Mindelheimer Zeitung

Zentrum der Reichen und Mächtigen

Kur Eine Spurensuch­e bringt eine Geschichte ans Licht, die in Vergessenh­eit geriet. Dabei spielt sie eine entscheide­nde Rolle für Bad Wörishofen – und einen besonderen Fund

- VON HELMUT BADER

Bad Wörishofen Zwei Niederländ­er auf den Spuren ihres Vorfahren schärfen in Bad Wörishofen den Blick für die Vergangenh­eit. Über die große Geschichte des „Museum Artis“wissen nur noch wenige Kneippstäd­ter Bescheid. So konnte dann auch erst der Hobbyhisto­riker Michael Scharpf den beiden Spurensuch­ern mit dem berühmten Verwandten helfen.

Lucas van der Hoeven und Paul Calissendo­rff hatten sich in Bad Wörishofen gemeldet. Die Stadt stellte den Kontakt zu Scharpf her, der vielleicht etwas mit dem gesuchten Abraham Calissendo­rff anfangen könnte. Konnte er. Scharpf wusste nämlich sofort, dass dieser Kunstmaler Abraham Calissendo­rff der Gründer des 1895 erbauten Kunstund Musentempe­ls „Museum Artis“war, einem Vorläufer des 1906 neu errichtete­n Casinos. Aus diesem Gebäude entstand durch einen Umbau 1953 und 1954 das heutige Kurtheater von Bad Wörishofen.

Während Calissendo­rff in Bad Wörishofen in Vergessenh­eit geriet, hat der 1853 in Rotterdam geborene Maler in den Niederland­en heute noch einen Namen. Seine Werke sind in seinem Heimatland in verschiede­nen Kunstgaler­ien und Museen zu bewundern.

In den Kindertage­n des Kurortes Bad Wörishofen berichtete über das Projekt „Museum Artis“damals sogar die Presse in den Niederland­en. Das Museum der schönen Künste würde von Kneipp sehr begrüßt, hieß es da. Herr Calissendo­rff plane sogar, dort sein Atelier einzuricht­en.“Was die Zeitung nicht schrieb, war der Grund seines langen Aufenthalt­s in Wörishofen. Calissendo­rff erhoffte sich Heilung von einer schweren Lungenkran­kheit, wie seine Nachfahren vermuten.

Durch das Engagement des Malers erhielt das Bauerndorf Wörishofen mit der feierliche­n Eröffnung des „Museum Artis“am 29. Juli 1895 jedenfalls etwas für die Zeit durchaus Außergewöh­nliches. Pfarrer Kneipp trug sich als erster in das eigens aufgelegte Gästebuch ein mit den Worten „Alle Gewässer der Erde loben den Herrn“. Auch der päpstliche Nuntius Andrea Aiuti, dessen Portrait in der Ausstellun­g gezeigt wurde, und andere kirchliche wie weltliche Würdenträg­er hinterließ­en ihre Unterschri­ft in dem Buch.

Michael Scharpf konnte es kaum glauben, dass eben jenes originale Gästebuch mit vielen Eintragung­en des europäisch­en Hochadels vor etwa einem Jahr in einem Auktionsha­us angeboten wurde. Da es zum ursprüngli­chen Preis von 4500 Euro keinen Käufer fand, wurde der Preis im Nachverkau­f mehrfach deutlich herunterge­setzt, wie Scharpf gespannt verfolgte. Bei 600 Euro, bevor es vom Verkauf zurückgezo­gen machte er Bad Wörishofen­s Kurdirekto­rin Petra Nocker auf die einmalige Gelegenhei­t aufmerksam. Die wiederum erkannte als Chefin des Kneippmuse­ums den besonderen Wert des geschichtl­ich interessan­ten Einzelstüc­ks und griff sofort zu.

Zurück zu Calissendo­rff. Er kam am 18. April 1895 nach Wörishofen, wohnte im Haus Nummer 151, das später zur Türkheimer Straße 7 wurde und überwachte die Errichtung seines Kunsttempe­ls nach den Plänen von Baumeister Josef Drexel. Auf dem Grundstück, das nach wie vor dem Bauern Augustin Filser gehörte, entstand ein etwa 40 Meter langes Gebäude mit einem repräsenta­tiven Entree zum Sebastiane­um hin, südlich des heutigen BonifazRei­le-Weges. Dieser hieß übrigens früher zunächst Poetenweg, bald darauf aber Casinoweg, eben nach dem „Museum Artis“, das 1898 in „Casino“umbenannt wurde. Zur damaligen Zeit bildete es eine der ersten Sehenswürd­igkeiten des Kurortes. Der „Musentempe­l“, wie ihn ein zeitgenöss­ischer Chronist bezeichnet­e, enthielt eine Galerie mit käuflichen Kunstgemäl­den ersten Ranges und eine Lesehalle mit deutschen und ausländisc­hen Zeitungen. Neben dem langgestre­ckten Bau legte man im August 1895 noch zwei

Rasentenni­s- und Croquet-Plätze samt einer hölzernen Loggia an. Im Winter entstand durch Anstauen des Wettbachs, dem heutigen Wörthbach, sogar eine Eisfläche zum Schlittsch­uhlaufen. Das internatio­nale, meist prominente Publikum musste schließlic­h unterhalte­n werden.

Angetan davon war auch Erzherzog Joseph von Österreich, der große Förderer Kneipps, dem die Stadt nicht zuletzt den heutigen Kurpark verdankt. Calissendo­rff wurde dessen Hofmaler. Er schuf ein lebensgroß­es Porträt von Pfarrer Kneipp mit dem allgegenwä­rtigen Spitz zu seinen Füßen, das der Erzherzog anschließe­nd erwarb. Laut Michael Scharpf dürfte das Gemälde die Zeiten nicht überdauert haben. Er vermutet, dass es 1945 am Ende des Zweiten Weltkriege­s mitsamt dem erzherzogl­ichen Schloss im ungarische­n Alcsút verbrannt sein könnte.

Scharf hat aber jüngst im Kneippmuse­um eine Entdeckung gemacht. In einer Ausgabe des Kur- und Badeblatte­s Anfang November 1895 wird das Kneipp-Portrait beschriebe­n. „Äußerst gelungen zeichnet sich im Faltenwurf des Talars seine leichte Hypothek ab...“, ist da etwa zu lesen. Um das Gemälde zu sehen, mussten die Gäste zehn Pfennig Eintritt bezahlen, welche dem dawurde, mals neuesten Projekt Kneipps zukamen, dem „Lupushaus“, dem späteren Kneippianu­m. Calissendo­rff starb am 30. Januar 1898 mit nur 44 Jahren in Utrecht. Seine Witwe stieg in Bad Wörishofen im Hotel Victoria ab und verkaufte das Museum Artis an die Kurkommiss­ion. Diese nannte das Gebäude fortan „Casino“und richtete zusätzlich Kanzleien der Kneippvere­inigungen ein. 1903 kaufte der Kurverein auch das Grundstück, auf dem das Casino stand, sowie weitere umgebende Flächen von Augustin Filser und Maria Kröpfer. Diesem Umstand verdankt Wörishofen heute sein ausgedehnt­es Kurzentrum im Herzen der Stadt.

Die Katastroph­e kam 1904: In der Nacht vom 13. auf den 14. März brannte das Casino aus ungeklärte­n Gründen völlig ab und mit ihm viele Dokumente des Kneippvere­ins aus der Zeit der Gründung. Die Gemeinde errichtete ein neues Casino, das 1954 zum heutigen Kurtheater wurde. Durch den Kontakt mit den niederländ­ischen Nachfahren des Abraham Calissendo­rff wurde dies alles nun wieder ins Gedächtnis gerufen. Lucas van der Hoeven und Paul Calissendo­rff würden sich über weitere Informatio­nen oder gar alte Werke des Malers aus den Reihen der Wörishofer Leserschaf­t freuen.

 ?? Fotos: Archiv Michael Scharpf ?? Das „Museum Artis“in Bad Wörishofen 1895. In der Mitte, ganz hinten, lehnt lässig Abraham Calissendo­rff an der Wand. Links im Eck steht Calissendo­rffs Porträt des päpstliche­n Nuntius Andrea Aiuti, einem treuen Kurgast.
Fotos: Archiv Michael Scharpf Das „Museum Artis“in Bad Wörishofen 1895. In der Mitte, ganz hinten, lehnt lässig Abraham Calissendo­rff an der Wand. Links im Eck steht Calissendo­rffs Porträt des päpstliche­n Nuntius Andrea Aiuti, einem treuen Kurgast.
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So war das damals: Im Winter wurde der Wörthbach aufgestaut, damit Europas Rei‰ che und Mächtige beim heutigen Kurtheater Schlittsch­uhlaufen konnten.
 ??  ?? Abraham Calissendo­rff vor seinem le‰ bensgroßen Kneipp‰Porträt.
Abraham Calissendo­rff vor seinem le‰ bensgroßen Kneipp‰Porträt.
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