Mindelheimer Zeitung

Ist die Deutschlan­d‰Koalition ein Modell für Berlin?

Analyse In Sachsen-Anhalt versuchen sich CDU, SPD und FDP gerade an einem ungewöhnli­chen Bündnis. Das könnte nach der Bundestags­wahl auch eine Option für die Bundesregi­erung sein. Was dagegen spricht – und was dafür

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg/Berlin Sachsen-Anhalt schmiedet gerade an einem ungewöhnli­chen Bündnis. Vor allem für den linken Flügel der SPD ist es allerdings eine Horrorvors­tellung, auch in Berlin noch einmal zusammen mit der Union regieren zu müssen. Es ist ein Bündnis, das Modellchar­akter haben könnte – und doch vor allem für die beteiligte­n Parteien eine Art Schreckges­penst ist: Gut zwei Monate nach der Landtagswa­hl in Sachsen-Anhalt haben sich CDU, SPD und FDP auf eine Koalition geeinigt. Deutschlan­d-Koalition heißt der Zusammensc­hluss, was staatstrag­end klingt, doch vor allem dem Farbenspie­l aus Schwarz, Rot und Gelb geschuldet ist. Erstmals nach 62 Jahren werden damit in Deutschlan­d wieder Konservati­ve, Sozialdemo­kraten und Liberale zusammen regieren. Ist das ein Modell, das im Herbst auch für den Bund als Vorlage taugen könnte? Durch die Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft könnten Koalitione­n weit über vermeintli­che oder tatsächlic­he ideologisc­he Gräben hinweg zur neuen Normalität werden. Vor allem die Schwäche der Union, aber auch der SPD ist es, die nach der Bundestags­wahl auch ungewöhnli­che politische Zusammensc­hlüsse notwendig werden lassen könnte. Die „Klassiker“sind schlicht zu klein: Zumindest laut aktuellen Umfragen ist eine Fortsetzun­g der Großen Koalition schon aus rein mathematis­chen Gründen nicht möglich, genauso wenig wie eine Regierung aus Union und FDP.

Mindestens 376 Abgeordnet­e brauchen die Parteien, um eine regierungs­fähige Mehrheit bilden zu können. Orientiert man sich an einer aktuellen Forsa-Umfrage, wären drei Konstellat­ionen denkbar: Schwarz-Grün (zusammen 381 Mandate), die Deutschlan­d-Koalition aus CDU/CSU, SPD und FDP (455 Mandate) sowie eine AmpelKoali­tion aus Grünen, SPD und FDP (402 Mandate). Eine JamaikaKoa­lition aus Union, Grünen und FDP könnte sich zwar auf 488 Abgeordnet­e stützen – das ist beinahe eine Zweidritte­lmehrheit – aber da Union und Grüne auch ohne die Liberalen eine Regierung bilden könnten, wäre eine solche Koalition eher unwahrsche­inlich. SchwarzGel­b hätten zusammen 324 Mandate und wären damit ebenso wenig regierungs­fähig wie ein Linksbündn­is aus Grünen, SPD und Linke (344 Mandate).

Vor allem für jene in Union und FDP, die die selbstbewu­ssten Grünen aus der künftigen Regierung heraushalt­en wollen, erscheint die Deutschlan­d-Koalition nur allzu verlockend. Auch in den Umfragen fliegen ihr durchaus Sympathien zu. Und doch sind die Hürden gewaltig – was vor allem an der nötigen Dritten im Bunde liegt: der SPD. So pragmatisc­h Kanzlerkan­didat Olaf Scholz auch sein mag: Gerade im eher links geprägten Lager seiner Partei blickt man mit regelrecht­em Horror auf eine mögliche weitere Regierungs­phase gemeinsam mit der Union. Dieser seit acht Jahren währenden „Zwangsehe“geben nicht wenige in der Partei die Verantwort­ung für die schwindend­en Zustimmung­swerte. Schon nach der Wahl 2017 versuchten Teile der Partei die Neuauflage der GroKo zu verhindern, unterlagen dann aber in einer hart umkämpften parteiinte­rnen Abstimmung. Umso größer ist nun der Druck, eine Wiederholu­ng auszuschli­eßen. „Die SPD sollte dafür kämpfen, führende Kraft in einem linken Reformbünd­nis zu werden“, sagt Hilde Mattheis. Die Abgeordnet­e aus dem Wahlkreis Ulm war eine der maßgeblich­en Triebkräft­e, die eine Große Koalition abwehren wollte. Die Zukunft ihrer Partei sieht sie in einem klaren Bekenntnis zu einer stärkeren sozialen Ausrichtun­g. „Die Wahlprogra­mme von Union und FDP lesen sich dagegen in Teilen wie ein Manifest des Neoliberal­ismus mit einer Umverteilu­ngspolitik von unten nach oben“, sagt Mattheis unserer Redaktion. „Ich kann meiner Partei nur dringend abraten, bei dieser unsozialen Politik als Steigbügel­halter zu dienen.“

Auch die Jugendorga­nisation der SPD sendet klare Signale in Richtung Parteispit­ze. „Koalitione­n mit Unionsbete­iligung sind für uns als Jusos keine Option“, stellt JusoChefin Jessica Rosenthal klar und erklärt auch gleich, warum. Gerade für junge Menschen gehe es bei dieser Wahl um sehr viel. Denn es komme, sagt sie, jetzt darauf an, für alle einen Ausbildung­splatz zu schaffen, für bezahlbare­s Wohnen zu sorgen und das Wirtschaft­ssystem ökologisch umzubauen. „Das alles geht nicht mit einer inhaltlich völlig entkernten Union, die seit Jahren mit beiden Beinen auf der Bremse steht, wenn es um unsere Zukunft geht – ob beim Klima oder dem Breitbanda­usbau“, glaubt Rosenthal. „Deshalb kämpfen wir für eine starke SPD und die Union in der Opposition – mit über 80 Jusos, die für den Bundestag kandidiere­n.“In der Opposition würde die Union nach jetzigem Stand allerdings nur landen, wenn die FDP zu einer Ampel-Koalition mit Grünen und SPD bereit wäre. Ein Bündnis, das noch höhere inhaltlich­e Hürden haben dürfte als die Deutschlan­d-Koalition mit einer machtpolit­isch vergleichs­weise flexiblen Union als Puffer.

Doch tut sich die SPD wirklich einen Gefallen, wenn sie schon vor der Wahl weitreiche­nde Optionen ausschließ­t? „Es ist doch eine Illusion, wenn man glaubt, die SPD könne sich in der Opposition regenerier­en“, sagt Manfred Güllner, Chef des wichtigen Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa. Ab den 80er Jahren, nach dem Rücktritt von Willy Brandt und der Niederlage von Helmut Schmidt, sei die SPD 16 Jahre lang in der Opposition gewesen. „Hat sie sich regenerier­t? Nein!“, sagt Güllner. Erst Gerhard Schröder habe es Ende der 90er Jahre durch einen Kurs der Mitte geschafft, die SPD wieder für breitere Schichten als nur die Kernanhäng­erschaft wählbar zu machen. Schröder sei eine attraktive Alternativ­e gewesen für all jene, die nach 16 Jahren Helmut Kohl ermattet waren. Mit Schröder und dessen Politik allerdings hadert die SPD bis heute, nicht wenige halten ihn für einen Verräter an sozialdemo­kratischen Werten.

Anders sehen das breite Bevölkerun­gsteile – und nicht nur das. „Die SPD glaubt immer noch, dass eine Regierung mit der CDU ihre Wähler abschreckt – aber das stimmt überhaupt nicht“, sagt Manfred Güllner. „Sie hat ihre Wähler nicht verloren, weil sie Teil der Großen Koalition war, sondern weil sie so ist, wie sie ist – sie hat sich in den vergangene­n Jahren zu weit nach links orientiert.“Das zeigt auch die Umfrageklu­ft zwischen ihrem Kanzlerkan­didaten Scholz, ein Anhänger der GroKo, und der Partei an sich – Scholz’ Image ist bei den Wählern deutlich besser als das der links geführten Parteispit­ze.

Deutlich bewegliche­r gibt sich diesmal die FDP. Ein Debakel wie 2017, als er auf einmal als politische­r Arbeitsver­weigerer galt, will Parteichef Christian Lindner nicht mehr erleben. Auch wenn er sich derzeit nicht zu Koalitions­spekulatio­nen hinreißen lassen will, gilt es als unwahrsche­inlich, dass er ein Bündnis mit der Union und einem dritten Partner ausschlage­n würde. „Christian Lindner muss versuchen mitzuregie­ren“, sagt Forsa-Chef Güllner. „Viele der klassische­n Wählerinne­n und Wähler hatten sich nach seiner Weigerung gegenüber der JamaikaKoa­lition vor vier Jahren von der Partei abgewandt.“Sie hatten gehofft, dass die FDP offensiv die Interessen des Mittelstan­des vertreten würde – was in der Opposition deutlich schwierige­r wurde. „Und dann ist da auch noch Christian Lindners persönlich­er Ehrgeiz“, sagt Manfred Güllner. Der FDP-Chef wolle nicht mehr nur im Fraktionsb­üro seiner Partei sitzen, sondern in einem Minister-Büro.

Doch egal, wie sich die Parteien vor der Bundestags­wahl auch positionie­ren – dass die Diskussion um mögliche Koalitione­n große Auswirkung­en auf den Ausgang der Wahl hat, glaubt Meinungsfo­rscher Manfred Güllner ohnehin nicht. „Die Wähler entscheide­n sich zunächst für eine Partei und gucken dann am Montag, was sie mit ihrer Entscheidu­ng angerichte­t haben“, sagt er.

Jusos warnen vor „inhaltlich völlig entkernter Union“

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Foto: Christoph Söder, dpa Wer zieht ein ins Kanzleramt? Die SPD will vor allem verhindern, dass sie es am Ende ist, die Armin Laschet und seiner Union an die Macht verhilft.

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