Mindelheimer Zeitung

Judenhass in Zeiten der Pandemie

Studie führt zu alarmieren­den Ergebnisse­n

- VON SIMON KAMINSKI

Berlin Immer wenn etwas schiefläuf­t, wenn die Gesellscha­ft in eine Krise schlittert, werden Schuldige gesucht. Das aber ist oft sehr komplizier­t. Verlockend leicht ist es hingegen, sich an Verschwöru­ngstheorie­n zu halten, die diffizile Zusammenhä­nge scheinbar plausibel erklären. Dass solche Ersatzhand­lungen zu Ausgrenzun­g, Hass und Hetze führen können, ist bekannt. Besonders gefährlich wird es, wenn die oft abstrusen Theorien auf judenfeind­liche Mythen aufbauen. Die Untersuchu­ng „Antisemiti­sche Verschwöru­ngsmythen in Zeiten der Corona-Pandemie: Das Beispiel QAnon”, die das American Jewish Committee am Montag in Berlin bei einer Pressekonf­erenz vorstellte, belegt, dass die Corona-Pandemie Nährboden für wachsenden Antisemiti­smus und Übergriffe gegen Juden in Deutschlan­d ist.

Erarbeitet wurde die Studie vom Bundesverb­and der Recherche- und Informatio­nsstellen Antisemiti­smus (Rias). Rias unterhält bundesweit regionale Meldestell­en. Dort wurden im Zeitraum vom März 2020 bis März 2021 über 550 antisemiti­sche Vorfälle in Zusammenha­ng mit der Pandemie registrier­t. Ein großer Anteil davon – rund 60 Prozent – ereignete sich auf Kundgebung­en gegen Corona-Beschränku­ngen. Doch der Leiter und federführe­nde Verfasser der Studie, Daniel Poensgen, berichtete, dass auch Jüdinnen und Juden in Alltagssit­uationen betroffen sind. Sein Beispiel: Eine jüdische Frau trifft im Supermarkt auf ein Ehepaar. Als der Mann bemerkt, dass die Frau eine Kette mit Davidstern trägt, sagt er zu seiner Ehefrau gewandt: „Die waren das mit dem Virus.“Um die Welt gingen Bilder von Demonstran­ten, die bei Protesten gegen Corona-Einschränk­ungen einen „Judenstern“am Revers mit der Aufschrift „ungeimpft“trugen – eine Relativier­ung der Shoa.

Sorge bereitet Poensgen, dass die aggressive QAnon-Bewegung, die seit Jahren in den USA bizarre und oft antisemiti­sch gefärbte Verschwöru­ngsmythen verbreitet, in Deutschlan­d immer mehr Anklang findet. Poensgen spricht von einem wahren Schub. So habe sich das Interesse auf einschlägi­gen Plattforme­n für QAnon-Theorien seit Beginn der Corona-Krise verfünffac­ht.

Entspreche­nd dramatisch fiel die Einschätzu­ng von Remko Leemhuis, Direktor des American Jewish Committee Berlin, zur aktuellen Gefährdung­slage aus: „Wir können nur eindringli­ch davor warnen, dieses Protestges­chehen und seine Teilnehmer­innen und Teilnehmer zu unterschät­zen. Die Attentäter von Halle und Hanau, wie auch der Mörder von Walter Lübcke haben ebenfalls Verschwöru­ngsmythen angehangen, wie sie seit PandemieBe­ginn auf den sogenannte­n Hygienedem­onstration­en oder im virtuellen Raum von den Protagonis­tinnen und Protagonis­ten geäußert wurden.” Neu und besonders besorgnise­rregend ist für Leemhuis, dass ein nicht „unwesentli­cher Teil“derjenigen, die solchen Verschwöru­ngstheorie­n mit antisemiti­scher Färbung anhängen, aus der Mitte der Gesellscha­ft komme.

Die Grünen-Politikeri­n Petra Pau appelliert­e bei der Pressekonf­erenz an die „Zivilbevöl­kerung, nicht wegzuschau­en“. Die Studie solle Teil der „Aus- und Weiterbild­ung“bei Polizei und Justiz werden. Der FDP-Bundestags­abgeordnet­e Benjamin Strasser fügte hinzu, dass „jeder von uns dagegen aktiv werden und antisemiti­schen Erzählunge­n widersprec­hen muss“.

Corona-Demonstran­ten tragen Judenstern­e

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