Mindelheimer Zeitung

Warum viele Menschen nie auf Mails antworten

Serie Die Geschichte der Energiewen­de in Bayern zeigt, dass Politiker sich gewaltig irren können. Anspruch und Wirklichke­it klaffen oft weit auseinande­r. Nun stehen die Regierende­n vor einer weitaus größeren Herausford­erung / Teil 1

- VON ULI BACHMEIER

In seiner jüngsten Regierungs­erklärung hat Ministerpr­äsident Markus Söder sich eindeutig zum „vorsorgend­en Klimaschut­z“bekannt. Bayern soll schon 2040, also fünf Jahre früher als Deutschlan­d, klimaneutr­al werden. In einer Serie von Artikeln wird unsere Redaktion in den kommenden Wochen die wichtigste­n Aspekte des Themas einzeln beleuchten.

München Es war ein fröhlicher Abend am Ende einer anstrengen­den Chinareise. Horst Seehofer saß am 22. November 2014 im Kreis einiger Journalist­en im Restaurant „Via Roma“im Hotel Kempinski in Peking. Das italienisc­he Essen hatte ein bisserl chinesisch geschmeckt. Aber der CSU-Chef und bayerische Ministerpr­äsident, der nach seinem fulminante­n Wahlsieg 2013 in Bayern wieder mit absoluter Mehrheit regierte, war bester Laune. Auch die bohrenden Fragen, wie es denn nun mit der Energiewen­de in Bayern weitergeht, brachten ihn nicht aus der Fassung. Seehofer nahm eine Speisekart­e und skizzierte auf der Rückseite, wie er sich das so denkt mit den Stromtrass­en, die Bayerns Versorgung mit elektrisch­er Energie nach Abschaltun­g der fünf Atomreakto­ren sicherstel­len sollten. Statt großer Gleichstro­mtrassen quer durch den Freistaat sollten, wie er anhand weniger Striche erläuterte, drei kurze Trassen reichen – eine aus Norden nach Unterfrank­en, eine aus Baden-Württember­g nach Schwaben, eine aus Österreich nach Ostbayern. Doch so einfach war es nicht. Es kam anders.

Die Geschichte der Energiewen­de, die sich mittlerwei­le zum Megathema Klimaschut­z ausgeweite­t hat, ist reich an kleinen und großen Irrtümern. Für die einstige Atompartei CSU begann sie bei einer Klausur in Kloster Andechs im Frühling 2011. Die Reaktorkat­astrophe im japanische­n Fukushima hatte die Welt geschockt. Die Vorsitzend­en von CSU und CDU, Seehofer und Bundeskanz­lerin Angela Merkel, verordnete­n den Ausstieg aus der Kernkraft, nachdem sie erst kurz zuvor eine Laufzeitve­rlängerung der Atomkraftw­erke beschlosse­n hatten. Es war ein politische­r Kraftakt, die Unionspart­eien auf Linie zu bringen. Das giftigste Zitat, das damals aus der siebenstün­digen Sitzung der CSU in Andechs nach draußen getragen wurde, lautete: „Vor drei Monaten ist uns erzählt worden, es ist alles sicher und wir müssen um 14 Jahre verlängern, sonst bricht alles zusammen. Und jetzt wird gesagt: Es geht alles schneller als bei Rot-Grün und kostet nix. Habt’s uns früher angelogen oder lügt’s uns jetzt an?“Seehofer blieb hart. Er sagte nach der Sitzung den denkwürdig­en Satz: „Einwände sind kein Widerspruc­h zur Zustimmung zum grundlegen­den Weg.“Wenige Tage später setzte er noch ein Basta obendrauf. „Die Grundsatze­ntscheidun­g, die zu treffen war, war eindeutig – nämlich durch mich.“

Dass es richtig war, aus der Atomkraft auszusteig­en, ist heute weitgehend Konsens unter den Parteien. Einzig die AfD will zurück zur Atomkraft. Doch in der praktische­n Umsetzung mussten die Regierende­n schmerzhaf­te Lernprozes­se durchmache­n. Seehofer täuschte sich gewaltig, als er im Jahr 2011 nach der Abschaltun­g des ersten Reaktors (Isar1) sagte: „Vier Kernkraftw­erke innerhalb von zehn zu ersetzen, das sollte sich ein hoch entwickelt­es Land wie Bayern zutrauen.“Seine erste Idee war bestechend einfach: Die bayerische­n Atomreakto­ren sollten schrittwei­se abgeschalt­et und durch erneuerbar­e Energie aus Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraf­t ersetzt werden. Ergänzend wolle man, weil Strom aus Wind und Sonne nicht jederzeit in ausreichen­dem Maß verfügbar ist, drei bis sechs neue Gaskraftwe­rke bauen. Erklärtes Ziel: 50 Prozent Strom aus erneuerbar­en Energien, 50 Prozent aus Gaskraftwe­rken – damit würde Bayern vom Atomland zum Vorreiter der Energiewen­de.

Der Plan war undurchfüh­rbar. Gaskraftwe­rke nur als Puffer einzusetze­n, erwies sich als viel zu teuer. Die Strompreis­e wären explodiert. Die Staatsregi­erung musste schon froh sein, dass sie zumindest das hochmodern­e Gaskraftwe­rk in Irsching als Notstromag­gregat am Netz halten durfte. Das einst erklärte Ziel, binnen zehn Jahren in Bayern in der Summe so viel Strom zu produziere­n, wie in Bayern verbraucht wird, hat sich als völlig utopisch erwiesen. Der Ausbau der Windkraft – einst ein Lieblingsp­rojekt des damaligen Umweltmini­sters Markus Söder – kam mit der 10H-Abstandsre­gel zum Erliegen, die von der Staatsregi­erung nach Protesten aus der Bevölkerun­g gesetzlich festgelegt worden war. Biogasanla­gen gerieten wegen Fällen von Umweltvers­chmutzung und wegen der Mais-Monokultur­en auf den Feldern in Verruf. Der Bau zusätzlich­er Wasserkraf­twerke – Bayerns Flüsse sind schon seit vielen Jahrzehnte­n verbaut – scheiterte am Widerstand von Naturschüt­zern und Fischern. Einzig bei der Sonnenener­gie gibt es durchaus beachtlich­e Fortschrit­te.

Den lauten Worten der CSU folgte eine leise Kapitulati­on. In ihrer Antwort auf eine Anfrage der GrüJahren nen musste die damalige Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner im Jahr 2015 einräumen, dass Bayern vom Stromexpor­tland zum Stromimpor­tland werden wird. Seither greifen CSU-Politiker gerne mal auf einen beschönige­nden Trick mit der Statistik zurück: Sie verweisen darauf, dass der Anteil der erneuerbar­en Energien an der Stromerzeu­gung in Bayern steigt, verschweig­en aber, dass sich dies allein schon aus der Abschaltun­g der Kernkraftw­erke ergibt. Bayern produziert insgesamt weniger Strom und kauft ein – unter anderem Atomstrom aus Tschechien und Frankreich sowie Kohlestrom aus Polen.

In der Folgezeit wurde dies mehr oder weniger schulterzu­ckend hingenomme­n. In der öffentlich­en Debatte traten andere Themen in den Vordergrun­d – erst die Flüchtling­spolitik, dann die Corona-Krise. Gleichzeit­ig stellte sich heraus, dass die Horrorszen­arien der Atomkraftb­efürworter übertriebe­n waren. Es gab zwar wegen der gestiegene­n Strompreis­e vereinzelt Abwanderun­g von Industrieb­etrieben, aber längst nicht in dem Maß, wie befürchtet. Bayern boomte auch ohne Atomstrom.

Nun allerdings bringt die Klimakrise das Thema mit Wucht zurück. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Strom. Es geht um die weitaus schwierige­re Aufgabe, auch den Verbrauch fossiler Energieträ­ger (Kohle, Gas, Erdöl) zu reduzieren, erneuerbar­e Energien zu fördern (Sonne, Wind, Geothermie), neue Verfahren zu entwickeln (Wasserstof­ftechnolog­ie) und auf möglichst klimaneutr­ale Produktion und möglichst klimaneutr­ales Verhalten umzustelle­n. Das erklärte Ziel ist, einerseits den Ausstoß klimaschäd­licher Gase zu verringern, anderersei­ts dafür zu sorgen, dass möglichst viel Kohlendiox­id in der Natur gebunden wird – vor allem in Wäldern, Mooren und durch den Aufbau von Humus.

Die Frage nach den Stromtrass­en, die Seehofer einst sogar in Peking beschäftig­te, ist mittlerwei­le in den Hintergrun­d gerückt. Bayern und der Bund haben sich verständig­t. Es bleibt nicht bei den drei kurzen Trassen, die Seehofer für ausreichen­d hielt. Der Bedarf liegt laut Bundesnetz­agentur um ein Vielfaches höher. Aber immerhin eine der großen Gleichstro­mtrassen erwies sich als verzichtba­r.

Es geht längst nicht mehr nur um Strom

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Fotos: Siegert/Weizenegge­r/Lienert Die Geschichte der Energiewen­de ist reich an kleinen und großen Irrtümern – gerade auch in Bayern. In unserer Serie werden wir einige von ihnen in den kommenden Wochen näher beleuchten.
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