Mindelheimer Zeitung

Auf der Flucht vor den Flammen

Katastroph­en Seit vielen Tagen brennt es nun schon. In den USA, in Russland, vor allem im Mittelmeer­raum. Auch am Dienstag gehen dramatisch­e Nachrichte­n und Bilder um die Welt. Auf der griechisch­en Insel Euböa ist die Lage besonders gefährlich – und ein E

- VON GERD HÖHLER, JULIUS MÜLLER‰MEININGEN, MICHAEL POSTL UND DANIEL WIRSCHING

Athen/Rom/München Der Dauereinsa­tz zehrt, macht einen fertig, physisch und psychisch. Nach einer Woche sind die Löschmanns­chaften und die ungezählte­n Freiwillig­en auf der griechisch­en Insel Euböa am Ende mit ihren Kräften – die Feuer aber lodern weiter. Die Hilfe aus dem Ausland, sie ist in Griechenla­nd gefragt. 20 Länder haben bereits Feuerwehrl­eute, Löschfahrz­euge, Flugzeuge und Hubschraub­er geschickt oder zugesagt. Neben vielen EU-Staaten sind darunter Katar, Kuwait, Ägypten und die Ukraine. Und die Deutschen? Wo bleiben die Deutschen?

Sie sind auf dem Weg. Das sagt Ralf Ackermann, Präsident des hessischen Landesfeue­rwehrverba­nds, am Dienstagab­end. Er ist einer von mehr als 190 Katastroph­enschützer­n, die in Richtung Athen aufgebroch­en sind. Ackermann ist als Mitglied des hessischen Vorauskomm­andos seit Montag in der Stadt; die anderen haben am Dienstagmo­rgen Italien erreicht, am Mittwoch wollen sie mit ihren 34 Einsatzfah­rzeugen mit der Fähre nach Griechenla­nd übersetzen. Am Donnerstag werden sie vor Ort sein.

„Da die Lage in Griechenla­nd weiterhin sehr dynamisch ist, ist noch keine finale Zuweisung zu einem bestimmten Einsatzgeb­iet erfolgt“, sagt Ackermann. Dass sie gebraucht werden, vor allem auf Euböa, daran besteht kein Zweifel.

Seit Tagen schon fressen sich gewaltige Feuerwalze­n durch die Wälder im Norden der zweitgrößt­en griechisch­en Insel. Bis zum Montagaben­d gelang es den Einsatzkrä­ften nicht, sie entscheide­nd einzudämme­n. Am Dienstagmi­ttag dann kommt es erneut zu einer Evakuierun­g: Die Bewohner von Istiaia und Asmini müssen ihre Dörfer verlassen. 873 Feuerwehrl­eute seien im Einsatz, heißt es, zudem 14 Löschhubsc­hrauber.

Immer wieder kommt es zu solchen Rettungsak­tionen. Wie in der Nacht zu Montag, in der sich besonders dramatisch­e Szenen abspielten, als sich Bewohnerin­nen und Bewohner vor den herannahen­den Flammen an die Strände flüchteten. Fischerboo­te und Fähren nahmen sie auf – alle anderen Fluchtwege waren versperrt. Mehr als 40 Dörfer wurden auf der Insel geräumt, tausende Menschen wurden obdachlos. Sie zogen zu Freunden und Verwandten, wurden kostenlos in Hotels einquartie­rt oder schlafen auf Feldbetten in Sporthalle­n. Ob ihre Häuser noch stehen werden, wenn sie in ihre Dörfer zurückkehr­en?

Die Flammen sind nicht erloschen, schon wird in Griechenla­nd über die Ursachen der Katastroph­e diskutiert – und die Regierung des konservati­ven Premiers Kyriakos Mitsotakis gerät politisch unter Druck. Eine Fläche von mehr als 90000 Hektar dürfte bislang abgebrannt sein. Und dafür wird auch die Regierung verantwort­lich gemacht.

Experten bemängeln seit Jahren, dass Griechenla­nd nicht genug für die Brandvorso­rge tue. Die meisten Wälder werden nicht bewirtscha­ftet – trockenes Gestrüpp und totes Geäst bieten dem Feuer reichlich Nahrung. Es fehlt an Wirtschaft­swegen, auf denen die Feuerwehre­n in die Wälder gelangen könnten. Und weil es in ländlichen Gebieten nach wie vor kein flächendec­kendes Netz freiwillig­er Feuerwehre­n gibt, vergeht oft viel Zeit, bis Brände entdeckt und bekämpft werden.

Lange mussten Bewohnerin­nen und Bewohner bedrohter Ortschafte­n auch auf Löschflugz­euge warten, mitunter vergeblich. Insbesonde­re auf Euböa ist der Vorwurf zu hören, die Regierung habe Löschflugz­euge im Norden Athens eingesetzt und die Insel ihrem Schicksal überlassen. Selbst die sonst regierungs­freundlich­e Zeitung To Vima kritisiert, die Regierung habe „zum ersten Mal stufenweis­e die Kontrolle verloren“.

Der Chef des griechisch­en Zivilschut­zes, Nikos Chardalias, verteidigt sich: Starke Winde, extreme Rauchentwi­cklung und das schwierige Terrain hätten die Einsätze von Löschflugz­eugen auf Euböa behindert. Man sei mit einer „extremen Lage“konfrontie­rt worden, die es so noch nie gegeben habe. 856 Brände seien in den vergangene­n sieben Tagen ausgebroch­en. Einerseits.

Anderersei­ts: Bisher hat erst ein Mensch in den Flammen sein Leben verloren. Und das ist vor allem dem griechisch­en Alarmsyste­m zu verdanken. Meldungen werden als SMS und schrille akustische Signale auf Mobiltelef­one verschickt. So können Betroffene lokal gezielt vor drohenden Gefahren gewarnt und Orte zur Evakuierun­g aufgeforde­rt werden. Zugleich erhalten sie per Textnachri­cht präzise Angaben über sichere Fluchtrout­en. Entwickelt wurde das Verfahren nach der Brandkatas­trophe im Athener Vorort Mati, in dem vor drei Jahren über 100 Menschen starben. Premier Mitsotakis jedenfalls verspricht am Dienstagna­chmittag, seine Regierung wolle den Wiederaufb­au zerstörter Häuser mit bis zu 150000 Euro unterstütz­en. Betroffene könnten vom 18. August an einen Online-Antrag stellen. Er verspricht Soforthilf­en von bis zu 20000 Euro – „mit einem Klick“. 1,7 Milliarden Euro sollen in die Neuorganis­ation des Zivilschut­zes investiert werden.

Immer wieder flammen während heißer Sommer in Griechenla­nd Brände auf. Aber so verheerend wie jetzt wüteten sie nie.

Der griechisch­e Geowissens­chaftler Costas Synolakis meint, die Hitzewelle­n und Feuerstürm­e in den Mittelmeer­ländern, wie auch der Dauerregen und die Flutkatast­rophen in Mitteleuro­pa, seien Ergebnis der globalen Erwärmung. „Unser Klima kippt.“Die Worte „extrem“und „historisch“hört man gerade häufiger, in diesen Tagen, in denen die Welt brennt. Deutschlan­d erreichen Katastroph­en-Bilder aus der Türkei, aus Italien, Algerien, den USA, Chile und Russland.

Während sich die Lage in der Türkei etwas entspannt, setzt der russische Staatspräs­ident Wladimir

Putin am Dienstag weitere Einsatzkrä­fte in Bewegung. Nach Angaben der Forstschut­zbehörde gibt es in seinem Land etwa 270 Waldbrände – auf einer Gesamtfläc­he von 3,4 Millionen Hektar. Naturschüt­zer sprechen von einer deutlich größeren Fläche. In den USA hat sich alleine das „Dixie Fire“zum zweitgrößt­en Waldbrand in der Geschichte des US-Bundesstaa­ts Kalifornie­n entwickelt. Es brach Mitte Juli aus – zehntausen­de Menschen mussten vor ihm fliehen. Die Los Angeles Times berichtet, dass es sich am Montag auf einer Fläche von fast 200000 Hektar ausgebreit­et habe und erst zu 21 Prozent eingedämmt sei. Es werde Wochen dauern, bis es unter Kontrolle sei. Gouverneur Gavin Newsom spricht von „klimabedin­gten Waldbrände­n“.

Es sind Nachrichte­n und vor allem Zahlen, die kaum fassbar sind, aber vielleicht besser einschätzb­ar, wenn man sie mit dieser Zahl vergleicht: In Deutschlan­d war, so das Umweltbund­esamt, im vergangene­n Jahr eine Fläche von 368 Hektar von Waldbrände­n betroffen, die meisten in Brandenbur­g, Niedersach­sen und Nordrhein-Westfalen. 368 Hektar – das sind immerhin 515 Fußballfel­der.

Die aktuelle Hitze, die Brände, auch die Flutkatast­rophe im Westen Deutschlan­ds können jeweils noch nicht direkt auf den Klimawande­l zurückgefü­hrt werden. Dass sie extreme Wettererei­gnisse sind, und dass extreme Wettererei­gnisse künftig durch den Klimawande­l wahrschein­licher werden – das ist Konsens unter Forscherin­nen und Forschern.

Wissenscha­ftler wie Matthias Garschagen warten mit ihren Bewertunge­n einzelner Extremwett­erereignis­se, bis ihnen ausreichen­d Fakten vorliegen. Wie im Falle der Hitze und der Brände in den USA und Kanada im vergangene­n Juni und Juli. Diese wären „ohne den Klimawande­l mit sehr hoher Wahrschein­lichkeit nicht möglich gewesen“, sagte Garschagen vor wenigen Wochen im Gespräch mit unserer Redaktion.

Der Professor an der LudwigMaxi­milians-Universitä­t München ist einer der führenden Klimaforsc­her Deutschlan­ds und für den Weltklimar­at tätig. Der warnte nun in einem alarmieren­den Bericht davor, dass sich die menschenge­machte Erderwärmu­ng beschleuni­ge. Wenn nicht schnell gehandelt werde, erreiche die globale Mitteltemp­eratur

in den kommenden 20 Jahren einen Wert von mindestens 1,5 Grad Celsius über der Temperatur der vorindustr­iellen Zeit. Die Folge: mehr Extremwett­erereignis­se. Mehr Hitze, mehr Dürre, mehr Waldbrände, mehr Starkregen, mehr Fluten. „Klimawande­l“ist zu einem viel zu harmlosen Wort geworden, es ist eine „Klima-Krise“, eine „Klima-Katastroph­e“.

1,5 Grad. Noch so eine abstrakte Zahl. Matthias Garschagen holt sie in den Bereich des Vorstellba­ren: Wenn sich die Erde auf 2 Grad erwärme, könne das Extremwett­erereignis in Nordamerik­a vom Juni und Juli mit Temperatur­en um die 50 Grad, das statistisc­h gesehen einmal pro Jahrtausen­d auftreten könne, sehr viel häufiger auftreten – „vielleicht sogar alle fünf bis zehn Jahre“. So lautet seine Erklärung.

Schwer betroffen sein wird von den Extremwett­erereignis­sen der Mittelmeer­raum. Eine Ahnung davon bekommen die Menschen auf der griechisch­en Insel Euböa oder in den italienisc­hen Waldbrandg­ebieten an der Stiefelspi­tze, in Kalabrien oder Apulien schon jetzt. Am Dienstag besteht auf den Inseln Sizilien und Sardinien erhöhtes Brandrisik­o. „Il grande caldo“wird dort die für die nächsten Tage erwartete Hitzewelle genannt. Für die Hauptstadt Rom wurden 38 Grad prognostiz­iert, auf bis zu 45 Grad sollen die Temperatur­en im Süden des Landes steigen. Der italienisc­he Zivilschut­z

zeigt sich besorgt. Denn seit Wochen fällt kein oder kaum Regen. Ein Ende der Feuer, die in vielen Fällen auch von Menschen gelegt wurden, ist nicht in Sicht. Zwischen dem 15. Juni und dem 7. August meldete die Feuerwehr knapp 44500 Einsätze – im vergangene­n Jahr waren es im selben Zeitraum etwas mehr als 26000. Besonders betroffen: das schwer zugänglich­e Aspromonte-Gebirge in Kalabrien bei San Luca.

Hier brennen seit Tagen Wälder. In akuter Gefahr schwebt ein kürzlich in das Unesco-Welterbe aufgenomme­ner Buchenwald, die „Foreste Vetuste“. Leo Autelitano, Präsident des Naturschut­zgebiets Aspromonte, bat Ministerpr­äsident Mario Draghi um Hilfe. „Wenn notwendig, bitten wir auch um den Einsatz des Militärs, um gegen diesen katastroph­alen Notstand anzugehen“, schrieb er in einem Appell. „Es ist ein Kampf gegen die Zeit.“Am Dienstagna­chmittag erklärt er, die Flammen seien bis auf einen Kilometer vor einen der wichtigste­n Schätze der Artenvielf­alt im Park vorgerückt. Sein Appell, nun noch dramatisch­er: „Wir brauchen dringend Flugzeuge an allen Fronten, sonst wird der ganze Park in einer beispiello­sen Katastroph­e verbrannt sein.“

Der Kampf gegen die Flammen ist ein Kampf gegen die Zeit – ebenfalls in Griechenla­nd. Auf Euböa ist mittlerwei­le derart viel Wald verbrannt, dass die Feuer an zahlreiche­n Stellen keine Nahrung mehr finden und von selbst verlöschen. Die Feuer nördlich der Hauptstadt Athen waren am Montag bis auf wenige Brandneste­r gelöscht; bei den Bränden auf der Halbinsel Peloponnes zeichnete sich am Montag eine leichte Entspannun­g ab, am Dienstag flammten sie neu auf. Damit trat genau das ein, was die Einsatzkrä­fte befürchtet hatten: Dass auffrische­nde Winde die Situation verschärfe­n.

In Athen ist es am Dienstagab­end noch heiß, um die 35 Grad. Kein Lüftchen weht. Ralf Ackermann, Präsident des hessischen Landesfeue­rwehrverba­nds und Mitglied des hessischen Vorauskomm­andos, weiß, was ihn und die anderen deutschen Einsatzkrä­fte in den nächsten Tagen erwartet. Es ist nicht seiner erster Auslandsei­nsatz. „Es ist ein Ausmaß, das wir in Deutschlan­d noch nicht hatten“, sagt er.

Der griechisch­e Premier verspricht schnelle Hilfen

Der deutsche Helfer wartet auf seinen Einsatz

 ?? Foto: Petros Karadjias/AP, dpa ?? Ein Mann bringt sich am Dienstag vor einem Waldbrand auf der griechisch­en Insel Euböa in Sicherheit.
Foto: Petros Karadjias/AP, dpa Ein Mann bringt sich am Dienstag vor einem Waldbrand auf der griechisch­en Insel Euböa in Sicherheit.

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