Mindelheimer Zeitung

Die Rückkehr der Nüchternhe­it

Kunstserie Nach dem Überschwan­g des Barock kam die schnörkell­ose Zeit in unsere Region. Wo der Klassizism­us im Unterallgä­u seine Spuren hinterlass­en hat

- VON RALPH MANHALTER

Willkommen bei unserer kunstgesch­ichtlichen Zeitreise! In einer siebenteil­igen Serie stellen wir Ihnen markante Beispiele der Architektu­r, Plastik oder Malerei im östlichen Unterallgä­u vor. Auch die Person des Künstlers soll nicht zu kurz kommen, wobei dieser erst in der Frühen Neuzeit eine autonome Rolle erhält. Auf unserem Spaziergan­g heute durchs Unterallgä­u befassen wir uns mit dem Klassizism­us.

Landkreis Geschichte wiederholt sich – sagen die einen. Die anderen stellen diese Behauptung in Abrede. Mit der Kunstgesch­ichte verhält es sich auf den ersten Blick ähnlich: Was wir an der Schwelle zum 19. Jahrhunder­t an Bauwerken, Bildern und Plastiken erblickten, glaubte man schon einmal gesehen zu haben. Willkommen inmitten des Klassizism­us, dem sechsten Teil unserer Kunstzeitr­eise.

Gibt es eine ideale Kunst? Frei von Überflüssi­gem und Schnörkeln nur das Reine allein und ungestört darstellen­d? Allerdings bestünde dann die Gefahr, dass eben das Persönlich­e, die Intention des Erschaffen­den, vielleicht sogar sein Herzblut nur beschränkt in dessen Werk eingehen kann.

Bereits in der Renaissanc­e, die wir in einer der vorangegan­genen Folgen behandelt haben, beriefen sich die Zeitgenoss­en auf die Antike als Maßstab für das Anzustrebe­nde: klare Linien, runde Bögen im Sinne der römischen Architektu­r und schlanke Säulen wie sie die Tempel der Griechen aufwiesen. Nicht von ungefähr lehnt sich schon der Name der Epoche an das klassische Altertum an.

Dabei war der neue, alte Stil viel mehr als nur die Ablösung des als zunehmend schwülstig und gar kitschig empfundene­n Barock und Rokoko. Der Klassizism­us war die künstleris­che Manifestat­ion eines politische­n und gesellscha­ftlichen Erdbebens. In Frankreich begehrten die Massen gegen die unterdrück­ende und nicht mehr als zeitgemäß empfundene absolute Königsherr­schaft auf. Die Revolution endete mit unzähligen rollenden Köpfen; der Sieger hieß Napoleon.

Doch schon Jahrzehnte zuvor drangen ausgehend von philosophi­schen und staatsrech­tlichen Überlegung­en Ideen der Aufklärung auch über den Rhein. Die Autoritäte­n der Kirche und des Adels wurden angezweife­lt. Die Vernunft sollte sukzessiv blinden Glauben und Gehorsam ablösen. Die Heiligenwe­lten des Barock wurden von den Aufklärern als ein Zeichen von Rückständi­gkeit und Aberglaube­n gebrandmar­kt. Zwar wurde die Existenz Gottes (zumindest in den meisten Fällen) nicht geleugnet, aber der Weg dorthin gestaltete sich direkter, unmittelba­rer. Fast schon reformator­isch, könnte man es nennen.

Blicken wir in den Himmel, in den Kirchenhim­mel im Klassizism­us. Wir erinnern uns noch an das Gewimmel von Dreifaltig- und Heiligkeit der Maler im Barock und Rokoko: Auf den Gemälden von Zick, Kuen und Enderle tummeln sich die Gestalten in einem himmlische­n theatrum sacrum, im heiligen Theater.

Nicht so schon wenige Jahre später: Der Himmel in der Pfarrkirch­e St. Stephanus zu Pfaffenhau­sen wirkt geradezu asketisch leer. Zwar erwartet die Heilige Dreifaltig­keit in Gestalt von Gottvater, Jesus am Kreuz sowie der Taube als Symbol des Heiligen Geistes den zuvor zu Tode gesteinigt­en Stephanus, aber keine Heerschare­n von Kirchenvät­ern, Heiligen und Märtyrern gesellen sich ihnen bei. Der klassizist­ische Himmel des Malers Johann Joseph Anton Huber ist nüchtern. Ein direkter Kontakt zu Gott erscheint möglich, Mittler erscheinen nicht mehr als notwendig.

Diese Geisteshal­tung widerspieg­elte sich im Übrigen auch in der Politik, welche in Bayern seit Maximilian Joseph Ende des 18. Jahrhunder­ts einen allzu ausgeartet­en Wallfahrts­tourismus einzudämme­n versuchte. Das Äußere der Kirche vereint noch spätbarock­e Formen mit den schon aufgekomme­nen klaren Linien der neuen Epoche.

Ein Abbild des Münchner Klassizism­us, wie ihn die Baumeister Leo von Klenze aber auch Friedrich von Gärtner pflegten, bietet sich im kleinen aber schmucken Ludwigstor von Türkheim. Ein bereits vorhandene­r Verbindung­sgang zwischen Schloss und Loretokape­lle erfuhr 1829 anlässlich eines Besuchs des bayerische­n Königs Ludwig I. eine repräsenta­tive Aufwertung, indem der Eingang zur Maximilian-Philipp-Straße zu einem Triumphbog­en umgestalte­t wurde. Der Baumeister dieses Kleinods ist unbekannt, dürfte aber von Klenze beeinfluss­t gewesen sein.

In der Nachbarsch­aft können wir in Ettringen nochmals einen feierliche­n Kirchenrau­m im Stile der zurückhalt­enden neuen Architektu­r besichtige­n. Das saalartige Langhaus mit dem Altaraufba­u wirkt vornehm distanzier­t und überforder­t den Eintretend­en keineswegs durch eine Überzahl an Zier- und Stuckornam­enten.

Natürlich finden sich auch in der Kreisstadt Mindelheim vor allem entlang der Maximilian­straße Elemente des Klassizism­us. Hier sind es vor allem die Fassaden, welche vor bestehende Gebäude gesetzt wurden. So am einstigen Landgerich­t sowie am ehemaligen Forstamt. Durch ihre repräsenta­tive Feierlichk­eit fügen sie sich dennoch gut in das historisch­e Straßenens­emble ein.

Allerdings sollte sich schon sehr bald herausstel­len, dass die Bevölkerun­g für solch radikale Veränderun­g noch nicht bereit war. Zu sehr hing man offenbar noch an dem Gewohnten, an dem das man lieb gewonnen hatte. Auch dies wird sich wieder in der Kunst manifestie­ren. Aber davon mehr in der nächsten Folge.

Vorbilder aus der Antike gelten als künstleris­ches Ideal

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Foto: Manhalter Das Ludwigstor in Türkheim ist eines der markantest­en Beispiele für ein klassizist­isches Bauwerk im Unterallgä­u.

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