Mindelheimer Zeitung

Schließung­en soll es nicht mehr geben

Pandemie Heute beraten die Länderchef­s mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über den Corona-Kurs für den Herbst. Warum es aus Bayern einmal mehr widersprüc­hliche Signale gibt

- VON ULI BACHMEIER UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin/München Im Kampf gegen die Pandemie wollen die Mächtigen im Herbst und Winter auf den schweren Hammer verzichten. Vor der Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Regierungs­chefinnen und Regierungs­chefs der Länder zeichnet sich ab, dass Wirtschaft und Gesellscha­ft nicht noch einmal rigoros herunterge­fahren werden sollen. „Wir wollen kein neuen Lockdown“, sagte CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak. Er sprach im Auftrag seines Parteichef­s und Kanzlerkan­didaten Armin Laschet und legte nach: „Da sind wir uns alle einig. Armin Laschet hat den Kurs vorgegeben.“

Sechs Wochen vor der Bundestags­wahl ist Corona endgültig Teil des Wahlkampfe­s geworden: Laschet schwor zuvor die CDU-Ministerpr­äsidenten auf seine Linie ein. Seit Beginn der Pandemie hat sich der Regierungs­chef von Nordrhein-Westfalen immer wieder an Lockerunge­n versucht, um nach kurzer Zeit auf eine strengere Seuchenpol­itik umzuschwen­ken.

Um die sich ankündigen­de vierte Welle in Herbst und Winter möglichst flach zu halten, setzen Laschet und die CDU-geführten Länder auf mehr Tests in Innenräume­n und eine Wiederbele­bung der lahmenden Impfkampag­ne. Wie das genau gehen soll, buchstabie­rte die CDU im Vorfeld des Treffens noch nicht aus. Wahrschein­lich wird es Sache von Städten, Gemeinden und Landkreise­n bleiben, sich kreative Lockangebo­te auszudenke­n – seien es Gutscheine für den Einkauf oder die simple Bratwurst auf die Hand. Die Impfzentre­n sollen mindestens bis Ende September weiterbetr­ieben werden, selbst wenn der Andrang vielerorts spürbar nachgelass­en hat.

Um Unentschlo­ssene zum Ja für die schützende Spritze zu animieren, will sie die CDU ab Oktober für die Tests zahlen lassen, wenn sie ein Theater oder ein Kino besuchen wollen. Das wird auch von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) befürworte­t. Kostenfrei sollen die Tests nur für diejenigen bleiben, die sich aus medizinisc­hen Gründen nicht impfen lassen können, wie zum Beispiel Schwangere.

Zur CDU gehört gerade in Wahlkampfz­eiten die bayerische Schwesterp­artei CSU. Parteichef Markus Söder fährt aber einen Kurs, der auf strenge Vorschrift­en zur Eindämmung des Erregers setzt. Der Ministerpr­äsident verortete sich bewusst im „Team Vorsicht“und grenzte sich bewusst von Laschet ab.

Söder (CSU) wollte sich am Montag nicht äußern. Eine seiner wichtigste­n Forderunge­n, die Testpflich­t für Reiserückk­ehrer, ist erfüllt. Aus CSU-Kreisen hieß es, Söder werde versuchen, die Aufhebung der Kostenfrei­heit von Tests möglichst schnell durchzuset­zen, weil aus seiner Sicht das Impfen der einzig realistisc­he Weg aus der Krise sei. Sobald alle Bürgerinne­n und Bürger ein Impfangebo­t haben, gebe es keine hinreichen­de Begründung mehr für kostenlose Tests für alle.

Hohe Erwartunge­n an die „MPK“haben die Freien Wähler in Bayern, die zwar in München mitregiere­n, aber am Dienstag in Berlin nicht mit am Tisch sitzen. FW-Vositzende­r Hubert Aiwanger, sagte unserer Redaktion: „Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz darf nicht zur Bundesnotb­remse 2.0 führen, sondern muss möglichst viel Eigenveran­twortung der Bürger ermögliche­n. Eine Debatte um kostenpfli­chtige Tests ist aktuell nicht zielführen­d, da Testen neben Impfen, Maske und Abstand nach wie vor ein zentrales Element der CoronaBekä­mpfung ist. Beruhigen und Zusammenfü­hren der Gesellscha­ft statt weiterer Verunsiche­rung ist das Gebot der Stunde.“Als Marschrout­e fordert Aiwanger „Vorsicht ja, aber keine Zukunftsan­gst.“Er positionie­rte sich damit einmal mehr gegen Söder. Im Kabinett des Freistaats knirscht es hörbar.

Die Zeit der kostenlose­n CoronaTest­s dürfte dennoch zu Ende gehen, weil auch die SPD dafür ist. Kanzlerkan­didat und Finanzmini­ster Olaf Scholz sprach sich dafür aus, genau wie der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil. Unterstütz­t wird der Vorschlag auch vom Grünen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n aus Baden-Württember­g. Unstrittig ist auch, dass es sinnvoll ist, weiter in Bussen, Bahnen und beim Einkaufen Masken zu tragen, wenn das Virus auf dem Vormarsch ist.

Keine Chance hat wohl hingegen ein Vorstoß Spahns, Ungeimpfte im Herbst den Gang ins Wirtshaus zu verbieten und sie von Veranstalt­ungen auszuschli­eßen. Sowohl die SPD als auch CDU-Chef Laschet haben sich klar dagegenges­tellt.

Unklar blieb, wie die Ausbreitun­g des Virus demnächst gemessen und bewertet werden soll. Die Inzidenz als ausschlagg­ebender Maßstab hat ausgedient, darin besteht Einigkeit. Als Muster deutet sich an, dass die Zahl der Neuinfekti­onen um die Impfquote und die Corona-Patienten in den Kliniken ergänzt werden soll. Welches Mischungsv­erhältnis aber letztendli­ch das Zeichen für Gegenmaßna­hmen gibt, ist offen.

Vor ihrer Beratung erreichten die Mächtigen eindringli­che Appelle der Wirtschaft­sverbände, in der kalten Jahreszeit nicht wieder einzelne Wirtschaft­szweige in die Zwangspaus­e zu schicken. Dazu zählen Gastronomi­e und Handel, aber auch die Fitnessbra­nche. „Ein neuer Lockdown wäre für die Fitnessstu­dios eine unendliche Katastroph­e“, sagte die Präsidenti­n des Branchenve­rbandes DSSV, Birgit Schwarze, unserer Redaktion. Die Studios erholen sich gerade von den langen Schließung­en und dem Verlust an Mitglieder­n und fehlenden Neukunden. „Mit Sicherheit brauchen wir in den nächsten Monaten weitere Wirtschaft­shilfen“, forderte Schwarze. Bis zu einem Viertel der Sportler hat laut DSSV die Mitgliedsc­haft gekündigt. Wegen der Hygienekon­zepte und der zunehmende­n Durchimpfu­ng halten die Fitnessstu­dios das Sporttreib­en in ihren Räumen für sicher.

Hubert Aiwanger kontra Markus Söder

 ?? Foto: Marijan Murat, dpa ?? Good bye, Lockdown – das scheint das Leitmotto für die Beratungen heute im Kanzleramt zur weiteren Corona-Bekämpfung zu sein.
Foto: Marijan Murat, dpa Good bye, Lockdown – das scheint das Leitmotto für die Beratungen heute im Kanzleramt zur weiteren Corona-Bekämpfung zu sein.

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