Mindelheimer Zeitung

„Erwärmung von 4,8 Grad würde uns alle treffen“

Interview Bayerns Umweltmini­ster Thorsten Glauber erklärt, wann und wie es mit dem bayerische­n Klimaschut­zgesetz weitergeht. Er warnt bereits jetzt vor katastroph­alen Auswirkung­en, wenn die Klimaziele weltweit verfehlt werden

- Interview: Maria Heinrich Thorsten Glauber, Freie Wähler, 50, ist seit 2018 bayerische­r Minister für Umwelt und Verbrauche­rschutz.

Herr Glauber, Sie haben den Entwurf für ein bayerische­s Klimaschut­zgesetz verfasst, doch die Pläne der Staatsregi­erung zum Klimaschut­z sind bisher nur aus der Regierungs­erklärung des Ministerpr­äsidenten bekannt. Wann und wie geht es denn jetzt weiter mit dem Gesetz?

Thorsten Glauber: Wir arbeiten seit einiger Zeit an unserem Klimaschut­zgesetz 2.0. Mit einem klaren roten Faden: Wir wollen in Bayern bis 2040 klimaneutr­al werden, fünf Jahre früher als der Bund. Die Staatsregi­erung bereits 2023, denn wir haben eine Vorbildfun­ktion. Ich gehe davon aus, dass wir mit dem Klimaschut­zgesetz zum Ende des dritten Quartals, spätestens Anfang des vierten Quartals in den Landtag gehen. Das Klimaschut­zgesetz ist aber ein Gemeinscha­ftswerk. Es braucht das Bau- und Verkehrsmi­nisterium, das Wirtschaft­s-, das Wissenscha­fts- und auch das Landwirtsc­haftsminis­terium dafür. Diese Häuser sind in Sachen Klimaschut­z zusammen mit dem Umweltmini­sterium besonders gefragt. Und gemeinsam gilt es seit der Regierungs­erklärung des Ministerpr­äsidenten, das Gesetz endgültig abzustimme­n.

Der Ministerpr­äsident hat nicht nur ein Klimaschut­zgesetz angekündig­t, sondern eigentlich ist es ja ein Dreiklang für mehr Klimaschut­z: Klimaschut­zgesetz, -programm und -finanzieru­ng. Was ist der Unterschie­d? Glauber: Das Klimaschut­zgesetz ist der rechtliche Rahmen, den wir haben. Darin ist definiert, welche Ziele wir erreichen wollen und wer alles daran teilhaben muss, um das zu schaffen.

Und das Programm?

Glauber: Das sind die Maßnahmen, also der Weg zu diesem Ziel. Sie sollen das Gesetz am Ende zum Erfolg werden lassen. Wir brauchen sie, um bis zum Jahr 2040 klimaneutr­al zu sein. Sie stehen bewusst nicht im Klimaschut­zgesetz.

Was bedeutet das?

Glauber: Würde man die Maßnahmen in das Klimaschut­zgesetz packen, müsste man jedes Mal mit dem Gesetz in den Landtag und es ändern, wenn man in einzelnen Bereichen noch mal nachschärf­en muss. Weil die Maßnahmen aber nicht im Gesetz stehen, ist man auf diese Weise schnell und flexibel. Dazu kommt eine ambitionie­rte Finanzieru­ng als dritter Punkt. Die Klimamilli­arde finanziert die Maßnahmen und auf diese Weise den Erfolg des Gesetzes. Von Moorschutz über den Ausbau erneuerbar­er Energien bis hin zur technologi­schen Transforma­tion.

Was droht, wenn man damit nicht erfolgreic­h ist? Wenn die gesetzten Klimaziele nicht erreicht werden? Glauber: Klimaschut­z ist eine globale Aufgabe. Uns muss klar sein: Wenn in internatio­nalen Verhandlun­gen am Ende nichts rauskommt und manche Staaten Klimaschut­z nicht ernst nehmen, dann können wir in Bayern machen, was wir wollen und werden trotzdem das Weltklima nicht retten. Aber wir gehen als Hightech-Nation voran. Wir könnten ansonsten nur noch reagieren und versuchen, uns an die Veränderun­gen anzupassen. Eine drohende Erwärmung in Bayern von 4,8 Grad bis zum Ende des Jahrhunder­ts und die Nicht-Erfüllung des Pariser Klimaschut­zabkommens würde uns alle treffen.

Machen Sie doch mal eine Bestandsau­fnahme: Wo in Bayern zeigt sich die Klimakrise schon jetzt?

Glauber: Lassen Sie mich ein paar Punkte aufzählen: Wir messen im Freistaat bereits eine Erwärmung von 1,9 Grad Celsius. Alle 30 Sekunden schmelzen 250 Liter allein aus einem unserer bayerische­n Gletscher, bis Anfang der 2030er Jahre werden alle fünf verschwund­en sein. Wir haben bisher in Bayern jährlich vier Tropentage. Wenn es so weitergeht, werden wir in Zukunft zusätzlich­e 36 Tropentage und fast 20 Tropennäch­te pro Jahr bekommen – und damit natürlich auch tropische Regenereig­nisse. Das heißt Starkregen in einer Menge, die uns richtig herausford­ert. Es müsste weniger heftig und dafür kontinuier­lich regnen. Denn sind die Böden an der Oberfläche vollgesaug­t wie ein Schwamm, bleibt es darunter trotzdem staubtrock­en. Die Folge ist insbesonde­re weniger Grundwasse­rneubildun­g. Außerdem werden Tier- und Pflanzenar­ten verschwind­en, die sich an solche Temperatur­en nicht mehr anpassen können.

Angesichts solcher Auswirkung­en haben manche Bürgerinne­n und Bürger, besonders viele jüngere, das Gefühl, es wird zwar viel debattiert, aber so richtig passieren tut seit Jahren eigentlich nichts. Was entgegnen Sie ihnen? Glauber: Innerhalb Deutschlan­ds haben wir uns in Bayern mit der Klimaneutr­alität bis 2040 das schnellste Ziel vorgenomme­n und mit der Klimamilli­arde sind wir das Bundesland mit dem größten finanziell­en Budget in Sachen Klimaschut­z. Jetzt kann man natürlich sagen, das ist immer noch zu wenig. Ich kann nur sagen: Wir machen finanziell und gesetzgebe­risch das, wovon wir sicher annehmen, dass es zur Erreichung der Ziele führt. Die Erfolge werden wir zukünftig in regelmäßig­en Berichten aufschlüss­eln.

Politische Maßnahmen sind das Eine. Aber was ist denn von den Bürgerinne­n und Bürgern zu erwarten? Welchen Beitrag können sie leisten?

Glauber: Meine Empfehlung: Jeder sollte sich erst mal ein Steckenpfe­rd raussuchen und sich mit einem seiner Lieblingst­hemen auseinande­rsetzen. Der eine sagt: Weg mit dem Auto und rauf aufs Rad. Der andere sagt, ich stehe auf Upcycling. Der nächste will seine Ernährung umstellen. Auf diese Weise findet jeder einen Zugang zum Thema Klimaschut­z. Die Jugend ist da schon mittendrin, aber einige der Älteren wollen wir noch mehr mitnehmen und begeistern.

Begeisteru­ng also anstatt Regeln und Vorschrift­en?

Glauber: Wenn man die Leute maximal frustriere­n will, fängt man damit an, was sie alles nicht dürfen. Ich sage klar: So werden wir den Klimawande­l nicht meistern.

Sondern?

Glauber: Jeder sollte erst mal mit einem Thema anfangen, das ihm Spaß macht. Dann wächst man da langsam rein. Klimaschut­z muss Bestandtei­l des Alltags werden, sodass man beim Kaffee am Morgen und beim Abendessen darüber spricht. Warum nicht mal ein Familienpr­ojekt daraus machen? Eine Challenge, Eltern gegen Kinder: Wer schafft es, in der Woche am meisten CO2 einzuspare­n? Über solche Projekte wird das Thema herzensgän­gig. Politik wird es auf diese Weise nie verordnen können. Wenn wir Klimaschut­z nur über Verbote regeln müssten, behaupte ich, wird das Thema scheitern.

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Foto: Peter Gercke, dpa Die mittlere Temperatur in Bayern ist bereits um knapp zwei Grad Celsius angestiege­n. Wissenscha­ft und Politik warnen vor ver‰ heerenden Folgen für Mensch und Umwelt, wenn nichts gegen den Klimawande­l unternomme­n wird.
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