Auf Trüffeljagd in der Toskana
Pilzsammler Während vor allem der Süden Italiens in Flammen steht, herrscht andernorts im Land Alltag. Und zu dem gehört die Suche nach den teuren Knollen. Eine Geschichte über Tartufai, also Trüffelsucher – und über die Schattenseiten ihrer Tätigkeit
Cortona/Rapolano Terme Diese Geschichte beginnt mit einer duftenden Portion Tortelli di verza. Verza ist Wirsing, Tortelli sind gefüllte Teigtaschen. Zubereitet hat sie der Koch der Osteria del Teatro in der kleinen toskanischen Stadt Cortona, nicht weit von Arezzo.
Man könnte nun über den Renaissance-Palazzo schreiben, in dem die Osteria sich befindet, über die dicken Tischdecken aus Stoff, die hölzernen Stühle, das originale Interieur, die Fotos der Berühmtheiten an der Wand, das sagenhafte Filet Rossini oder den Rinder-Tatar. Doch all das würde ablenken vom Duft, der vom Teller aufsteigt.
Es riecht ein wenig nach Butter, ein wenig nach Mehl – und vor allem nach tartufo, Trüffel. Eine Schicht geraspelter, hauchdünner Trüffelscheiben bedeckt die Teigtaschen.
Die Toskana ist ja nicht nur das Land der Weinberge und Olivenhaine, der Zypressen und Pinien. Die Toskana hat dichte Wälder, in denen der Trüffel wächst.
In diesen Tagen kann man viele Geschichten aus und über Italien schreiben, es sind Schreckensgeschichten: Vor allem im Süden des Landes brennen die Wälder. Die Toskana ist bislang einigermaßen verschont geblieben. Und während andernorts in Italien der Ausnahmezustand herrscht, nimmt in der Toskana der Alltag seinen Lauf. Und zu dem gehört die Trüffelsuche – und damit diese Spurensuche.
Die Wirtin der Osteria del Teatro vermittelt den Kontakt zum Zwischenhändler, von dem sie ihre Ware bezieht, ein gewisser Giacomo. Giacomo wiederum verweist an den Mann, der für ihn in den umliegenden Wäldern umherstreift. Marco Gori heißt der. 59 Jahre alt, blauweiß kariertes kurzärmeliges Hemd, Dreitagebart, Schnauzer, Baseballkappe, Jägerhose und feste Stiefel. Gori hat etwas Finsteres und Liebevolles zugleich. Die nächsten Stunden geht es hinter ihm her auf einem Trüffel-Streifzug. Gori ist hauptberuflich Tartufaio, Trüffelsucher.
Die Begegnung mit ihm findet etwa 40 Kilometer westlich von Cortona statt, bei Rapolano Terme. Und man würde dem wilden Gori in seinem alten Fiat 500 nicht auf Anhieb folgen, stünde hinter allem nicht die vertrauenerweckende Wirtin der Osteria. Vom Kreisverkehr an der Schnellstraße also ein paar Minuten den Berg hinauf, dann rechts in einen Schotterweg und zu einer Lichtung im Eichenwald. Die Orte, an denen der Trüffel wächst, werden wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Es ist etwas Besonderes, Gori begleiten zu dürfen.
Er steigt jetzt aus dem Auto aus, zieht seine beige Weste an, schultert den Vanghetto, eine spitze, lange Schaufel, das einzige zur Trüffelsuche zugelassene Werkzeug. Und dann werden die beiden eigentlichen Protagonisten dieses Sommermorgens von der Leine gelassen: Argo, sieben Jahre alt, und Jacky, vier. Es handelt sich bei ihnen um Apportier-Hunde der Rasse Lagotto Romagnolo, die früher den Jägern geschossenes Wild brachten, und die zu Spezialisten bei der Trüffelsuche geworden sind.
„Beide sind kastriert“, sagt Gori. „Argo wurde früher verrückt, wenn er andere Hunde witterte.“Nicht gut für die Trüffelsuche. Der Lagotto, erklärt Gori weiter, sei auch kein Jagdhund, sonst würde er bei jedem Fasan oder Wildschwein die Kontrolle verlieren und losrasen. Argo und Jacky schnüffeln, graben und bringen ihrem Herrchen im besten Fall die kostbaren Knollen. „Dove è, Argo?“, ruft Gori in einem fort.
„Wo ist er, Argo?“Mit „er“ist der Trüffel gemeint. Währenddessen streunt der Hund mit dem grauen Fell und den hellen Beinen durchs Unterholz. Auch Jacky stöbert dort herum.
Schließlich kommt Argo zurück zu Marco Gori und spuckt ein kleines, dunkles Rund in Größe eines Tischtennisballs aus. Gori nimmt den Trüffel in die Hand. „Bravo, bello!“, sagt er, „gut gemacht, du Schöner“. Argo hat die Knolle mit ein paar geschickten Grab-Bewegungen unter der belaubten Erdoberfläche hervorgeholt. Mit der Linken lässt Gori den ersten Trüffel des Tages in die Seitentasche seiner Weste gleiten, mit der Rechten gibt er seinem Hund einen Leckerbissen zur Belohnung.
„Grundsätzlich ist jeder Hund zur Suche geeignet“, sagt er. Argo ist es in besonderer Weise. Er ist Goris ganzer Stolz. „Ihm fehlt eigentlich nur, dass er sprechen kann, dann wäre er eine richtige Person“, schwärmt der Tartufaio. 7000 Euro haben sie ihm neulich für den Lagotto Romagnolo geboten, den er selbst mithilfe eines älteren Hundes abgerichtet hat. Nie würde er Argo hergeben, sagt er. „Mai!“, niemals.
Die Hunde mit ihrem ausgeprägten Geruchssinn werden von klein an auf das Trüffelaroma trainiert, Argo ist ein Meister. Und die jüngere Jacky soll es ihm nachmachen. Sie findet zwar die Knollen, bringt sie oft aber einfach nicht zu ihrem Herrchen. Wenn sie was findet, bekommt sie einen Hundekeks, das ist ihr Anreiz. „Der Trüffel ist wie ein Herz“, erklärt Gori, er pulsiere, lebe, wachse. Und er strömt ein Aroma aus, das Lebewesen mit feiner Nase – wie seine Trüffelhunde – bemerken. „Aber das ist schwierig“, sagt Gori. „Weht der Wind in die andere Richtung, hast du vielleicht die Knolle deines Lebens verpasst.“
Seit zehn Jahren geht er bereits in die toskanischen Wälder zur Trüffelsuche. Er war Lastwagenfahrer, der Betrieb machte zu. Er war Wildschwein-Jäger, wurde krank. Seit drei Jahren ist er arbeitslos, kein leichtes Leben. Ihm blieb die Trüffelsuche, die lukrativ sein kann. Manchmal graben seine Hunde 100 Gramm am Tag aus, selten ein paar Kilo. „Letztes Jahr habe ich 800 Gramm in einem einzigen Loch gefunden“, erzählt Gori. Genauer gesagt: Argo hat sie gefunden. Ein großes Glück. Zu dem es den richtigen Hund braucht.
Gori legte bei der Regionalverwaltung die schriftliche und die mündliche Prüfung zur Trüffelsuche ab, lernte die Arten und wo und wie man sie suchen darf. Der Trüffel ist jedermanns Beute, solange ein Privatgebiet nicht explizit als Trüffel-Riserva verpachtet ist. Er lernte auch den sorgsamen Umgang mit der Natur. Etwa, dass er das Trüffelloch nach der Ernte wieder zuschütten muss, damit der Pilz weiter wachsen kann. Nicht alle machen das so.
Scorzone wird der schwarze Sommer-Trüffel, Tuber aestivum, genannt. Er kommt am häufigsten und oft in der Nähe von Eichen, Steineichen und Linden vor. Der Scorzone darf zwischen Juni und Oktober gesucht werden, danach ist Schonzeit. Auch weißen Trüffel, Tuber borchii, gibt es reichlich in der Toskana, meist bei Nusssträuchern oder Pappeln, südlich von Siena zum Beispiel. Er darf zwischen September und Dezember gesucht werden. Fast einen Meter tief sitzen manche Knollen.
15 Euro bekommt Gori für 100 Gramm Scorzone, bis zu 350 Euro für den Tuber borchii. Der berühmteste italienische Trüffel ist weiß und stammt aus Alba im Piemont, der Tuber Magnatum Pico. Bis zu 500 Euro pro 100 Gramm bringt der den Tartufai ein.
Argo hat gerade wieder eine kleine Knolle Scorzone gebracht. „Bravo bello!“, sagt Gori. „Trova qualcosa anche tu, Jacky!“, auch Jacky soll jetzt mal etwas bringen, sagt er. Die Leistung des Tartufaio ist es, seine Hunde gut abgerichtet zu haben und zu wissen, wo man sucht. Viel mehr kann der Mensch gar nicht machen.
Doch die Konkurrenz ist hart und wird offenbar immer härter. Über die Orte, in denen Trüffel vorkommen, wird unter den Tartufai eisern geschwiegen. „Manchmal rutscht einem in der Trattoria doch ein Wort heraus“, weiß Gori. Vor Eitelkeit sind auch Tartufai nicht gefeit.
Gori hat seine Stammplätze, bei Rapolano, Castelnuovo Berardenga, Siena. Und er hat so seine Tricks. Wenn man im November ein einheimisches Auto irgendwo am Waldrand sehe, sei er sich sicher: „Da geht einer nicht auf Pilze, sondern auf Trüffel.“Am nächsten Tag macht er sich dann selbst zu jenem Ort auf. Morgens Früh um fünf, noch vor Sonnenaufgang. Und wehe, andere erfahren davon!
Denn bisweilen geht es unter den Trüffelsucherinnen und -suchern zu wie im Wilden Westen. Auch Gori wurden schon die Autoreifen aufgestochen, ein mehr als klares Signal, dass er an einem Ort kein gern gesehener Gast war. Es geht um viel Geld, aber die gute Ware wird immer knapper. „Die Wildschweine, das Wetter“, sagt Gori.
Die aktuelle Hitze ist Gift für die Knollen, sie brauchen lockeren, feuchten, doch nicht zu feuchten Boden. Zu viele Regenfälle bremsen ebenfalls das Wachstum. Und die Wildschweine? Die nehmen überhand. Sie lieben Trüffel. Auch die
Orte, an denen Trüffel wächst, sollen geheim bleiben
Was Trüffelsucher Marco Gori das Leben schwer macht
Menschen nehmen überhand, sozusagen. Die Zahl der Tartufai steigt, weil die Arbeitsplätze weniger werden. Nicht in allen Fällen bleibt es bei zerstochenen Reifen oder abgebrochenen Scheibenwischern. Manch ein Tartufaio schreckt nicht einmal vor dem Äußersten zurück – und legt Giftköder aus, an denen Trüffelhunde elendig zugrunde gehen. In der italienischen Presse ist immer wieder von solchen Zwischenfällen zu lesen. Von der „Guerra dei tartufi“ist dann die Rede, vom Trüffel-Krieg.
Solche Zustände kann man sich an diesem Tag im Wald bei Rapolano nicht vorstellen, alles wirkt friedlich. Marco Gori ruft seine Hunde zurück, die ausgezeichnete Arbeit geleistet haben. Etwa ein Kilogramm schwarzer Sommer-Trüffel haben Argo und Jacky in ein paar Stunden gefunden. Das muss belohnt werden.
Gori nimmt die beiden schrumpeligsten und kleinsten TrüffelExemplare und steckt sie den Hunden zu. Argo und Jacky verschlingen sie schmatzend. Man könnte das nun als Verschwendung bezeichnen, als übertriebene Tierliebe. Oder einfach als notwendige Investition in die Zukunft.