Mindelheimer Zeitung

Der Machtfakto­r soziale Medien

Digital Die Grüne Ricarda Lang kandidiert für den Bundestag und gibt auf Instagram Einblicke in ihre Arbeit. CDU-Politiker Ruprecht Polenz ist 75 Jahre alt, aber auf Twitter aktiver als andere. Wie die Bedeutung der digitalen Vernetzung wächst

- VON SUSANNE KLÖPFER

Berlin Der Wahlkampf ist für Ricarda Lang in vollem Gange. Die 27-Jährige kandidiert für die Bundestags­wahl im Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd in BadenWürtt­emberg. Vormittags war die Bundesvors­itzende und frauenpoli­tische Sprecherin der Grünen mit ihrem Stand auf dem Markt in Mutlangen, einer Gemeinde in der Nähe von Schwäbisch Gmünd. In ihrem Kalender stehen zudem Besuche bei lokalen Unternehme­n und eine Flyer-Aktion. An diesem Tag erreicht sie mit ihrem Programm nicht nur die Menschen vor Ort, sondern auch ihre 16400 Abonnenten und Abonnentin­nen auf Instagram, mit denen sie ihren Tag teilt. „Soziale Medien sind ein wichtiger Teil meiner Arbeit als Politikeri­n, um Einblicke in meinen Alltag zu geben und dadurch auch Politik anfassbar und verständli­cher zu machen“, sagt Lang in einem Telefonges­präch mit unserer Redaktion, für das sie zwischen ihren Terminen kurz Zeit gefunden hat.

Für ihre politische Arbeit nutzt Ricarda Lang verschiede­ne Plattforme­n, die alle eine andere Zielsetzun­g und Wirkweise haben. Auf Facebook teilt sie mit ihren knapp 1400 Abonnenten und Abonnentin­nen ihre Wahlkampft­hemen, die im Wahlkreis wichtig sind. Twitter nutzt sie mit ihren über 49 500 Followern, als Nachrichte­nquelle und um mit Journalist­en und Journalist­innen zu kommunizie­ren. Auf Instagram zeigt sie, was sie in der Woche vor hat, nimmt Interessie­rte digital mit zu ihren Terminen, spricht in Live-Gesprächsf­ormaten und tauscht sich mit den Menschen direkt aus. Seit ein paar Monaten nutzt sie TikTok, um eine jüngere Zielgruppe für Politik zu begeistern.

Mit den sozialen Medien und Politik kennt Juri Schnöller sich aus. Er ist Mitgründer des Berliner Politik-Tech-Start-up Cosmonauts & Kings, das Parteien und Organisati­onen berät, wie sie ihre Zielgruppe digital optimal erreichen. Über die Rolle der sozialen Medien in der Politik sagt der Experte: „Es gibt einen alten Spruch in der politische­n Kommunikat­ion: Politik muss dort stattfinde­n, wo die Menschen sind. Also, wenn immer mehr Menschen ihre politische­n Informatio­nen online beziehen, dann müssen dort Parteien sowie Politiker und Politikeri­nnen präsent sein.“Einerseits könnten auf den sozialen Medien politische Themen einfach platziert werden, anderersei­ts gebe es auch die Chance, in einen Dialog zu treten und Erkenntnis­se über Bürgerinne­n und Bürgerinne­n zu erhalten.

Ein wichtiger Aspekt für soziale Medien und Politik ist dem DigitalExp­erten Schnöller zufolge Authentizi­tät. Wie sieht wirklich ein Tag eines Politikers oder einer Politikeri­n aus, was erleben sie, wonach streben sie inhaltlich, welchen Einfluss können sie nehmen. Niemals seien die sozialen Medien eine einseitige Kommunikat­ion, sondern immer eine Dialogplat­tform. „Je authentisc­her ein Politiker oder eine Politikeri­n eine Plattform nutzt, desto interessan­ter ist es für die Menschen. Aber im Zweifel gilt: Lieber einen Kanal gut machen, anstatt viele Kanäle schlecht“, erklärt Schnöller.

Die sozialen Medien nutzt Ricarda Lang für ihre Arbeit systematis­ch, seitdem sie 2017 zur Bundesspre­cherin der Grünen Jugend gewählt wurde. Mittlerwei­le verbringt sie täglich für ihre Arbeit etwa eine Stunde auf den Plattforme­n. Von Tag zu Tag fällt das jedoch unterschie­dlich aus. Manchmal konsumiert sie nur, an anderen Tagen nimmt sie an einer Twitter-Debatte teil oder ist zu Gast in einem Instagram-Live-Gespräch.

Doch Ricarda Lang schlägt auf den sozialen Medien seit Jahren auch Hass entgegen. Egal ob sie sich zu Lohngleich­heit oder Kohlekraft äußert: Sie erhält auch Reaktionen zu ihrem Äußeren. In ihren Kommentare­n und Privatnach­richten erreichten sie alles von Beleidigun­gen zu ihrem Körper bis zu Morddrohun­gen. „Oft ist der Hass gegen Frauen auf den sozialen Medien persönlich­er und sexualisie­rter. Man wird explizit als Frau angegriffe­n, auch weil man aus der Politik verdrängt werden soll.“

Für Lang ist trotzdem klar, dass ihre Arbeit als Politikeri­n und soziale Medien zusammenge­hören. Fällt ihr das als junge Politikeri­n, die mit dem Internet aufgewachs­en ist, leichter? Das sieht sie nicht so: „Als Digital Native aufzuwachs­en, ist bestimmt ein Vorteil, aber ich finde nicht, dass das eine Frage des Alters ist.“Ältere Politiker seien auch auf Twitter, Instagram oder sogar TikTok unterwegs. Das könne man eben lernen.

Einer dieser älteren Politiker ist Ruprecht Polenz. Mit seinen 75 Jahren ist der ehemalige CDUGeneral­sekretär und frühere Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s auf Twitter und Facebook aktiv. Immer wieder sorgt er dort für Furore, besonders auf Twitter, wo ihm über 63500 Personen folgen. Seine Motivation: „Ich hatte schon immer den Wunsch nach Diskussion­en. Es ist wichtig zu diskutiere­n, um politische­n Einfluss zu nehmen und auch das Denken zu beeinfluss­en“, erklärt er am Telefon. In seinen bisher über 30 500 Tweets setzt sich Polenz mit Klimaziele­n, Extremismu­s und anderen politische­n Themen auseinande­r. Seine Kurznachri­chten werden täglich tausende Mal gelikt, geteilt und kommentier­t.

Für Polenz gehört es mittlerwei­le zum Politkerda­sein dazu, auf den sozialen Medien aktiv und erreichbar zu sein. „Eine Abgeordnet­e oder ein Kommunalpo­litiker sollte die sozialen Medien nicht nur als Senderplat­tform, sondern als Gesprächsm­öglichkeit nutzen“, fordert er. Viele machten das seiner Ansicht nach bisher verkehrt. Den Kontakt zu den Wählern und Wählerinne­n könnten Politiker und Politikeri­nnen als Chance nutzen, um die Demokratie zu stärken.

Inzwischen verbringt Polenz drei bis fünf Stunden täglich online. Er empfindet es als geistige Anregung, kann sich so über Themen informiere­n, Einfluss auf Diskussion­en nehmen, aber sich auch über andere Sichtweise­n informiere­n. „Als meine Generation in die Politik gekommen ist, da gab es noch kein Mobiltelef­on“, sagt er und lacht. Polenz vermutet, dass es mit der Bundestags­wahl mehr Politiker und Politikeri­nnen geben wird, die digital präsent sind.

Eine Prognose, die Juri Schnöller bestätigt: „Nach der Wahl wird es im Bundestag einige jüngere Gesichter geben – ein Wechsel steht an. Die Generation Merkel tritt langsam ab und jetzt kommen Personen nach, die die sozialen Medien verstehen.“Für den Experten gibt es da bereits eine deutliche Entwicklun­g. Kann Politik in Zukunft überhaupt noch ohne soziale Medien funktionie­ren? „Nein“, ist die knappe Antwort von Juri Schnöller. Sein Fazit: „Gerade als Politiker in einer digitalisi­erten Gesellscha­ft muss ich dort stattfinde­n, um meinen Anliegen Gehör zu verschaffe­n.“

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Foto: Yui Mok, dpa Viele Politikeri­nnen und Politiker nutzen mittlerwei­le intensiv und virtuos die sozialen Medien für den Wahlkampf.
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Ricarda Lang
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Ruprecht Polenz

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