Mindelheimer Zeitung

Der Mann hat einen Lauf

Wahlkampf Seine Partei wirft ihm zwar immer wieder Knüppel zwischen die Beine, aber der Spitzenkan­didat Olaf Scholz treibt die SPD unermüdlic­h an. Die Sozialdemo­kraten sind im Wahlkampf wieder eine Rechengröß­e

- VON STEFAN LANGE

Berlin In der Hauptstadt gibt es seit ein paar Tagen eine Spezies zu sehen, die schon ausgestorb­en schien: das zufriedene SPD-Mitglied. Allzu sehr waren die Sozialdemo­kraten und Sozialdemo­kratinnen zuletzt von miesen Umfragewer­ten und schlechten Zukunftsau­ssichten gebeutelt worden. Auf einmal jedoch ist wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Im Land Berlin, in dem am 26. September parallel zur Bundestags­wahl ein neues Abgeordnet­enhaus gewählt wird, konnte die SPD-Spitzenkan­didatin Franziska Giffey ein wenig zulegen. Und im Bund insgesamt machen steigende Umfragewer­te für den Kanzlerkan­didaten Olaf Scholz der SPD Hoffnung, dass die Wahl für sie noch nicht verloren ist.

Scholz profitiert von den Schwächen seines Konkurrent­en Armin Laschet und der Herausford­erin

Annalena Baerbock. Die hatten zuletzt unnötige Fehler gemacht, eine Entwicklun­g, die nun allerdings auch Scholz in seiner Partei erleben muss. Der Grund des Anstoßes und des möglicherw­eise bevorstehe­nden Umfrage-Rückfalls von Scholz: Ein Wahlwerbes­pot, den SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil vorstellte. Darin werden, angelehnt an russische Matroschka-Puppen, nacheinand­er verschiede­ne Gesichter von CDU-Politikern gezeigt. Zu einem davon heißt es: „Wer Armin Laschet von der CDU wählt, ... wählt erzkatholi­sche Laschet-Vertraute, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist.“Gemeint ist der Chef der nordrhein-westfälisc­hen Staatskanz­lei, Nathanael Liminski. Die Äußerung des heute 35-Jährigen ist etwa 14 Jahre alt. Vor allem verstößt der SPD-Spot aber gegen die Regel, dass die Religionsz­ugehörigke­it grundsätzl­ich kein Wahlkampft­hema ist.

In der Bundespoli­tik kann der Wahlkampf durchaus zu einer harten Auseinande­rsetzung ausarten. Damit es nicht zu schlimm wird, haben die Parteien untereinan­der Absprachen getroffen. Da gibt es zum Beispiel die Verabredun­g, dass von Hackern gestohlene und dann veröffentl­ichte Computerda­ten grundsätzl­ich nicht gegen den politische­n Gegner verwendet werden. Im Willy-Brandt-Haus wurde zur diesjährig­en Bundestags­wahl gerade erst eine neue Selbstverp­flichtung aufgelegt, in der die SPD unter anderem erklärt, sie dulde beleidigen­de, rassistisc­he, herabwürdi­gende und gewaltverh­errlichend­e Kommentare nicht. Nach Einschätzu­ng vieler Bundespoli­tiker fällt die Äußerung über Liminski genau in diese Kategorie. CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak kritisiert­e, seine Partei habe sich das Bekenntnis der SPD zu einem fairen Wahlkampf anders vorgestell­t. Kampagnen seien ja immer abhängig vom Spitzenkan­didaten, meinte Ziemiak und forderte Olaf Scholz zu einer Erklärung auf, „ob er weiterhin die Zugehörigk­eit zur katholisch­en Religion missbrauch­en will für eine Kampagne im Wahlkampf“? Ob die Angelegenh­eit für Scholz so viel Zündstoff birgt wie der Laschet-Lacher inmitten des Hochwasser­s in Nordrhein-Westfalen oder die Lebenslauf-Lügen von Baerbock, das werden die nächsten Umfragen zeigen.

Vorerst kann er sich über leicht gestiegene Zahlen für seine Partei und stark gestiegene Beliebthei­tswerte freuen. Laut einer Erhebung des Meinungsfo­rschungsin­stituts Insa käme Scholz bei einer Direktwahl auf 27, Laschet auf 14 und Baerbock auf 13 Prozent. Das ist zwar auch kein berauschen­der Wert und in anderen Umfragen liegt Scholz deutlich hinter der künftigen PolitRentn­erin Angela Merkel. Aber wem das Wasser bis zum Hals steht, der freut sich auch über kleine Schippen Sand, die ihm unter die Füße geworfen werden.

Scholz hat darüber hinaus den Vorteil, dass er bereits voll in den Wahlkampfm­odus wechseln konnte. Laschet hingegen verschob bereits mehrere Termine, um sich voll der Naturkatas­trophe in seinem Land zu widmen. Am 21. August wollen CDU und CSU in Berlin den offizielle­n Startschus­s für ihren Bundestags­wahlkampf geben. Scholz könnte die Zeit nutzen, um weiter an seinem Profil zu feilen. Er ist Deutschlan­ds oberster Schatzmeis­ter, kann Geldgesche­nke verteilen und weiter Sympathiep­unkte sammeln. Dabei droht ihm aber ein Problem auf die Füße zu fallen, das ihm schon in der Vergangenh­eit das Leben schwer machte. Seine eigene Partei.

Die SPD wollte Scholz 2019 bekanntlic­h nicht zum Vorsitzend­en haben und wählte stattdesse­n Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Esken hat gerade erklärt, dass sie über 2021 hinaus Parteichef­in bleiben möchte. Das könnte eine offene Flanke für Scholz werden, denn üblicherwe­ise stehen die Regierungs­chefs und Regierungs­chefinnen ihrer Partei vor. Anderersei­ts hat es der Scholzomat mit hanseatisc­her Beharrlich­keit vermocht, die Entwicklun­g bei der SPD zu drehen. Am 30. November 2019, als Scholz eben nicht Parteivors­itzender wurde, unkten viele Beobachter­innen und Beobachter schon, die SPD werde den Weg der Sozialiste­n in Frankreich gehen und in den Nebel des Vergessens eintauchen. Das ist bekanntlic­h nicht passiert. Wegen Scholz ist mit der SPD im Wahlkampf wieder zu rechnen.

Der Kandidat profitiert von der Schwäche seiner Gegner Die SPD wollte ihn 2019 nicht mehr als Chef haben

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Foto:Jörg Carstensen, dpa Die SPD kämpft gegen schwache Umfragewer­te, aber ihr Kanzlerkan­didat Olaf Scholz kommt auf die besten Sympathiew­erte aller Bewerberin­nen und Bewerber im Rennen um den Einzug ins Kanzleramt.

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