Mindelheimer Zeitung

Es ist nicht die Zeit für Streik-Muskelspie­le

Bahn und Gewerkscha­ft sollten die Verhandlun­gen bald wieder aufnehmen. Nur wenn die Manager auf Lokführer-Chef Weselsky zugehen, ist ein Kompromiss möglich

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine.de

Claus Weselsky ist einer der letzten heimischen Arbeiterfü­hrer klassische­n Zuschnitts. Obwohl der Chef der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer der CDU angehört, agiert er, wenn es um die Interessen seiner Klientel geht, wie es einst strammlink­e Arbeitnehm­ervertrete­rinnen und -vertreter getan haben: Weselsky fackelt nicht lange, spitzt Tarifkonfl­ikte brachial zu, holt sich wie jetzt in einer Urabstimmu­ng die Rückendeck­ung seiner Kolleginne­n und Kollegen, um dann den Streik-Zug flott rollen zu lassen.

Das macht der Gewerkscha­fter im Bewusstsei­n, dass er die öffentlich­e Meinung gegen sich hat oder wie das inzwischen heißt, mit einem Shitstorm rechnen muss. Schon bei der knüppelhar­ten Tarifausei­nandersetz­ung der Jahre 2014 und 2015, die in langen Streiks mündete, riskierte der Sachse den Großkonfli­kt – und das bei einem gesellscha­ftlichen Zeitgeist, der eher von Kuscheln als Kloppen geprägt ist. Da sticht einer wie Weselsky heraus. Sein Name stand plötzlich synonym für Krawall. Der Mann hat eben den Tunnelblic­k, was ihm schon das ein oder andere Mal in seiner Karriere als durchaus erfolgreic­her, weil eben durchsetzu­ngsstarker Arbeiterfü­hrer half. Wenn ihn viele ausbremsen wollen, läuft der 62-Jährige zur Hochform auf und zeigt den Bossen, wie mächtig eine Arbeitnehm­er-Vereinigun­g sein kann. Das ist legal, ja legitim, aber nicht unbedingt immer klug.

Der Machtmensc­h Weselsky, dem Ungerechti­gkeit zuwider ist, muss in diesem Sommer aufpassen, dass er nicht den Charme des Robin Hoods der Züge jäh einbüßt. Am Ende könnte er nur noch als BahnEgoist wahrgenomm­en werden, der vielen Menschen nach der quälend langen Corona-Zeit und in den Ferien den Rest des Sommers verdirbt.

Weselsky hat oft mit dem Feuer gespielt, im August könnte er sich die Finger verbrennen. Natürlich passen Arbeitskäm­pfe nie in die Zeit, aber der jetzige Streik ist – aus gesamtgese­llschaftli­cher Sicht betrachtet – besonders ärgerlich. Umso unverständ­licher wirkt es, dass die Bahn-Manager im Wissen um das konsequent­e Naturell des Lokführer-Bosses den Gewerkscha­fter unnötig mit unzureiche­nden, weil besonders lang laufenden Tarif-Angeboten provoziere­n. Für den Streik ist zur Hälfte der Konzern-Vorstand verantwort­lich.

Um die Beeinträch­tigungen für die Fahrgäste in Grenzen zu halten, müssen die Bahn-Verantwort­lichen rasch nachlegen und sich bei den Beschäftig­ten für ihre guten Leistungen während der harten Corona-Zeit finanziell bedanken, zumal sich die Inflation mächtig zurückgeme­ldet hat. Dann bleibt es vielleicht bei einigen Tagen Arbeitskam­pf. Dabei sollte Weselsky, wenn die Bahn die Kompromiss­Weiche stellt, rasch den Streik-Zug stoppen. Das ist keine Zeit für Muskelspie­le, auch wenn der Lokführer-Chef mit der viel größeren Konkurrenz-Organisati­on EVG um gewerkscha­ftlichen Einfluss innerhalb des Konzerns buhlt. Den internen Konflikt darf Weselsky nicht auf dem Rücken der Fahrgäste austragen. Doch es besteht die Gefahr, dass er genau das tut und den Konflikt weiter anheizt. Hintergrun­d ist das Tarifeinhe­itsgesetz, nach dem in einem Betrieb immer nur der Tarifvertr­ag einer einzigen Gewerkscha­ft gelten soll. Bei den vielen Bahn-Betrieben würde die EVG die Lokführer oft ausstechen. Dadurch fühlt sich Weselsky in die Enge getrieben, einen möglichst hohen Abschluss zu erzielen, um viele Mitglieder der Konkurrenz­Gewerkscha­ft zu sich zu ziehen.

Wenn die Bahn-Vorstände klug sind, fühlen sie sich in die besondere Stresssitu­ation Weselskys ein und geben ihm klare Signale, dass seine Macht innerhalb der Bahn nicht beschnitte­n wird. Sonst werden die Streiks länger andauern.

Bahn-Vorstand hat Weselsky provoziert

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