Zeichnen ist Denken
Comics Bildergeschichten haben die Sphären der seichten Unterhaltung längst verlassen. Was dieses Genre alles vermag, zeigt die mit Preisen ausgezeichnete Illustratorin Barbara Yelin beim Schwäbischen Kunstsommer im Kloster Irsee
Irsee Barbara Yelin weiß gut um den Ruf, der ihrer Kunstform immer noch anhängt. „In meiner Jugend waren Comics eher ein Kinder-Medium“, berichtet die 1977 geborene Künstlerin. Beim Gedanken an „Fix und Foxi“oder sogar an „Asterix und Obelix“rümpften Kulturbeflissene gerne die Nase – trotz Wilhelm Busch als allgemein anerkanntem Urvater der deutschen Bildergeschichten-Kunst. Angebot und thematische Vielfalt seien in der Tat lange sehr überschaubar gewesen, erinnert sich die Münchnerin. Doch seit Mitte der 1990er Jahren erfand sich der Comic auch hierzulande neu. Statt (platter) Helden- oder Detektivgeschichten kamen Graphic Novels auf den Markt, die künstlerisch und inhaltlich ganz andere Dimensionen eröffneten.
Dimensionen, die sich Yelin durch ihr Illustrationsstudium an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg erschloss. Ihre Professorin war mit Anke Feuchtenberger eine der bedeutendsten deutschen Comiczeichnerinnen. Yelin erkannte die von ihr seit jeher geschätzte Bildergeschichte nun „als künstlerische, experimentelle Alternative“zu klassischen Erzählformen. Ein Medium, das, zumindest auf diesem Niveau, noch relativ jung ist und deswegen „unglaubliche Möglichkeiten“biete – bei den Themen, bei der Stilistik, bei der „Kameraführung“der Zeichnungen und nicht zuletzt auch bei der Sprache. Denn die könne sich bei einer Bildergemit Sprechblasen, Kommentaren und Beschreibungen auf ganz unterschiedlichen Ebenen abspielen.
Comics sollten endgültig geschätzt und gefördert werden wie andere, etablierte Kunstformen, ist Yelin überzeugt. Um dafür zu werben, hat sie eine Bildergeschichte für das Bayerische Kunstministerium mit dem Titel „Zeichnen ist Denken“geschaffen. Doch auch ihr sonstiges Oeuvre liefert gute Argumente für diese Forderung – nicht nur wegen des Max-und-Moritzden sie 2015 als „beste deutschsprachige Comic-Künstlerin“erhielt. Yelin hat klassische, tägliche Comic-Strips für namhafte Zeitungen gemacht („Eine sehr große Herausforderung!“) und war im Auftrag der Goethe-Institute international unterwegs, um als ComicBloggerin zeichnend aus fremden Orten zu berichten. Vor allem aber liegen ihr biografische Stoffe, Geschichten von Frauen, die ihren Weg suchen. Stolze 300 Seiten hat Yelins Comicroman „Irmina“, der 2014 nach mehrjähriger Arbeit erschichte schien. Dafür hat sie Briefe und Dokumente aus dem Nachlass ihrer Großmutter ausgewertet, aber auch fiktive Versatzstücke entwickelt. In „Irmina“geht es um den Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland und wie in dieser Zeit Werte und Träume verraten wurden. „Recherche begleitet immer meine Arbeit“, sagt Yelin, aber oft werde auch der Zeichenstift selbst zum „Forschungsgerät“.
So interviewte sie in Israel Emmie Arbel, der ihre Kindheit als Gefangene in deutschen KonzentrationsPreises, lagern geraubt worden ist. Bei der Ausarbeitung ihrer Geschichte als Graphic Novel musste Yelin die Worte der Zeitzeugin immer wieder in engem Dialog zeichnerisch umsetzen. Denn die Fotos aus Konzentrationslagern, die in den Geschichtsbüchern zu finden sind, zeigten in den meisten Fällen die Täterperspektive. Der Comic könne dagegen auch die Sicht der Opfer rekonstruieren – und die Thematik plastischer und intensiver an die jüngeren Generationen herantragen als dies bei klassischen Vermittlungsformen der Fall ist.
„Erinnerungen“lautete auch das Thema, das Yelin nun für ihre Meisterklasse beim 33. Schwäbischen Kunstsommer im Kloster Irsee bei Kaufbeuren ausgegeben hat. Eine Woche lang setzten (angehende) Comic-Künstler ihre Geschichten zeichnerisch um. Dabei ging es ebenfalls um die Aufarbeitung der NS-Zeit, aber auch um leichtfüßigere Erinnerungen an die Kindergartenzeit der Teilnehmer oder die eigene Kindheit. Weitere Meisterkurse widmeten sich dem zeitgenössischen Tanz, der Malerei, der Lyrik, der Prosa, der Kammermusik, und der Kunstsommer-Chor studierte Werke aus der Feder von Onkeln von Johann Sebastian Bach ein.
Bei der Abschlusspräsentation ihrer Arbeiten im Zuge der traditionellen „Kunstnacht“mussten die Teilnehmer heuer allerdings unter sich bleiben. Während sich dabei sonst Hunderte von Interessierten in den barocken Klostergängen drängen, war in diesem Jahr coronabedingt kein Publikum zugelassen.