Die Rückkehr der Nüchternheit
Kunstserie Nach dem Überschwang des Barock kam die schnörkellose Zeit in unsere Region. Wo der Klassizismus im Unterallgäu seine Spuren hinterlassen hat
Willkommen bei unserer kunstgeschichtlichen Zeitreise! In einer siebenteiligen Serie stellen wir Ihnen markante Beispiele der Architektur, Plastik oder Malerei im östlichen Unterallgäu vor. Auch die Person des Künstlers soll nicht zu kurz kommen, wobei dieser erst in der Frühen Neuzeit eine autonome Rolle erhält. Auf unserem Spaziergang heute durchs Unterallgäu befassen wir uns mit dem Klassizismus.
Landkreis Geschichte wiederholt sich – sagen die einen. Die anderen stellen diese Behauptung in Abrede. Mit der Kunstgeschichte verhält es sich auf den ersten Blick ähnlich: Was wir an der Schwelle zum 19. Jahrhundert an Bauwerken, Bildern und Plastiken erblickten, glaubte man schon einmal gesehen zu haben. Willkommen inmitten des Klassizismus, dem sechsten Teil unserer Kunstzeitreise.
Gibt es eine ideale Kunst? Frei von Überflüssigem und Schnörkeln nur das Reine allein und ungestört darstellend? Allerdings bestünde dann die Gefahr, dass eben das Persönliche, die Intention des Erschaffenden, vielleicht sogar sein Herzblut nur beschränkt in dessen Werk eingehen kann.
Bereits in der Renaissance, die wir in einer der vorangegangenen Folgen behandelt haben, beriefen sich die Zeitgenossen auf die Antike als Maßstab für das Anzustrebende: klare Linien, runde Bögen im Sinne der römischen Architektur und schlanke Säulen wie sie die Tempel der Griechen aufwiesen. Nicht von ungefähr lehnt sich schon der Name der Epoche an das klassische Altertum an.
Dabei war der neue, alte Stil viel mehr als nur die Ablösung des als zunehmend schwülstig und gar kitschig empfundenen Barock und Rokoko. Der Klassizismus war die künstlerische Manifestation eines politischen und gesellschaftlichen Erdbebens. In Frankreich begehrten die Massen gegen die unterdrückende und nicht mehr als zeitgemäß empfundene absolute Königsherrschaft auf. Die Revolution endete mit unzähligen rollenden Köpfen; der Sieger hieß Napoleon.
Doch schon Jahrzehnte zuvor drangen ausgehend von philosophischen und staatsrechtlichen Überlegungen Ideen der Aufklärung auch über den Rhein. Die Autoritäten der Kirche und des Adels wurden angezweifelt. Die Vernunft sollte sukzessiv blinden Glauben und Gehorsam ablösen. Die Heiligenwelten des Barock wurden von den Aufklärern als ein Zeichen von Rückständigkeit und Aberglauben gebrandmarkt. Zwar wurde die Existenz Gottes (zumindest in den meisten Fällen) nicht geleugnet, aber der Weg dorthin gestaltete sich direkter, unmittelbarer. Fast schon reformatorisch, könnte man es nennen.
Blicken wir in den Himmel, in den Kirchenhimmel im Klassizismus. Wir erinnern uns noch an das Gewimmel von Dreifaltig- und Heiligkeit der Maler im Barock und Rokoko: Auf den Gemälden von Zick, Kuen und Enderle tummeln sich die Gestalten in einem himmlischen theatrum sacrum, im heiligen Theater.
Nicht so schon wenige Jahre später: Der Himmel in der Pfarrkirche St. Stephanus zu Pfaffenhausen wirkt geradezu asketisch leer. Zwar erwartet die Heilige Dreifaltigkeit in Gestalt von Gottvater, Jesus am Kreuz sowie der Taube als Symbol des Heiligen Geistes den zuvor zu Tode gesteinigten Stephanus, aber keine Heerscharen von Kirchenvätern, Heiligen und Märtyrern gesellen sich ihnen bei. Der klassizistische Himmel des Malers Johann Joseph Anton Huber ist nüchtern. Ein direkter Kontakt zu Gott erscheint möglich, Mittler erscheinen nicht mehr als notwendig.
Diese Geisteshaltung widerspiegelte sich im Übrigen auch in der Politik, welche in Bayern seit Maximilian Joseph Ende des 18. Jahrhunderts einen allzu ausgearteten Wallfahrtstourismus einzudämmen versuchte. Das Äußere der Kirche vereint noch spätbarocke Formen mit den schon aufgekommenen klaren Linien der neuen Epoche.
Ein Abbild des Münchner Klassizismus, wie ihn die Baumeister Leo von Klenze aber auch Friedrich von Gärtner pflegten, bietet sich im kleinen aber schmucken Ludwigstor von Türkheim. Ein bereits vorhandener Verbindungsgang zwischen Schloss und Loretokapelle erfuhr 1829 anlässlich eines Besuchs des bayerischen Königs Ludwig I. eine repräsentative Aufwertung, indem der Eingang zur Maximilian-Philipp-Straße zu einem Triumphbogen umgestaltet wurde. Der Baumeister dieses Kleinods ist unbekannt, dürfte aber von Klenze beeinflusst gewesen sein.
In der Nachbarschaft können wir in Ettringen nochmals einen feierlichen Kirchenraum im Stile der zurückhaltenden neuen Architektur besichtigen. Das saalartige Langhaus mit dem Altaraufbau wirkt vornehm distanziert und überfordert den Eintretenden keineswegs durch eine Überzahl an Zier- und Stuckornamenten.
Natürlich finden sich auch in der Kreisstadt Mindelheim vor allem entlang der Maximilianstraße Elemente des Klassizismus. Hier sind es vor allem die Fassaden, welche vor bestehende Gebäude gesetzt wurden. So am einstigen Landgericht sowie am ehemaligen Forstamt. Durch ihre repräsentative Feierlichkeit fügen sie sich dennoch gut in das historische Straßenensemble ein.
Allerdings sollte sich schon sehr bald herausstellen, dass die Bevölkerung für solch radikale Veränderung noch nicht bereit war. Zu sehr hing man offenbar noch an dem Gewohnten, an dem das man lieb gewonnen hatte. Auch dies wird sich wieder in der Kunst manifestieren. Aber davon mehr in der nächsten Folge.
Vorbilder aus der Antike gelten als künstlerisches Ideal