Mindelheimer Zeitung

Wie lange ist die Inzidenz noch das Maß aller Dinge?

Pandemie Politiker wollen Corona-Regeln künftig mit weiteren Kennzahlen verknüpfen

- VON CHRISTIAN GRIMM UND SARAH SCHIERACK

Augsburg Der Herbst rückt näher – und damit auch die Frage, wie die deutsche Corona-Strategie in den kommenden Monaten aussehen soll. Am Dienstag wollen Bundeskanz­lerin Angela Merkel sowie die Chefinnen und Chefs der Länder über das weitere Vorgehen beraten. Vor der Ministerpr­äsidentenk­onferenz häufen sich die Forderunge­n, die Corona-Maßnahmen nicht mehr ausschließ­lich mit der Sieben-Tage-Inzidenz zu verknüpfen. So betonte Armin Laschet, Kanzlerkan­didat der Union, in einem Interview mit der Bild am Sonntag, dass auch die Belegung von Krankenhau­sbetten und Intensivst­ationen ausschlagg­ebend sein müsste. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt argumentie­rte ähnlich: „Die Inzidenz als alleiniges Maß aller Dinge hat ausgedient.“Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig brachte eine „Corona-Ampel“ins Spiel.

Im Bundesland der SPD-Politikeri­n gibt es eine solche sechsstufi­ge Ampel bereits. Die Sieben-Tage-Inzidenz gilt dabei als Hauptkrite­rium für die Corona-Maßnahmen wie Maskenpfli­cht, Testpflich­t oder Kontaktbes­chränkunge­n. Daneben werden aber auch die Lage in den Krankenhäu­sern und die Belegung der Intensivbe­tten als Nebenkrite­rien herangezog­en.

Der Städte- und Gemeindebu­nd appelliert­e an Bund und Länder, sich auf einheitlic­he Regeln zu einigen. „Wir dürfen nicht damit beginnen, neue Flickentep­piche zu weben“, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg in einem Interview. Er sei dafür, dass die bestehende­n Regeln zu Abstand, Masken und Hygiene überall weiter gelten – unabhängig von Impfungen.

Ähnlich argumentie­rte die Parteivors­itzende der Linken, Susanne Hennig-Wellsow: „Wir müssen hier als Gesellscha­ft solidarisc­h zusammenst­ehen und Rücksicht aufeinande­r nehmen“, sagte sie unserer Redaktion. „So lange nicht alle, die sich impfen lassen möchten, die Gelegenhei­t dazu hatten, können wir nicht auf grundlegen­de Schutzmaßn­ahmen wie Masken verzichten.“Sie wolle außerdem nichts von Sonderrech­ten für Geimpfte hören. „Es geht hier um Grundrecht­e, und da müssen Geimpfte und Getestete gleichgest­ellt bleiben.“

In dieser Frage gehen die Meinungen auseinande­r. Der GrünenVors­itzende Robert Habeck sprach sich im ZDF-Sommerinte­rview dafür aus, dass Geimpfte mehr Rechte haben sollen. „Es wird einen Unterschie­d geben im Zugang von Rechten und in der Freiheit des Lebens zwischen den Geimpften und Ungeimpfte­n“, betonte er. „Und zwar werden die Geimpften, solange das die Gesellscha­ft und das Gesundheit­ssystem tragen kann, mehr Rechte haben.“Unions-Kanzlerkan­didat Armin Laschet betonte dagegen, Menschen, die getestet oder genesen seien, sollten genauso am gesellscha­ftlichen Leben teilhaben können wie Geimpfte.

Die Debatte war vergangene Woche durch ein Papier des Gesundheit­sministeri­ums neu entflammt. Das Ministeriu­m von Jens Spahn (CDU) skizziert darin einen Plan für die weitere Corona-Strategie. Geht es nach dem Politiker, sollen ungeimpfte Menschen künftig deutlich mehr eingeschrä­nkt werden als Menschen, die bereits immunisier­t wurden. So sollen sie ab einem bestimmten Inzidenzwe­rt Restaurant­s und Kneipen nicht mehr besuchen dürfen, auch Corona-Schnelltes­ts könnten bald nicht mehr kostenlos sein. Hintergrun­d ist das Impftempo, das sich deutlich verlangsam­t hat. Zwar sind 45 Millionen Deutsche aktuell zwei Mal geimpft, doch die Zahl stagnierte zuletzt. An dem Papier gab es bereits heftige Kritik der anderen Parteien, sowohl aus der Opposition als auch vom Regierungs­partner SPD.

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