailer daran, dass Leistenschmerz an der Schnittstelle verschiedener medizinischer Fachbereiche wie Gynäkologie und Urologie, Orthopädie, Chirurgie sowie Sportmedizin und Neurologie liegt. Er hat daher besonderes Interesse an dem Thema und sieht sich die Patienten als Ganzes an, um mögliche Ursachen finden zu können. Für die Diagnose sei die Anamnese, also das Patientengespräch, besonders wichtig. „Rund 60 Prozent der Diagnose erhalte ich durch Zuhören und mit gezielten Fragen“, sagt Hailer. Wie lange schmerzt es schon? Kommt ein bestimmtes Ereignis als Auslöser infrage? Wann tut es weh? So kann er die Ursache auf einige Wahrscheinlichkeiten eingrenzen. Diese gilt es dann mit der körperlichen Untersuchung und mit bildgebenden Methoden zu bestätigen oder zu widerlegen. Meist genügt dazu ein Ultraschall. Falls nicht, sollen die ebenfalls strahlungsfreien Schnittbilder einer Kernspintomografie Aufschluss geben. Folgende Faktoren können neben der Leistenhernie vorliegen:
● Fußballerleiste
Typische Patienten sind junge und ambitionierte Sportler. Nach dem Training können sie kaum noch auftreten. Denn der Muskelzug der Adduktoren am Oberschenkel verursacht eine Knochenreizung am Hüftgelenk, wobei sich ein Ödem im Knochen bilden kann. „Das ist eine undankbare Diagnose, weil es oft chronisch wird und nicht schnell physiotherapeutisch behandelbar ist“, erläutert Hailer. Hinzu kommt, dass Operationen und Cortisonspritzen aus ärztlicher Sicht ethisch nicht vertretbar seien. Schließlich handelt es sich beim Fußball meist um ein Hobby. Den Sport zu wechseln, kann das Problem bereits lösen. Fußballer sind besonders häufig betroffen, weil der Sport stark verbreitet ist und die Akteure plötzlich anlaufen, stehen bleiben und die Richtung wechseln. Beim Tritt gegen
Ball beschleunigt das Bein zuerst plötzlich, um dann abrupt abzubremsen. Hailer argumentiert: „Wer spielen will wie die Profis, muss auch trainieren wie die Profis.“Aufwärmen, Dehnübungen und gezielter Muskelaufbau kämen oft zu kurz.
● Arthrose des Hüftgelenks
Diese betrifft eher ältere Patienten. Ein Hinweis darauf kann sein, dass sie Anlaufschmerzen beim Gehen spüren. Doch nach einigen Hundert Metern lassen diese nach. Weil das Gelenk direkt in der Leistenbeuge sitzt, treten dort die Beschwerden auf.
● Hüftdysplasie
Diese mögliche Ursache kommt Hailer etwa bei folgenden Patienten in den Sinn: Junge Leute, in der Regel zu jung für eine Arthrose, die kein Fußball spielen und dennoch über Schmerzen in der Leistenbeuge klagen. Bei der Dysplasie sitzt die Hüftgelenkspfanne nicht gerade auf dem Oberschenkel(MRT) kopf. Diese angeborene Fehlstellung führt zu mehr Abrieb und birgt das Risiko früher Arthrose. Wichtig sei, Neugeborene darauf zu überprüfen und von Beginn der Dysplasie an mit Spreizhöschen entgegenzuwirken.
● Impingement
Diese Deformierungen am Hüftgelenk betreffen auch häufig junge Menschen. Knochenwulste oder -anbauten, sogenannte Bumps, schlagen an die Gelenkpfanne und beschädigen den Knorpel. Es droht erneut Arthrose. Helfen kann eine Hüftarthroskopie, also eine minimalinvasive Gelenkspiegelung mit einem Endoskop, und diese Bumps dann abzufräsen.
● Gynäkologische Ursachen
Bei Frauen kommt es schneller zu vergrößerten Lymphknoten an der Leiste, da sie aufgrund ihrer Anatomie eine stärkere Bakterienabwehr haben. Hier gilt es laut Hailer festzustellen, ob das normal ist und mit der Zeit wieder nachlässt. Ansonsden ten rät er eine Probe zu entnehmen um sicherzugehen, dass es sich nicht um einen Tumor handelt. Eine weitere Ursache für Leistenschmerz bei Frauen kann Endometriose sein. Dabei befindet sich, vereinfacht gesagt, Gebärmutterschleimhaut außerhalb des Uterus, zum Beispiel in der Leistengegend. Sie unterliegt dennoch dem Zyklus, sodass es alle vier Wochen schmerzt.
● Harnleitersteine
Befinden sich die Ablagerungen nah an der Blase, treten starke Leistenschmerzen auf. Es handelt sich um kolikartige, also krampfartige Schmerzen. Diese hören nach einer Behandlung der Harnleitersteine auf.
● Neurologische Ursachen
Kommen gar keine der genannten Möglichkeiten infrage, könnte es sich um neurologische Probleme handeln. In diesen Fällen kann die Ursache in der Lendenwirbelsäule liegen. Von dort aus verlaufen die Nerven gürtelförmig um den Körper.