Es war einmal ein Superstar
Justiz Am Montag hat der Prozess gegen Sänger R. Kelly begonnen. Die Vorwürfe gegen ihn sind heftig. In der Anklageschrift ist von sexueller Ausbeutung Minderjähriger die Rede
New York Eigentlich hätte es längst losgehen sollen. Für Mai 2020 war der Prozess gegen den einstigen Pop-Superstar R. Kelly angesetzt worden, aber in der Corona-Pandemie wurde der Termin immer weiter verschoben. Mehrfach versuchte der 54-Jährige die Pandemie dann auch als Anlass zu nehmen, auf Kaution vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden. Seine Anträge wurden aber immer wieder abgelehnt.
So sitzt der Sänger seit Sommer 2019 im Gefängnis – erst in seiner Heimatstadt Chicago, seit Juni in New York. Der Prozess gegen ihn hat nun, endlich, am Montag an einem Gericht im New Yorker Stadtteil Brooklyn begonnen – mit der Auswahl und Befragungen der potenziellen Geschworenen. Richterin Ann Donnelly wies diese darauf hin, dass der Angeklagte vor einer möglichen Verurteilung als unschuldig gelte und sie unvoreingenommen an den Prozess herangehen müssten. Am 18. August sollen die Auftaktplädoyers folgen.
Die Vorwürfe gegen den einstigen Weltstar sind heftig: Kelly muss sich laut Anklageschrift unter anderem wegen Erpressung und sexuelAusbeutung Minderjähriger verantworten. Gemeinsam mit einem Team von Angestellten soll er jahrelang Mädchen und Frauen zum Sex gezwungen haben. Der Prozess wird mehrere Wochen dauern. Bei einer Verurteilung könnte dem Sänger eine jahrzehntelange Haftstrafe drohen – außerdem liegen auch noch in Chicago und Minnesota ähnlich umfangreiche Anklageschriften gegen ihn vor, die nach dem New Yorker Prozess abgearbeitet werden sollen.
Kelly hat alle Vorwürfe stets zurückgewiesen und hält seinen Kritikern eine Rufmord-Kampagne vor. Erst vor wenigen Wochen brachte die Staatsanwaltschaft allerdings neue Vorwürfe gegen den Sänger ein. Kelly habe im Gefängnis an Gewicht zugenommen und so gut wie kein Geld mehr, betonte sein Verteidigerteam, in dem es Unstimmigkeiten und Auswechslungen gab.
Beschwerden wurden auch von Medienseite laut, weil im Gericht zunächst keine Journalisten zugelassen worden waren. Aufgrund der Corona-Pandemie dürften dort nur die Geschworenen und Teilnehmer der Prozessparteien anwesend sein, hatte Richterin Ann Donnelly verfügt. Für alle anderen würden allerdings Live-Übertragungen in andere Gerichtsräume angeboten.
Die Anschuldigungen gegen Kelly, der mehr als 50 Millionen Alben verkaufte und mehrere Grammys gewann, reichen rund 25 Jahre zurück. Aber der Popstar schien lange unangreifbar. Seine später annullierte Kurz-Ehe mit der damals erst 15 Jahre alten Sängerin Aaliyah Mitte der 90er Jahre wurde zunächst nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert, weitere Berichte über Beziehungen zu Minderjährigen weitgehend ignoriert. Mehrere Gerichtsverfahren wegen Geschlechtsverkehrs mit Minderjährigen sind außergerichtlich beigelegt worden, in einem Prozess wegen des Besitzes von Abbildungen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs wurde Kelly freigesprochen.
Um das Jahr 2017 herum änderte sich allerdings etwas – gleichzeitig mit dem Aufkommen der #MeTooBewegung gegen sexuelle Belästigung: Kellys zweite Ehefrau Andrea, mit der er zwischen 1996 und 2009 verheiratet war, machte ihm schwere Vorwürfe. Er habe sie emotional, körperlich und sexuell missler braucht, sie habe in der Ehe um ihr Leben gefürchtet, erklärte sie.
Zudem gab es Berichte, dass der Sänger einen „Sex-Kult“betreibe, auf mehreren Anwesen junge Frauen festhalte und zum Sex zwinge.
Die aufsehenerregende Dokumentation „Surviving R. Kelly“(R. Kelly überleben) fasste alles Anfang 2019 zusammen. In der Doku kam auch Sängerkollege John Legend zu Wort, der sich selbst und die gesamte Musikindustrie scharf kritisierte: „Wir haben zu lange weggeschaut.“Immer mehr Stars distanzierten sich daraufhin von dem 1967 in Chicago geborenen Robert Sylvester Kelly – inklusive Radiosender, Streaming-Dienste und sein Musiklabel RCA, das zu Sony Music gehört. Im Sommer 2019 wurde Kelly schließlich in Chicago festgenommen, als er gerade mit seinem Hund spazieren ging. Zuletzt hatte er 2016 ein Album herausgebracht.
Der Prozess wird in aller Welt beobachtet – und dürfte in den USA zu kontroversen öffentlichen Debatten führen. Wie schon die Gerichtsdramen um den Schauspieler Bill Cosby und den früheren Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein.