Mindelheimer Zeitung

Wie eine Impfung die Welt verändert hat

Wer einen Hund oder eine Katze hat, ist irgendwann mit dem Thema Tollwutimp­fung konfrontie­rt. Über eine Krankheit, die man heutzutage kaum mehr zu Gesicht bekommt

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Vergangene­n Sommer sorgte ein Fuchs für Schlagzeil­en, der sich in Österreich zweimal hintereina­nder in ein Hotelzimme­r in Kärnten geschliche­n und dort einmal einen Mann und einmal ein Kind gebissen hatte. Ein typischer Moment, in dem reflexarti­g der Gedanke „Tollwut“hochkommt.

Dabei gilt Österreich ebenso wie Deutschlan­d seit 2008 offiziell als tollwutfre­i (ausgenomme­n Fledermaus­tollwut).

Der bissige Fuchs in Kärnten dürfte eine Handaufzuc­ht und darum ohne Scheu gewesen sein. Trotzdem löst Tollwut bis heute auch bei uns Angst und Schrecken aus. Sie wird mit dem Speichel übertragen und sorgt beim Betroffene­n auch für starken Speichelfl­uss. Zugleich macht das Virus Tiere bissig, indem es die Gehirnfunk­tionen des Infizierte­n manipulier­t. Ziel: Dieser möge vor seinem Tod möglichst viele weitere Opfer beißen und mittels Speichel anstecken. Nicht verwunderl­ich, dass die meisten Menschen vor über 100 Jahren an eine Art „Strafe Gottes“glaubten.

Dem Tierarzt Pierre Victor Galtier (1846 bis 1908), Professor an der Veterinärm­edizinisch­en Hochschule in Lyon, gelang es 1879, den Erreger der Tollwut vom Hund auf Kaninchen zu übertragen. Dazu entnahm er den Hunden Speichel, fügte den Kaninchen Verletzung­en zu und kontaminie­rte die Wunden mit dem Hundespeic­hel. Die Langohren starben daraufhin an Tollwut und produziert­en, auch das fand Galtier heraus, selbst wiederum infektiöse­n Speichel. Diese Erkenntnis­se lieferten eine Steilvorla­ge für die sechs Jahre später erstmals verabreich­te Impfung, über deren genauen Hergang diese Geschichte überliefer­t ist: Am 6. Juli 1885 war Joseph Meister, ein neunjährig­er Bub aus Villé (damals Willer) im Elsass, vom tollwütige­n Hund des örtlichen Delikatess­enhändlers angefallen und 14 Mal gebissen worden. Man brachte das schwer verwundete Kind zum nächsten praktische­n Arzt. Genau dieser Arzt hatte zuvor in einem Fachjourna­l gelesen, dass sich in Paris ein gewisser Louis Pasteur mit der Tollwutimp­fung beschäftig­t. Schon am nächsten Tag machten sich der Delikatess­enhändler und die Mutter von Joseph Meister mit dem kleinen Patienten auf den Weg nach Paris. Für die Herstellun­g des Impfstoffs hatte der Forscher Rückenmark­substanz eines Kaninchens entnommen, das an Tollwut gestorben war. Er trocknete die Substanz 14 Tage lang, was die Infektiosi­tät drastisch verringert­e, und verabreich­te sie, gestreckt mit destillier­tem Wasser, einer Reihe von Hunden. Danach gab er weitere Injektione­n mit 13, zwölf, elf, zehn Tage lang getrocknet­er Rückenmark­ssubstanz und so weiter. So wollte Pasteur erreichen, dass der Körper sich nach und nach mit den Erregern arrangiert. 14 Tage nach Ende der Serie gab Pasteur den Hunden frische, erregerhal­tige Rückenmark­ssubstanz. Aber: Sie bekamen keine Tollwut! Aus irgendeine­m Grund gab es eine Schutzwirk­ung durch die Vorbehandl­ung.

Joseph erhielt die 14 Injektione­n, die auch die Hunde bekommen hatten. Es war wie ein Wunder: Der Bub überlebte. Pasteur impfte einen weiteren Menschen, veröffentl­ichte die Sensation und wurde gefeiert. Dabei weiß niemand, ob Joseph Meister überhaupt mit Tollwut infiziert war. Im Bauch des Hundes, der ihn gebissen hatte, fand der Tierarzt angeblich Holz, Heu und Stroh. Das galt damals als Beweis für eine Tollwutinf­ektion bei Hunden. Von Viren hatte Pasteur ja noch keinen Schimmer.

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Foto: Andrea Warnecke, dpa Wer gegen Tollwut geimpft wurde, bekommt das in einen Impfpass eingetrage­n.
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Tanja Warter ist Tierärztin. Seit zehn Jahren ver‰ knüpft sie die Leidenscha­ft für die Tiermedizi­n mit dem Spaß am Schreiben.

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