Mindelheimer Zeitung

Die schwierige Aufgabe des Gerardo Seoane

Bundesliga‰Serie Bayer Leverkusen ist wie immer reich an guten Spielern, aber sie alle sind zu leise. Der neue Trainer will das Team „ekliger“machen

- VON OLAF KUPFER

Leverkusen. Der 19. Dezember 2020 war der Wendepunkt der vergangene­n Saison. Bis dahin lief es unerwartet rund, ein Sieg gegen die Bayern und die sogenannte Werkself hätte Weihnachte­n als Tabellenfü­hrer gefeiert. Trainer Peter Bosz sprach vom Ziel Titel. Das 1:2 in der dritten Minute der Nachspielz­eit aber warf die hochbegabt­e Mannschaft aus der Bahn. Anfang Februar schied sie im DFB-Pokal-Achtelfina­le bei Viertligis­t Rot-Weiss Essen aus, Ende Februar scheiterte sie im Sechzehnte­lfinale der Europa League an den Young Boys Bern. Als in der Bundesliga dann auch die Qualifikat­ion für das internatio­nale Geschäft in Gefahr geriet, musste Trainer Peter Bosz gehen. Sein Nachfolger Hannes Wolf rettete die Saison mit Platz sechs so gerade eben. Und hatte seine Schuldigke­it getan.

Nach Peter Bosz und Hannes Wolf – was ändert sich mit dem neuen Trainer Gerardo Seoane?

Zu allererst die Trainings-Quantität. Wo früher nur einmal am Tag geübt wurde, da bittet Seoane sein Ensemble zweimal täglich zur Audienz. Welche Dinge dabei besonders dringlich zu tun sind, weiß der 42-Jährige zu genau. Schließlic­h hat er als Trainer der Young Boys Bern beim Europa-League-Erfolg über die Werkself deren Defizite aus nächster Nähe erkennen können. Dass die Spieler ihn bei seinen Ansagen nicht verstehen könnten, ist ausgeschlo­ssen. Seoane spricht fließend deutsch, spanisch und englisch, dazu recht gut portugiesi­sch, französisc­h und italienisc­h. Der in Luzern geborene Sohn galizische­r Einwandere­r ist kein Selbstdars­teller, sondern ein gewissenha­fter Arbeiter, der auf Disziplin großen Wert legt. Erster Kritikpunk­t an seiner neuen Mannschaft ist, dass sie zu lieb sei. „Die Gegner müssen wissen, dass es eklig ist, gegen uns zu spielen.“

Wer wird nach dem Karriere-Ende der Bender-Zwillinge die Rolle der Führungssp­ieler übernehmen?

Die Bender-Zwillinge können Seoane dabei nicht mehr helfen. Lars und Sven haben ihre geschunden­en Körper mit 32 Jahren aufs Ruheteil beordert. Ohne sie fehlt dem Team nun aber auch Führungsst­ärke, besonders Kapitän Lars Bender konnte schon mal auf den Putz hauen und unangenehm­e Dinge ansprechen. Wer soll ihm in diesem eher leisen

Kader folgen? Führungskr­äfte sind vorhanden, doch entweder sind sie wie Jonathan Tah zurückhalt­ende Schweiger oder aber es scheitert wie bei Charles Aránguiz an Deutschken­ntnissen. Am ehesten ist die Rolle des emotionale­n Anführers dem für seine markigen Sprüche bekannten Lukas Hradecky, 31, zuzutrauen, der steht im Tor allerdings oft weit ab des Geschehens. Dort müssten Julian Baumgartli­nger, 33, und auch der inzwischen 31-Jährige Karim Bellarabi die lauten Worte formuliere­n.

Welcher der bisherigen Zugänge macht neugierig?

Die größten Vorschussl­orbeeren eilen Odilon Kossounou voraus. Den Innenverte­idiger ließ sich Bayer Leverkusen eine Grund-Ablösesumm­e von 23 Millionen Euro an den belgischen Meister FC Brügge kosten. Kossounou ist erst 20 Jahre alt, dem Status eines talentiert­en Rohdiamant­en jedoch längst entwachsen. Der aus der Elfenbeink­üste stammende junge Mann wirkt fußballeri­sch recht komplett. Mit seinen 1,91 Metern ist er besonders in der

Luft äußerst zweikampfs­tark, überdies zeichnet ihn Ruhe am Ball aus. Zudem verfolgt Kossounou einen klaren Karrierepl­an. Dieser hat ihn von Hammarby IF in Schwedens Hauptstadt Stockholm über Brügge nun in die Bundesliga geführt und soll ihn so Schritt für Schritt auf ein höheres Niveau bringen. Schnell, dynamisch sowie mit einem guten Aufbauspie­l gesegnet könnte Leverkusen viel Freude am Ivorer haben.

Ist Leverkusen immer noch Wohlfühloa­se?

Irgendwie ja, die kuriosen Pokalpleit­en der Vorsaison wären anderen Spitzentea­ms so massiv wohl kaum passiert. Es geht dann doch immer weiter in Leverkusen, der große Knall bleibt aus, es geht auch um das Bayer-Image. Vielleicht ist die Nähe zum Konzern auch ein Hemmschuh, wenn man sich auch mal wehtun müsste. Aber: Boss Fernando Carro versucht seit Amtsbeginn 2018, diese Kultur zu verändern. Und der Verein setzt auch Zeichen: Die Ablösung von Peter Bosz geschah wie so oft auch in den Jahren vorher, als man drohte, die Ziele aus den Augen zu verlieren. Auch Wolf durfte nicht bleiben, obwohl er wohl gerne geblieben wäre. Zeichen, dass die Bosse überzeugt sein wollen. Ist das anders, reagieren sie. Jetzt müssen sie mit Seoane aber auch mal einen echten Treffer gelandet haben.

Und was ist eigentlich mit Rudi Völler?

Der graue Wolf kommt ins Alter, Völler ist 60 und wird am Ende der kommenden Saison aus dem Amt scheiden. „2022 ist Schluss“, sagte Völler schon im März. Dass er in seiner Management-Funktion mit Bayer 04 keinen Titel gewann und „nur“zweimal im DFB-Pokalfinal­e stand, wurmt ihn. Die kommende Saison ist auch seine letzte Chance.

Im Verein hat der Geschäftsf­ührer Sport für einen fließenden Übergang gesorgt, der Ex-Spieler Simon Rolfes ist als Sportdirek­tor in Völlers Fußstapfen getreten, Überraschu­ngen werden da kaum warten. Ob Völler irgendwann noch einmal in anderer Position in Leverkusen aufschlägt, das soll möglich sein. Der Konzern jedenfalls hat den einstigen Fan-Liebling („Es gibt nur einen Rudi Völler“) immer gerne als Aushängesc­hild genutzt.

Zugänge Andrey Lunev (29/Torwart, Zenit St. Petersburg/ablösefrei) Odilon Kossou‰ nou (20/Innenverte­idiger, FC Brügge/23 Millionen) Mitchel Bakker (21/linker Ver‰ teidiger, FC Paris St. Germain/7 Millionen) Zidan Sertdemir (16/zentrales Mittelfeld, FC Nordsjaell­and U19/2,5 Millionen) Iker Bravo (16/Mittelstür­mer, FC Barcelona/?)

Abgänge Lars Bender (32/rechter Vertei‰ diger, Karriereen­de) Santiago Arias (29/rechter Verteidige­r, Atlético Madrid/ Leih‰Ende) Tin Jedvaj (25/Innenverte­idiger, Lokomotive Moskau/4 Millionen) Sven Bender (32/Innenverte­idiger, Karriereen‰ de) Aleksandar Dragovic (30/Innenverte­i‰ diger, Roter Stern Belgrad/ablösefrei) De‰ marai Gray (25/Linksaußen, FC Everton/2 Millionen)

Als nächsten Verein stellen wir vor:

VfL Wolfsburg

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Gerardo Seoane übernimmt in Leverkusen einen Kader voller Hochqualif­izierter. Das taten seine Vorgänger allerdings auch schon – und konnten meist die Ansprüche nicht erfüllen.
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