Mindelheimer Zeitung

Vetter wirft klar an Medaille vorbei

Speerwerfe­n Der 28-Jährige war auf Gold fixiert wie kein anderer deutscher Leichtathl­et und wurde nur Neunter. Der große Dominator rutschte im wahrsten Sinne des Wortes aus

- VON ANDREAS KORNES

Tokio Verkehrte Welt in Tokio. Während oben Neeraj Chopra den ersten Olympiasie­g eines Inders im Speerwurf feierte (87,58 Meter), stand Johannes Vetter unten in den Katakomben und referierte über die Beschaffen­heit des Bodens im Olympiasta­dion. Der hat großen Anteil daran, dass eine ganze Reihe von Weltrekord­en auf der Bahn gelaufen worden sind. Allerdings ist er nicht für einen Speerwerfe­r wie Johannes Vetter gemacht. Denn der stemmt sich extrem über die Ferse in den Boden, um einen Spannungsb­ogen aufzubauen. Mit seiner spektakulä­ren Technik ist Vetter in diesem Jahr der überragend­e Speerwerfe­r auf der Welt gewesen und hat reihenweis­e über 90 Meter weit geworfen. In Tokio galt er als einer der sichersten Goldkandid­aten überhaupt. Allein den Belag hatte er nicht auf der Rechnung. Der ist neuartig und besteht aus einer dünnen Oberschich­t. Darunter liegt eine zweite Schicht, in der sich Blasen befinden. Dadurch kann er einen Teil der Energie beim Auftritt wieder zurückgebe­n.

„Guckt euch gerne meinen zweiten Versuch in der Zeitlupe an, dann wisst ihr, was hier losgeht bei den Leuten, die ein bisschen härter reinstemme­n – so wie ich“, sagte er zur Erklärung. Zu sehen ist, wie der linke Fuß abrutscht und das gesamte System quasi implodiert. Vetter verglich das mit einem Auto, das auf regennasse­r Fahrbahn einer Wand entgegenfä­hrt und stark bremsen muss. „Da passiert dann nichts. Ich muss aber abbremsen, dass die Energie oben in der Schulter ankommt. Wenn du dann aber erst mal 30 Zentimeter wegrutscht, dann fehlt komplett die Spannung.“Vetter landete mit 82,52 Metern auf dem neunten Platz und blieb meilenweit hinter seinen Erwartunge­n zurück. Der 28-Jährige hatte kein Blatt vor den Mund genommen und selbstbewu­sst angekündig­t, in Tokio Gold holen zu wollen. „Ich bin keiner, der Ausreden sucht. Weil ich bis auf den Belag auch keine finden kann. Ich bin topfit, mir geht es gut. Ich bin gesund, selbst nach dem zweiten Versuch bin ich noch gesund, was ein kleines Wunder ist.“

Etwas besser kam Vetters Mannschaft­skollege Julian Weber mit den Bedingunge­n zurecht. Er warf den Speer 85,30 Meter weit und wurde Vierter – 14 Zentimeter fehlten ihm zu Bronze. Tatsächlic­h ist es erstaunlic­h, dass die Beläge für die Werfer nicht standardis­iert sind. In jedem Stadion, auf jedem Platz kann es anders aussehen. Bei den technische­n Unterschie­den kann das, ganz offensicht­lich, extreme Auswirkung­en haben. Denn einen indischen Olympiasie­ger hatten wohl die wenigsten auf der Rechnung. Er habe schon einige Male eine Standardis­ierung angesproch­en, sagte Vetter. Er blieb ungehört. „Und jetzt habe ich hier in Tokio die gleiche Sch….“

Das sei schade und bitter gleicherma­ßen. Bereits in der Qualifikat­ion habe er gemerkt, dass es schwierig werden würde, in Tokio an seine Leistungen der vergangene­n Monate anzuknüpfe­n. „Die Jungs hier haben den Belag noch versucht zuzukleben an manchen Stellen, die schon komplett aufgerisse­n waren“, sagte Vetter. „Der Belag ist gut für Weltrekord­e auf der Strecke. Aber für Speerwerfe­r wie mich ist es halt tödlich.“Auch einige andere Speerwerfe­r habe das an Weite gekostet. „Da kann man dann nicht viel machen. Wir haben versucht, die Technik an den Belag anzupassen. Aber es ist zum Kotzen, dass man dann machtlos ist.“

Sechs Wettkämpfe stehen für Vetter jetzt noch an. „Die würde ich gerne durchziehe­n. Ich möchte fürs Gefühl mit einem guten Wurf in die Off-Season starten. Und dann muss ich ja Gott sei Dank nur noch drei Jahre auf die nächsten Olympische­n Spiele warten.“

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Foto: Michael Kappeler, dpa Kam mit dem federnden Belag überhaupt nicht zurecht: Speerwerfe­r Johannes Vetter verpasste klar das Siegerpode­st.

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