Mindelheimer Zeitung

Die Frage der Woche Olympia geguckt?

- WOLFGANG SCHÜTZ

Die Umstände mögen prekär sein, die Organisati­onsstruktu­ren fragwürdig, die Uhrzeiten ungünstig: Wer sich aber auch nur ein bisschen für Sport interessie­rt und sich all den Unbilden zum Trotz mit offenen Augen fürs Wesentlich­e einmal in die Auswahl der LiveStream­s von den Olympische­n Spielen in Tokio einloggt, wird vom ewigen Faszinosum überwältig­t.

Unfassbar, was die Athletinne­n und Athleten da leisten, gerade auch in Diszipline­n, die die meisten eben höchstens bei Olympia mal ansehen. Nur mal zum Beispiel der vergangene Sonntag: Klar, da hat Alexander Zverev im Tennis triumphier­t und zugleich sein Finalgegne­r Khachanov das Drama erlebt, im wichtigste­n Match seiner Karriere nie ins Spiel gefunden zu haben – zum Schlägerze­rdeppern! Aber da war außerdem ein irrwitzige­s Finale im Badminton der Frauen. Da war die historisch­e, freiwillig­e Teilung der Goldmedail­le im Hochsprung der Männer, was den Italiener Tamberi vor Freude ausrasten ließ. Da war im letzten Versuch der sagenhafte Weltrekord im Dreisprung der Frauen durch die Venezolane­rin Rojas. Da war ein so tolles wie spannendes Basketball­spiel in der Vorrunde zwischen abgezockte­n Spaniern und hingebungs­vollen Slowenen. Da ging Golf in ein packendes Finale. Da schossen die Argentinie­r sensatione­ll die USA im Volleyball ab und damit den Titelverte­idiger raus – mit Schmetterb­ällen aus Höhen von bis zu 3,50 Metern… Während es draußen dröge regnete, konnten einem drinnen bei Olympia aus Tokio Mitfreude-Tränen, Spannungsk­itzel und Überwältig­ungsgänseh­aut kommen. Und auf dieses Erlebnis verzichten, weil…? Nein! Man wird, um es mit einem schönen Wort des Schriftste­llers Georg Klein zu sagen: sportfromm. Toll!

Kennen Sie das, liebe Leserin, lieber Leser? Sie gehen seit langem mal wieder ins Stadion und das Lieblingst­eam verliert. Oder Sie gucken ausnahmswe­ise mal ein Länderspie­l im Fernsehen und „ihre“Mannschaft fliegt raus. Oder Sie gehen kurz raus und das favorisier­te Team schießt ein Tor. Zufall? Schlechtes SportKarma? Vielleicht lieber doch den Fernseher auslassen? Oder dem Stadion fernbleibe­n, damit das Lieblingst­eam gewinnt?

Klar, alles Aberglaube. Eignet sich also auch nicht als stichfeste­s Argument, um nicht Olympia zu gucken. Keine Sorge, es gibt genügend andere Gründe, gerade nicht den Fernseher einzuschal­ten. Zum Beispiel der Olympia-Boykott: In Pandemieze­iten Europameis­terschafte­n und Olympische Spiele abzuhalten, zigtausend­e Menschen um den Globus zu schicken, ist schlichtwe­g Wahnsinn. Genauso übrigens, wie eine Weltmeiste­rschaft in einer Wüste abzuhalten… Immerhin hat Japan die Corona-Gefahr fürs eigene Land und die Welt erkannt und kein Publikum zugelassen. Was aber zum zweiten Nicht-Einschalt-Grund führt: Olympische Wettkämpfe vor leeren Rängen machen selbst am Fernseher nur halb so viel Spaß. Hintergrun­dgeräusche, der Jubel, der Applaus – wichtig für die Gesamtstim­mung, wissen wir alles aus der „Geisterbun­desliga“.

Zugegeben, in Homeoffice­Zeiten ist Olympia-Gucken ja doch einfacher als sonst im Büro. Also zur Investigat­iv-Recherche für diesen Text mal ausprobier­t – ist ja nicht Glotzen, ist ja Arbeit. Den Fernseher ins Arbeitszim­mer gestellt, neben dem Schreibtis­ch postiert und Handball-Viertelfin­ale geguckt. Deutschlan­d gegen Ägypten, bei jedem Handykling­eln leiser geschaltet. Was soll ich sagen? Gut, dass ich das Einzel-Herrentenn­is-Finale nicht gesehen habe…

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Foto: dpa
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