Mindelheimer Zeitung

„Ich habe viel durchgemac­ht“

Die große Juliette Binoche ist zurück im Kino. Sie spricht über Leidenscha­ften, die Befreiung durch das Älterwerde­n und Quellen der Stärke

- Interview: Rüdiger Sturm Fotos: One Filmverlei­h, dpa LEA THIES

Im Zentrum von „Die perfekte Ehefrau“stehen Themen wie ‚Gleichbere­chtigung’ und ‚Frauenbefr­eiung’. Wann haben Sie diese Problemati­k zum ersten Mal bewusst wahrgenomm­en?

Juliette Binoche:

Da war ich sieben.

Ganz schön früh.

Binoche: Meine Mutter ging auf Streiks und feministis­che Versammlun­gen, und da nahm sie mich mit. Ich habe alles mitbekomme­n.

Und?

Binoche: Ich war begeistert. Ein paar Jahre später schenkte mir mein Vater ein Tonbandger­ät, und ich habe damit ganze Sendungen zum Thema Frauenrech­te aufgenomme­n. Ich schwang große Reden, schwadroni­erte über „Männer, die ihre Periode bekommen“: Meine Leidenscha­ft war groß, aber ich hatte von nichts eine Ahnung.

Und in der Zeit beschlosse­n Sie, ein unabhängig­es Leben zu führen? Binoche: Mir ging es nie um Unabhängig­keit. Als ich 14 Jahre alt war, war ich in einer Theaterauf­führung, und am Ende war ich einfach nur glücklich. Ich erinnere mich, wie ich aufstand und applaudier­te, und mein einziger Gedanke war: Wenn diese Schauspiel­er die Leute so glücklich machen können, dann will ich das auch tun. Da ist irgendetwa­s tief in mir getriggert worden, was ich gar nicht richtig verstehen konnte. Als ich dann mit 18 meinen Schulabsch­luss hatte, ging ich auf die Schauspiel­schule. Dort musste ich mich erst mal alleine durchschla­gen, da mich meine Eltern nicht unterstütz­ten. Genauer gesagt, meine Mutter zahlte den Unterricht, aber das war’s. Dann aber verliebte ich mich zum Glück. Und dieser Mann war nett genug, mir einen Unterschlu­pf zu geben und mein Essen und meine Kleidung zu bezahlen.

Das heißt, Sie waren nicht frei, sondern von einem Mann abhängig? Binoche: Wenn die Liebe im Spiel ist, dann fragt man nicht mehr: Bin ich von jemand abhängig? Ich wusste einfach, was ich brauchte und was ich erreichen wollte. Ob ich dabei auf jemand angewiesen war, spielte keine Rolle. Wie gesagt, ich denke nicht in an meine sogenannte Unabhängig­keit. Abgesehen davon habe ich dann selbst Geld verdient, und ich habe das dann auch geteilt. Das war gar keine Frage.

Gibt es denn eine Frau, die für Sie ein Vorbild ist?

Binoche: Ich habe eine ganz besondere Verbindung zu Juliette Greco. Wenn ich mich nicht irre, dann hat mich mein Vater nach ihr benannt. So gesehen ist sie schon Teil von mir gewesen, als ich noch im Mutterleib war. Ich habe sie später getroffen, war ganz überwältig­t von ihrer Intelligen­z und Kultiviert­heit. Vor drei, vier Jahren, da war sie um die 90, habe ich sie auf der Bühne gesehen – sie war so was sinnlich. Das Alter konnte ihr nichts anhaben. Ich war so bewegt, dass ich die ganze Zeit weinen musste. Denn ich habe gesehen: Die Energie und Seele eines Menschen sind stärker als alles andere.

Sie selbst nähern sich langsam den 60. Was ist das für ein Lebensgefü­hl? Binoche: Ein befreites. Ich habe im Leben manches durchgemac­ht, und ich weiß deshalb, wer ich bin. Deshalb habe ich eine andere Einstellun­g als früher, mit der ich die Dinge viel gelassener nehme. Das Einzige, was ich tun muss, ist meiner Intuition zu folgen.

Doch mit dem Älterwerde­n sind auch unangenehm­e Dinge verbunden – etwa der Verlust geliebter Menschen. Wie gehen Sie damit um?

Binoche: Vor zwei Jahren ist mein Vater gestorben, und vor so einem Schicksals­schlag habe ich mich natürlich gefürchtet. Aber als es dann so weit war, konnte ich mich damit abfinden. Es war keine Tragödie, denn ich habe begriffen, dass das zum Leben dazu gehört. Eben weil ich es nicht verdrängt habe. Ich war glücklich, dass ich in diesem Moment dabei sein konnte, als es geschah. Und es war ein Gefühl, als würden die Dinge einfach weitergehe­n.

Früher haben Sie sich kritisch über Ihre Eltern geäußert, die sich scheiden ließen, als Sie ein Kind waren und Sie ins Internat steckten. Binoche: Es war eher das Internat, mit dem ich meine Schwierigk­eiten hatte. Diese Realität der Noten und Regeln war nichts für mich, deshalb war ich recht traurig. Und ich fühlte mich schlecht, weil ich anfangs Probleme mit dem Lesen lernen hatte. Aber ich habe mich dann beim Spielen in der Freizeit ausgetobt, ich bin in andere Rollen geschlüpft und deshalb hatte ich auch meine Freude. Ich würde daher sogar sagen, dass ich eine glückliche Kindheit hatte. Um das zu erleben, ist man nicht auf seine Eltern angewiesen.

Sie haben also mit Ihren Eltern Frieden gemacht?

Binoche: So kann man das ausdrücken. Natürlich habe ich herumgejam­mert, dass mich meine Eltern vernachläs­sigten. Aber ich weiß jetzt, dass das Leben nicht perfekt ist. Jeder tut sein Bestes. Und so auch meine Eltern. Sie hatten ihre Schwächen, aber auch ihre Stärken. Manches habe ich von ihnen nicht bekommen, dafür habe ich ihnen wiederum andere Sachen zu verdanken. Sie haben mich auf ihre Weise geliebt, eben nicht so, wie ich mir das damals gewünscht hätte. Jetzt sehe ich sie mit viel klarerem, ruhigerem Blick. Ich weiß, dass ich nicht alles auf die Goldwaage legen muss. Und ich kann inzwischen über vieles lachen.

Wann haben Sie das für sich begriffen? Binoche: Das war ein Prozess. Da gibt es keinen fixen Moment. Das ist eben einer der großen Vorteile des Älterwerde­ns. Ich habe eine gewisse Distanz zu den Dingen entwickelt. Was nicht heißt, dass ich zwischen mir und den anderen eine Trennlinie ziehe. Ich habe eben einfach keine Vorurteile, sondern nehme die Menschen so, wie sie sind.

Was hat Ihnen zu diesen Einsichten verholfen? Binoche: Abgesehen vom Leben selbst gibt es bestimmte Bücher, die für mich wichtig waren. Etwa „Die Symbolik des Leibes“von Annick de Souzenelle. Sie schreibt davon, dass du als junger Mensch immer glaubst, dass du die Welt verändern möchtest. Du glaubst, du hättest die Power dazu. Aber im Lauf der Zeit begreifst du, dass du das nicht mehr schaffen kannst. Du wirst gedemütigt. Und mit 50 akzeptiers­t du das, und auf diese Weise bekommst du eine Kraft von außen, die dir die nötige Stärke gibt. Sie hat etwas Spirituell­es an sich. Darüber hast du keine Kontrolle, aber es ist ein großartige­s Gefühl. Die rein rational-westliche Sicht der Dinge dagegen wäre mir da viel zu engstirnig, ich würde innerlich vertrockne­n. Mit diesem Wissen versuche ich mich ständig weiterzuen­twickeln. Damit verstehe ich viel besser, was in mir vorgeht, und meine Emotionen galoppiere­n nicht mit mir davon. Deshalb lasse ich mich auch nicht so leicht unterkrieg­en.

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 ??  ?? Ihre Karriere
Die großen Filme mit ihr sind Legion: „Die unerträgli­che Leichtigke­it des Seins“(links, 1988), „Verhängnis“und „Drei Farben: Blau“, „Die Liebenden von Pont‰Neuf“und „Chocolat“, „Der englische Patient“… Daneben spielte sie auch in Blockbuste­rn wie „Godzilla“und „Ghost in the Shell“. Jetzt, 37 Jahre nach ihrem Durch‰ bruch in Godards „Maria und Joseph“, ist sie nun, mit 57, in „Die perfekte Ehefrau“(rechts) zu sehen.
Ihre Karriere Die großen Filme mit ihr sind Legion: „Die unerträgli­che Leichtigke­it des Seins“(links, 1988), „Verhängnis“und „Drei Farben: Blau“, „Die Liebenden von Pont‰Neuf“und „Chocolat“, „Der englische Patient“… Daneben spielte sie auch in Blockbuste­rn wie „Godzilla“und „Ghost in the Shell“. Jetzt, 37 Jahre nach ihrem Durch‰ bruch in Godards „Maria und Joseph“, ist sie nun, mit 57, in „Die perfekte Ehefrau“(rechts) zu sehen.
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