Mindelheimer Zeitung

„Den Beschäftig­ten bleibt die Straße“

Interview Bayerns IG-Metall-Chef Johann Horn schaltet sich in die Diskussion um den Augsburger Luftfahrt-Zulieferer Premium Aerotec ein. Der Gewerkscha­fter macht den Managern des Mutter-Konzerns Airbus schwere Vorwürfe

- Interview: Stefan Stahl

Herr Horn, Airbus scheint sich nicht davon abbringen zu lassen, die Augsburger Tochter-Firma Premium Aerotec zu zerschlage­n. Viele Beschäftig­te haben Angst um ihren Arbeitspla­tz. Sie sagen, wer sich auf Unternehme­nsentschei­dungen verlässt, ist verlassen. Johann Horn: Das ist ein Paradebeis­piel für meine These. Hier fällt mit Airbus im französisc­hen Toulouse ein großer Konzern einen Beschluss, der über die berufliche Existenz von Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern entscheide­t. Solche Entscheidu­ngen werden danach ausgericht­et, möglichst viel Gewinn zu erzielen. Selbst wenn es harte Kritik an solchen Entscheidu­ngen gibt und Arbeitnehm­ervertrete­r schlüssige und wirtschaft­lich tragfähige Zukunftsko­nzepte vorlegen, was bei Premium Aerotec der Fall ist, werden am Ende trotzdem die Entscheidu­ngen gegen die Interessen der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er gefällt.

Warum eigentlich?

Horn: Weil Konzerne so möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen wollen. Dennoch ist die Haltung von Airbus unverständ­lich, bekommen doch die Betriebsrä­te von Premium Aerotec für ihr Konzept zur Abwehr der Zerschlagu­ng des Unternehme­ns Rückendeck­ung von der Bayerische­n Staatsregi­erung und von der Regierung in Niedersach­sen. Doch die Manager lassen sich davon nicht beeindruck­en. Sie wollen das Unternehme­n zerschlage­n und gefährden damit Arbeitsplä­tze. Am Ende wird Produktion nach Osteuropa verlagert. Es ist nicht auszuschli­eßen, dass dies langfristi­g das Aus für das Premium-AerotecWer­k in Augsburg sein könnte.

Das klingt fatalistis­ch.

Horn: Leider erleben wir solche Fälle als Gewerkscha­fter sehr häufig. Und deswegen sage ich: Wer sich als Arbeitnehm­er auf Unternehme­nsentschei­dungen verlässt, ist verlassen. Das trifft jedenfalls auf große Konzerne zu. Bei vielen mittelstän­dischen Unternehme­n ist das zum Glück anders. Hier übernehmen Inhaber Verantwort­ung und gehen auch durchaus auf Ideen aus dem Beschäftig­tenlager ein. Doch bei Konzernen empfinden Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r häufig nur Ohnmacht, wie das jetzt in Augsburg zu beobachten ist.

Wie kann die Ohnmacht überwunden werden?

Horn: Wir müssen den Menschen die Ohnmacht nehmen. Das darf nicht so bleiben. Denn das ist sozialer Sprengstof­f.

Und wie gelingt das konkret?

Horn: Indem wir die Menschen auch in den Betrieben demokratis­ch beDas heißt: Mitbestimm­ung ausbauen. Mitbestimm­te Unternehme­n stehen in der Regel auch besser da als Unternehme­n, in denen es keine Mitbestimm­ung gibt.

Doch Airbus ist ein mitbestimm­tes Unternehme­n mit der Arbeitnehm­erseite in den Aufsichtsr­äten.

Horn: Es gibt aber auch bei Airbus keine echte Mitbestimm­ung. Am Ende setzt sich bei Konzernen wie Airbus immer das Management durch, weil der von der Arbeitgebe­rseite stammende Aufsichtsr­atsvorsitz­ende ein Doppelstim­mrecht hat und damit die Vertreter der Beschäftig­ten überstimme­n kann. Und auf der Arbeitnehm­erbank sitzt immer ein leitender Angestellt­er, der aber so gut wie nie gegen die Arbeitgebe­rseite stimmt. Tun sie das doch einmal, kommt eben stets das Doppelstim­mrecht des Aufsichtsr­atsvorsitz­enden zum Zuge.

Ist das ein Fall für den Gesetzgebe­r? Horn: Das muss dringend gesetzlich anders geregelt werden, um ein wirkliches Gleichgewi­cht von Arbeitgebe­rund Arbeitnehm­ervertrete­rn in Aufsichtsr­äten zu schaffen. Ich plädiere also für die Abschaffun­g des Doppelstim­mrechts und für die durchgängi­ge Besetzung der Arbeitnehm­erbank mit Beschäftig­ten-Vertretern, die eben keine leitende Funktion im Unternehme­n haben. Wenn das Vertrauen der Menschen in die soziale Marktwirts­chaft Bestand haben soll, müssen wir die Reform angehen und auch die Aufsichtsr­äte kleinerer Aktiengese­llschaften ausgewogen besetzen und nicht zu zwei Dritteln mit Arbeitgebe­r-Leuten. Mir geht es dabei nicht um Enteignung oder so einen Quatsch. Ich will auch das Wirtschaft­ssystem nicht auf den Kopf stellen. Ich will nur, dass die Beschäftig­ten in dem tief greifenden Wandel der Wirtschaft demokratis­ch beteiligt werden.

Doch eine solche Mitbestimm­ungs-Reform zeichnet sich nicht ab. Was bleibt den Beschäftig­ten da noch?

Horn: Den Beschäftig­ten bleibt die Straße, um ihre Ohnmacht zu überwinden. Sie können also irgendwann nicht anders, als zu protestier­en, ja sogar zu streiken. Es geht ja um ihre Existenz.

Und wenn Betriebsrä­tinnen und Betriebsrä­te Druck auf die Politik ausüben, das Management unter Druck zu setzen. Kann das nicht helfen?

Horn: Dann bekommen wir oft, wie meine Erfahrunge­n aus Bayern zeigen, zur Antwort, dass es sich um unternehme­rische Entscheidu­ngen handelt, gegen die Politiker nichts ausrichten können. Dann heißt es eben: Da mischen wir uns nicht ein. Doch die Politik sollte sich einmischen. Und man darf auch nicht fatalistis­ch werden: Wenn Beschäftig­te auf die Straße gehen, können sie eine Unternehme­nsleitung zum Umdenken bewegen.

Haben Sie ein Mutmacher-Beispiel für die Augsburger Premium-AerotecBes­chäftigten parat?

Horn: Ich war lange im Aufsichtsr­at von Audi und kenne die Geschichte des Unternehme­ns gut. Audi wollte in den 70er Jahren das Werk in Neckarsulm schließen. Die Beschäftig­tenvertret­er schafften es nicht, diese Entscheidu­ng des Vorstandes im Aufsichtsr­at vom Tisch zu bekommen. Am Ende mussten sich die Beteiligen. schäftigte­n im legendären „Marsch auf Heilbronn“auf die Straße begeben.

Hat das etwas gebracht?

Horn: Durch die Solidaritä­t der Beschäftig­ten und den dadurch entstanden­en politische­n Druck musste das Unternehme­n den Beschluss, das Werk in Neckarsulm zu schließen, zurücknehm­en. Wenn man sich heute anschaut, wie viel Geld Audi in den vergangene­n Jahrzehnte­n mit dem Werk in Neckarsulm verdient hat, kann das Unternehme­n glücklich sein, dass es dem Druck der Straße nachgegebe­n hat.

Doch der Druck der Straße bringt oft nichts.

Horn: Wenn aber die Politik die Mitbestimm­ung nicht ausbaut, bleibt den Beschäftig­ten gar nichts anderes übrig, als auf die Straße zu gehen. Wir werden also den Kampf bei Premium Aerotec auf der Straße austragen. Was sollen wir denn auch anderes tun? Wir waren zu Kompromiss­en, ja sogar personelle­n Einschnitt­en bereit – und trotzdem hält Airbus an der Zerschlagu­ng des Unternehme­ns fest.

Doch die Politik beschäftig­t sich in der Wahlkampfz­eit nicht mit dem Ausbau des Mitbestimm­ungsrechts oder anderen diffizilen Fragen, sondern vor allem mit dem Impf-Thema. Sind Sie eigentlich geimpft?

Horn: Natürlich. Wir werben ja auch zusammen mit dem Arbeitgebe­rverband in Bayern für das Impfen.

Ist es nicht unsolidari­sch, wenn Menschen, die sich aus gesundheit­lichen Gründen impfen lassen könnten, es trotzdem verweigern?

Horn: Alle, die sich impfen lassen, zeigen Solidaritä­t und helfen mit, dass wir möglichst schnell aus der Corona-Krise herauskomm­en.

Wer sich wie Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger nicht impfen lässt, verhält der sich demnach unsolidari­sch?

Horn: Ich bin gegen eine Impfpflich­t. Das lässt sich nicht mit unseren demokratis­chen Prinzipien vereinbare­n. Und es gibt auch Menschen, die sich aus gesundheit­lichen Gründen nicht impfen lassen können. Diese Menschen verhalten sich auch nicht unsolidari­sch.

Und Aiwanger?

Horn: Dann gibt es noch Menschen, die noch nicht vom Solidaritä­tsgedanken des Impfens überzeugt sind. Sie sind skeptisch und haben Sorgen vor Langzeitfo­lgen der Impfungen.

Wie gehen wir mit solchen skeptische­n Menschen wie Herrn Aiwanger um? Horn: Wir sollten mit Argumenten versuchen, sie von den Vorzügen des Impfens zu überzeugen. Solche Impf-Skeptiker schauen, wie sich prominente Menschen in der Öffentlich­keit dazu äußern. Dazu gehört Herr Aiwanger, aber auch Ministerpr­äsident Markus Söder.

Doch Söder ist im Gegensatz zu Aiwanger geimpft.

Horn: Ob Aiwanger sich impfen lässt, ist seine Sache. Aber Söder wie Aiwanger haben eine besondere Verantwort­ung gegenüber den Bürgerinne­n und Bürgern. Wenn ein Ministerpr­äsident und sein Stellvertr­eter in der Öffentlich­keit diesen Streit führen, dann schaden sie dem Vertrauen der Menschen ins Impfen. So lassen sich vorsichtig­e Menschen nicht überzeugen. Das geht an die Adresse von beiden: Auch Söder hätte diesen Streit nicht öffentlich austragen dürfen.

Manche nutzen solche Impf-Zwiste für ihre bizarren Theorien aus.

Horn: Das ist das eigentlich Gefährlich­e: Menschen missbrauch­en das für populistis­che Kampagnen und Verschwöru­ngstheorie­n. Sie wollen ihr eigenes Süppchen kochen. Das ist im höchsten Maße unsolidari­sch. Sie gefährden damit Menschenle­ben und auch Arbeitsplä­tze.

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Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d Beim Augsburger Luftfahrt‰Zulieferun­ternehmen Premium Aerotec stehen die Zeichen auf Protest, womöglich sogar Streik. Dabei hat die Belegschaf­t, wie unser Archivbild zeigt, Erfahrunge­n mit Demonstrat­ionen.
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Johann Horn
● Johann Horm, 63, ist seit No‰ vember 2018 Bezirkslei­ter, also Chef der IG Me‰ tall Bayern. Horn war von 2000 bis 2018 IG‰ Metall‰Chef in Ingolstadt. Johann Horn

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