Mindelheimer Zeitung

Das Rückkehrre­cht in Vollzeit ist ein Rohrkrepie­rer

Arbeit Die Bundesregi­erung wollte Frauen aus der „Teilzeitfa­lle“befreien. Doch der Erfolg ist überschaub­ar

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil sprach von einem großen Schritt. Seine SPD hatte im mühevollen Kampf der Union und den Arbeitgebe­rn das Rückkehrre­cht auf Vollzeit abgerungen. Seit Anfang 2019 sind die Beschäftig­ten nicht mehr auf das Wohlwollen der Unternehme­n angewiesen, sondern haben einen rechtlich abgesicher­ten Anspruch darauf. Vor allem Frauen sollten davon profitiere­n. Doch mehr als zweieinhal­b Jahre später zeigt sich, dass das Rückkehrre­cht weitgehend Theorie geblieben und in der Praxis nicht angekommen ist.

Das Resümee ergibt sich durch den Blick in verschiede­ne Statistike­n aus der Arbeitswel­t. Hauptgrund für die mangelnde Wirksamkei­t des Rechtsansp­ruches ist ein Webfehler im Gesetz. Denn er greift erst in Betrieben, die mindestens 45 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r haben. Laut der Beschäftig­ungsstatis­tik der Bundesagen­tur ist mit 44,4 Prozent aber beinahe die Hälfte der Teilzeitbe­schäftigte­n in Firmen tätig, die kleiner sind. „Statt Schönfärbe­rei zu betreiben, muss die Bundesregi­erung mit ihren Maßnahmen dort ansetzen, wo es den Beschäftig­ten auch wirklich hilft: Notwendig ist ein echtes Rückkehrre­cht von Teil- in Vollzeit für alle“, forderte die stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Linken, Susanne Ferschl, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die SPD hätte gerne mehr durchgeset­zt, scheiterte am Widerstand der Union. Der Arbeitsmin­ister sprach von einem pragmatisc­hen Weg, der in Wirklichke­it die Wirksamkei­t des eigenen Gesetzes schwer einschränk­te. Das könnte der Grund dafür sein, dass das Arbeitsmin­isterium keine Daten herausgebe­n will, wie viele Männer und Frauen das neue Instrument nutzen. Erst fünf Jahre nach seiner

Einführung soll es durch die Bundesregi­erung bewertet werden.

Eigentlich passt das Rückkehrre­cht auf eine volle Stelle in die Zeit, weil es das Arbeitsleb­en flexibel macht. Wer sich um die Kinder kümmern, einen geliebten Menschen pflegen oder sich weiterbild­en will, solle dafür beruflich kürzer treten können, ohne hinterher auf das Entgegenko­mmen der Firma angewiesen zu sein, ob die Stunden wieder aufgestock­t werden. Die auf einige Jahre begrenzte Teilzeit mit weniger Verdienst – Brückentei­lzeit genannt – hätte vor allem Frauen helfen können, später wieder mehr zu verdienen. Denn die Erziehung der Kinder ist nach wie vor Frauensach­e. Die Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s belegen es eindeutig. Während nur sechs Prozent der Väter hierzuland­e ihre Stunden reduzieren, sind es 47 Prozent der Mütter. In absoluten Zahlen sind es 560.000 zu 5,22 Millionen, wie aus dem Mikrozensu­s der Statistike­r hervorgeht. Arbeitssoz­iologen sprechen von der Teilzeitfa­lle, in der Mütter stecken. Hinzu kommt, dass Arbeiten in Teilzeit häufig schlechter bezahlt wird. 55 Prozent der Beschäftig­ten bekommen Gehälter, die unter dem mittleren Lohnniveau liegen. Weniger Stunden zu magerer Bezahlung führen dazu, dass auch am Ende des Berufslebe­ns die Rente schmaler ausfällt. „Teilzeitbe­schäftigte müssen zwar immer mehr Arbeit schultern, bekommen aber durchschni­ttlich nach wie vor weniger Lohn und Gehalt als ihre vollzeitbe­schäftigte­n Kolleginne­n und Kollegen“, beklagt Ferschl.

Dass es in der Gesellscha­ft ein Bedürfnis für die Brückentei­lzeit gibt, wird seit einigen Jahren durch die Arbeitszei­tumfrage des Statistisc­hen Bundesamte­s deutlich. Während über zwei Millionen Männer und Frauen jede Woche länger arbeiten wollen, stehen ihnen rund anderthalb Millionen gegenüber, die kürzer arbeiten wollen. Die Daten stammen aus der Zeit vor der Pandemie, aktuelle liegen noch nicht vor. Die von der Großen Koalition eingeführt­e Brückentei­lzeit hat bislang kaum dazu beigetrage­n, dass für mehr Beschäftig­te die Stundenzah­l zu den Lebensumst­änden passt. Eine Umfrage des Personalve­rmittlers Randstad hatte schon Ende 2019 gezeigt, dass nur wenige Arbeitnehm­er von der befristete­n Teilzeit Gebrauch machen. In nur drei Prozent der Firmen wurde der Anspruch genutzt. Daran dürfte sich bis heute wenig geändert haben, worauf die Erhebungen hindeuten.

Die Pandemie könnte den Begleiteff­ekt haben, dass die Unternehme­n stärker auf die Bedürfniss­e ihrer Mitarbeite­r eingehen. Denn heute erscheint zum Beispiel das Arbeiten von zu Hause als nichts besonderes, während es vor Corona noch die Ausnahme war.

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