Wie lange ist die Inzidenz noch das Maß aller Dinge?
Pandemie Politiker wollen Corona-Regeln künftig mit weiteren Kennzahlen verknüpfen
Augsburg Der Herbst rückt näher – und damit auch die Frage, wie die deutsche Corona-Strategie in den kommenden Monaten aussehen soll. Am Dienstag wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie die Chefinnen und Chefs der Länder über das weitere Vorgehen beraten. Vor der Ministerpräsidentenkonferenz häufen sich die Forderungen, die Corona-Maßnahmen nicht mehr ausschließlich mit der Sieben-Tage-Inzidenz zu verknüpfen. So betonte Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union, in einem Interview mit der Bild am Sonntag, dass auch die Belegung von Krankenhausbetten und Intensivstationen ausschlaggebend sein müsste. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt argumentierte ähnlich: „Die Inzidenz als alleiniges Maß aller Dinge hat ausgedient.“Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig brachte eine „Corona-Ampel“ins Spiel.
Im Bundesland der SPD-Politikerin gibt es eine solche sechsstufige Ampel bereits. Die Sieben-Tage-Inzidenz gilt dabei als Hauptkriterium für die Corona-Maßnahmen wie Maskenpflicht, Testpflicht oder Kontaktbeschränkungen. Daneben werden aber auch die Lage in den Krankenhäusern und die Belegung der Intensivbetten als Nebenkriterien herangezogen.
Der Städte- und Gemeindebund appellierte an Bund und Länder, sich auf einheitliche Regeln zu einigen. „Wir dürfen nicht damit beginnen, neue Flickenteppiche zu weben“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg in einem Interview. Er sei dafür, dass die bestehenden Regeln zu Abstand, Masken und Hygiene überall weiter gelten – unabhängig von Impfungen.
Ähnlich argumentierte die Parteivorsitzende der Linken, Susanne Hennig-Wellsow: „Wir müssen hier als Gesellschaft solidarisch zusammenstehen und Rücksicht aufeinander nehmen“, sagte sie unserer Redaktion. „So lange nicht alle, die sich impfen lassen möchten, die Gelegenheit dazu hatten, können wir nicht auf grundlegende Schutzmaßnahmen wie Masken verzichten.“Sie wolle außerdem nichts von Sonderrechten für Geimpfte hören. „Es geht hier um Grundrechte, und da müssen Geimpfte und Getestete gleichgestellt bleiben.“
In dieser Frage gehen die Meinungen auseinander. Der GrünenVorsitzende Robert Habeck sprach sich im ZDF-Sommerinterview dafür aus, dass Geimpfte mehr Rechte haben sollen. „Es wird einen Unterschied geben im Zugang von Rechten und in der Freiheit des Lebens zwischen den Geimpften und Ungeimpften“, betonte er. „Und zwar werden die Geimpften, solange das die Gesellschaft und das Gesundheitssystem tragen kann, mehr Rechte haben.“Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet betonte dagegen, Menschen, die getestet oder genesen seien, sollten genauso am gesellschaftlichen Leben teilhaben können wie Geimpfte.
Die Debatte war vergangene Woche durch ein Papier des Gesundheitsministeriums neu entflammt. Das Ministerium von Jens Spahn (CDU) skizziert darin einen Plan für die weitere Corona-Strategie. Geht es nach dem Politiker, sollen ungeimpfte Menschen künftig deutlich mehr eingeschränkt werden als Menschen, die bereits immunisiert wurden. So sollen sie ab einem bestimmten Inzidenzwert Restaurants und Kneipen nicht mehr besuchen dürfen, auch Corona-Schnelltests könnten bald nicht mehr kostenlos sein. Hintergrund ist das Impftempo, das sich deutlich verlangsamt hat. Zwar sind 45 Millionen Deutsche aktuell zwei Mal geimpft, doch die Zahl stagnierte zuletzt. An dem Papier gab es bereits heftige Kritik der anderen Parteien, sowohl aus der Opposition als auch vom Regierungspartner SPD.