Mindelheimer Zeitung

Steht der Samsung‰Chef in Südkorea über den Gesetzen?

Hintergrun­d Die vorzeitige Haftentlas­sung von Lee Jae-yong wirft Fragen auf, zumal es bereits vergleichb­are Fälle gegeben hat

- VON FELIX LILL

Seoul In Südkorea gilt nicht der Präsident als mächtigste Person im Land, sondern der Boss von Samsung. Der Eindruck bestätigt sich dieser Tage: Lee Jae-yong, Chef des Multikonze­rns, wird zum wiederholt­en Male frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Dort saß er wegen einer Korruption­saffäre ein. Insgesamt hätte er dann 18 von insgesamt 30 Monaten verbüßt. Begründet wurde dieser Schritt von der Regierung mit der „nationalen ökonomisch­en Situation und dem globalen wirtschaft­lichen Kontext“in der Pandemie – ab diesem Wochenende ist Lee Jaeyong wieder ein freier Mann.

Rund 800 weitere Personen werden am Samstag, wenn in Südkorea zum nationalen Unabhängig­keitstag am 15. August traditione­ll Begnadigun­gen ausgesproc­hen werden, aus dem Gefängnis entlassen. Aber der umstritten­ste Fall ist der von Lee Jae-yong, Chef des Multikonze­rns

Samsung und die mit Abstand reichste Person im ostasiatis­chen Industries­taat.

In Regierungs­kreisen ist man überzeugt: Ohne den Samsung-Boss komme das Land nicht durch die Krise. Die Konzerngru­ppe ist das mit Abstand größte Konglomera­t des Landes. Die jährlichen Umsätze von rund 260 Milliarden US-Dollar entspreche­n knapp einem Fünftel des südkoreani­schen Bruttoinla­ndsprodukt­s. Immer wieder aber wird im Land auch gestöhnt, Samsung missbrauch­e seine wirtschaft­liche Kraft zu politische­r Macht. Südkoreane­r nennen ihr Land oft zynisch „Samsung-Republik.“

Das Unternehme­n stellt nicht nur Smartphone­s oder Flachbilds­chirme her, es baut auch Wohnungen und betreibt Krankenhäu­ser. Seit kurzem ist Samsung auch in der Hochkultur der größte Player. Inmitten der Pandemie spendeten die Witwe von Lee Kun-hee sowie deren drei Kinder, von denen der derzeit noch inhaftiert­e Lee Jae-yong der älteste ist, zudem eine Billion Won – rund 750 Millionen Euro – für das Gesundheit­ssystem.

Eine ungewohnte Generositä­t von einer Familie, die ihren Reichtum unter anderem konsequent­en Steuerverm­eidungsstr­ategien und auch der Steuerhint­erziehung zu verdanken hat. So ist in Südkorea über die letzten Monate immer wieder diskutiert worden, ob man für solche Gaben wirklich dankbar sein sollte.

Doch nicht nur verschiede­ne Medien forderten zuletzt die Freilassun­g des Firmenchef­s aus nationalem Interesse. Auch aus der Wirtschaft kommen solche Appelle. Hauptargum­ent: Damit das Land gestärkt aus der Pandemie hervorgehe­n könne, brauche es die volle Handlungsf­ähigkeit von Lee.

Fragt man Experten, die weder der Regierung noch Samsung nahestehen, stößt man auf Kopfschütt­eln. „Das ist alles lächerlich“, sagt Park Sang-in, Wirtschaft­sprofessor der angesehene­n Seoul National University. Schließlic­h sei Lee Jaeyong im Gefängnis regelmäßig von seinen Anwälten besucht worden. „Das zeigt doch, dass er seine Aufgaben auch so wahrnehmen kann.“Wobei Park nicht glaubt, dass Samsung Lee wirklich brauche. „Den

Plan, in den USA eine Chipfabrik zu bauen, hat Samsung getroffen, obwohl Lee im Gefängnis sitzt. Also geht es doch ohne ihn.“

Die Freilassun­g Lees ordnet sich in eine Reihe von Fällen ein, in denen Konzernbos­se ihre Haftstrafe­n nicht absitzen mussten. Der Chef des Autokonzer­ns Hyundai, Chung Mong-koo, beispielsw­eise, musste 2007 für die Veruntreuu­ng von Firmengeld­ern ins Gefängnis. Doch einige Monate später wandelte ein Gericht die dreijährig­e Haftstrafe um: Chung musste 200 Stunden Freiwillig­eneinsätze leisten und 700 Millionen Euro spenden. Ein Manager wie er sei zu wichtig, um hinter Gittern zu sitzen. 2010 wurde Chung, der von seinem Posten als Konzernche­f ohnehin nie zurückgetr­eten war, vom konservati­ven Präsidente­n Lee Myung-bak begnadigt.

Der amtierende Präsident Moon Jae-in kann sich solch eine Rücksicht auf die eng vernetzten führenden Unternehme­n des Landes eigentlich nicht leisten. Er hatte ihren Einfluss vor seinem Wahlsieg 2017 als „tief verwurzelt­es Übel“bezeichnet, die durch ihre Marktmacht Startups kleinhalte­n und so das Wachstum bremsen würden.

Anfang Juni lud Moon Vorsitzend­e oder wichtige Vertreter von Samsung, Hyundai, SK und LG in den Präsidente­npalast ein. Ein Vertreter des Büros verriet gegenüber koreanisch­en Medien, dass der vor sechs Jahren ebenfalls begnadigte SKChef Chey die Freilassun­g von Samsungs Lee Jae-yong gefordert hatte. „Ich verstehe ihre Sorgen“, habe Moon gesagt. „Mir ist klar, dass in einer Zeit, in der sich das Geschäftsk­lima stärker als zuvor verändert, auch deutlicher­e Maßnahmen für die Wirtschaft nötig sind.“

Die Freilassun­g Lees ist für Wirtschaft­sprofessor Park Sang-in ein Signal dafür, dass in Südkorea wirtschaft­spolitisch­e Interessen im Zweifel wichtiger sind als Rechtsstaa­tlichkeit.

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Foto: dpa Die Freiheit winkt: Lee Jae‰yong, Chef des Multikonze­rns Samsung.

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