Die amerikanische Party ist abgesagt
USA Es galt als Event des Jahres: 700 Stars und Politiker wollten mit Ex-Präsident Obama 60. Geburtstag feiern. Ein bisschen hätte sich das Land auch selbst gerühmt für den Sieg gegen das Virus. Doch die Partyzone bleibt leer – genauso wie die Impfzentren
Die Gäste hatten ihre Tickets für die Fähre und die Unterkünfte auf der Urlaubsinsel Martha’s Vineyard vor der Küste von Massachusetts längst gebucht, als sie am Dienstag einen überraschenden Anruf erhielten. Wenn sie noch nicht unterwegs seien, mögen sie bitte zuhause bleiben, wurde ihnen mitgeteilt: Die Party sei abgesagt.
Tagelang hatten sich die amerikanischen Medien mit Berichten über das gesellschaftliche Ereignis dieses Sommers überschlagen: Angeblich 700 Prominente aus Film und Fernsehen, Spitzenpolitiker der Demokraten und Top-Parteispender wurden an diesem Samstag zur Feier des 60. Geburtstags von Ex-Präsident Barack Obama erwartet – darunter Oprah Winfrey, Steven Spielberg und George Clooney. Mit dem Jubilar anstoßen wollten sie auf dessen 11,8 Millionen Dollar teurem Anwesen mit riesiger Villa und kilometerweitem Atlantikblick im exklusiven Südosten der pittoresken Insel.
Doch daraus wird nichts. „Aufgrund der neuen Ausbreitung der Delta-Variante haben der Präsident und Frau Obama beschlossen, das Ereignis wesentlich zu verkleinern“, teilte eine Obama-Sprecherin am Mittwoch kurz mit. Nun sind nur die Familie und engste Freunde eingeladen.
Einen Monat nach dem Nationalfeiertag am 4. Juli, als Präsident Joe Biden bei einem großen Grillfest im Garten des Weißen Hauses freudestrahlend das Ende eines „dunklen Jahres der Pandemie und Isolation“verkündete, scheinen die USA in einer verhängnisvollen Zeitschleife festzuhängen: Die Zahl der täglichen Covid-Neuinfektionen ist binnen eines Monats von rund 10000 auf mehr als 90000 hochgeschnellt. Mit derzeit 50 000 Corona-Kranken in Kliniken ist das Land auf das März-Niveau zurückgeworfen. Und vielerorts müssen die längst eingemotteten Masken schnell wieder aufgesetzt werden.
„Es geht nicht um Politik. Es geht um Leben und Tod“: Im East Room des Weißen Hauses schlug Biden jetzt einen sehr ernsten Ton an. „Ich weiß, dass das frustrierend ist. Ich weiß, dass wir gehofft hatten, es wäre eine einfache, gerade Linie Probleme oder neue Herausforderungen. Aber so ist das wirkliche Leben nicht.“
Nach einem furiosen Start mit zeitweise vier Millionen Impfungen pro Tag und drastisch sinkenden Infektionszahlen im Frühjahr muss die Biden-Regierung nun einen zähen Zwei-Fronten-Krieg führen: Wie ein Buschbrand breitet sich die hochansteckende Delta-Variante des Coronavirus aus. Gleichzeitig stockt die Impfkampagne. Die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner ist inzwischen voll geimpft. Beim Rest gibt es massive Widerstände, die von Republikanern, Verschwörungsideologinnen und rechten Propagandisten des Senders
Fox News mit Falschmeldungen über schlimme Nebenwirkungen oder geheime Chip-Implantate befeuert werden.
So ist der Covid-Schutz im Land höchst ungleich verteilt. Nach einer aktuellen Studie der Kaiser-FamilyStiftung sind Wähler der Demokraten, ältere Bürger und Menschen mit Hochschul-Abschluss ganz überwiegend geimpft. Hingegen liegen die Landbevölkerung und Fans der Republikaner deutlich zurück. Geographisch gibt es ein krasses Gefälle zwischen der Ostküste mit Impfquoten weit über 65 Prozent und den konservativen Südstaaten Mississippi, Alabama, Arkansas und Louisiana, wo sich nur jeder dritte Einwohner hat vakzinieren lassen. Hier und in Florida verbreitet sich das Virus besonders schnell.
„Die nächsten Wochen sehen gar nicht gut aus“, fürchtet Murtaza Akhter, ein Notarzt am Kendall Regional Medical Center im Westen von Miami. Alleine der Bundesstaat Florida verzeichnet derzeit täglich 18000 Neu-Infektionen und 11000 Krankenhauspatientinnen und - patienten. Akhters Hospital wird von einer Covid-Welle überrollt: „Die Patienten werden immer jünger, und praktisch alle sind ungeimpft“, berichtete der Mediziner dem Sender PBS. Was ihn am meisten schockiere, sei die Verbohrtheit vieler Impfgegner und -gegnerinnen: „Die liegen im Krankenhaus und leugnen immer noch die Gefahr.“
Berichte über sogenannte Impfdurchbrüche, bei denen sich Geimpfte wie jüngst der republikanische Senator Lindsey Graham trotzdem anstecken, erschweren den Kampf zusätzlich. Zwar verlaufen derartige Infektionen fast immer harmlos oder mild. Sie werden gleichwohl von den Impfgegnern propagandistisch ausgenutzt. Vor allem macht die Möglichkeit einer Infektion trotz Impfung nach Einschätzung der Seuchenbehörde CDC das Tragen von Masken auch für Geimpfte wieder erforderlich.
Das aber befeuert den fanatischen Kulturkampf der Rechten. Dass die republikanische Abgeordnete und Trump-Verehrerin Marjorie Taylor Greene den Mund-Nasen-Schutz mit dem Davidstern im Nationalsozialismus verglich, ist kein Ausreiohne ßer. Überall dämonisieren Mitglieder der Republikaner das Stofftuch als Angriff auf ihre Grundrechte. „Wir werden Joe Biden und seinen bürokratischen Lakaien nicht erlauben, herzukommen und die Rechte und Freiheiten der Floridaner zu beschlagnahmen“, poltert Floridas Gouverneur Ron DeSantis. Demonstrativ hat er wie sein texanischer Kollege Greg Abbott sämtliche Masken-Vorschriften untersagt. Damit läuft die Washingtoner Pandemie-Bekämpfung im zweit- und drittgrößten Bundesstaat der USA faktisch ins Leere.
Entsprechend aufgebracht ist der Präsident. „Wenn Ihr schon nicht helfen wollt“, schimpfte Biden ungewohnt harsch in Richtung der beiden republikanischen Gouverneure, „dann geht zumindest den Leuten aus dem Weg, die versuchen, das Richtige zu tun. Gebraucht Eure Macht, um Leben zu retten!“
Angesichts der massiven Gefahr einer neuen Corona-Welle, die zu Beginn des Schuljahres auch die Kinder erfassen könnte, ist Biden nun entschlossen, seine eigene Macht auszutesten und den Druck für eine schnellere Immunisierung deutlich zu erhöhen. Immer noch sind trotz aller Anreize vom Einkaufsgutschein über kostenlose Metro-Tickets bis zu spektakulären Millionen-Lotterien landesweit rund 30 Prozent der erwachsenen Amerikaner nicht geimpft. Laut der Erhebung der Kaiser-Family-Foundation warten zehn Prozent ab. Drei Prozent wollen nur bei Zwang reagieren. Und 14 Prozent wollen die Spritze definitiv verweigern. Eine Herdenimmunisierung ist so nicht zu erreichen.
Deshalb wirft Biden nun ein lange gehegtes politisches Tabu über Bord: die Freiwilligkeit der Impfung. Schon im Mai hatte die Krankenhauskette Houston Methodist Hospital von ihren 25000 Beschäftigten eine Immunisierung verlangt und 153 Impfverweigerer vor die Tür gesetzt. Eine Klage dagegen wurde vor Gericht abgewiesen. Damit war der Damm gebrochen.
Inzwischen verlangt auch das Veteranenministerium von seinem medizinischen Personal eine Impfung, und das Verteidigungsministerium bereitet eine ähnliche Regelung fürs Militär vor, die inkrafttreten dürfte, sobald das Biontech-Vakzin – wie allgemein erwartet – im kommenden Monat in den USA statt der bisherigen Notfallerlaubnis eine endgültige Zulassung erhält.
Auch Städte wie New York, Los Angeles oder San Francisco schreiben ihren Beschäftigten inzwischen entweder eine Impfung oder regelmäßige Tests vor. Größere Hoffnungen aber setzt man in Washington auf die Privatwirtschaft, seit auch außerhalb des Gesundheitswesens namhafte Unternehmen den Druck erhöhen. So fordert der weltgrößte Fleischvermarkter Tyson Foods ab November von seinen 120000 US-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern einen Impfnachweis als Voraussetzung für die Weiterbeschäftigung. Immerhin gibt es dafür einen 200-Dollar-Bonus. Der ITRiese Microsoft verlangt einen entsprechenden Nachweis von allen 100000 Beschäftigten und Handelstreibenden, die die Bürogebäude betreten. Auch der Unterhaltungskonzern Walt Disney führt ein Impfgebot für Angestellte ein. Andere Unternehmen sind noch vorsichtiger. So gilt das Impfgebot bei der Handelskette Walmart nur für die Konzernzentrale in Arkansas, nicht für die Supermärkte überall im Land. Der Versandriese Amazon, McDonald’s und die drei amerikanischen Autokonzerne halten sich zurück. Sie fürchten Konflikte mit den Gewerkschaften oder Personalengpässe angesichts des ohnehin bestehenden Mangels an Niedriglöhnern.
„Ich möchte Walmart, Google, Netflix, Disney und Tyson für ihre jüngsten Entscheidungen danken“, stellte sich Biden ausdrücklich auf die Seite der Impfvorkämpfer in der Wirtschaft: „Ich weiß, es ist nicht einfach. Aber ich stehe hinter Ihnen.“Noch stärkere Wirkung könnte freilich eine neue Regelung aus New York haben: In der größten Stadt des Landes muss man ab Mitte diesen Monats einen Impfnachweis vorlegen, wenn man das Innere eines Restaurants, ein Fitnessstudio oder ein Kino besuchen will.
Zwar erscheint es eher unwahrscheinlich, dass republikanische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Landeschefs und Gouverneurinnen diesem Beispiel folgen. Mit Genugtuung verfolgt man aber im Weißen Haus, dass die harte republikanische Ablehnungsfront gegen Impfungen angesichts der dramatischen Infektionszahlen zu bröckeln beginnt. Zwei Fox-Moderatoren haben sich kürzlich für die Vakzinierung ausgesprochen. Asa Hutchinson, der republikanische Gouverneur von Arkansas, wirbt für die Spritze. Und seine republikanische Kollegin Kay Ivey aus Alabama fordert: „Es ist Zeit, die Ungeimpften zur Verantwortung zu ziehen. Sie lassen uns im Stich.“
Tatsächlich sind die Impfzahlen in den vergangenen Tagen leicht gestiegen. „Das sind ermutigende Zeichen“, sagt Biden. Aber mehr ist es nicht.
Die CovidKranken werden immer jünger
Die republikanische Ablehnung bröckelt