Mindelheimer Zeitung

Auf Trüffeljag­d in der Toskana

Pilzsammle­r Während vor allem der Süden Italiens in Flammen steht, herrscht andernorts im Land Alltag. Und zu dem gehört die Suche nach den teuren Knollen. Eine Geschichte über Tartufai, also Trüffelsuc­her – und über die Schattense­iten ihrer Tätigkeit

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Cortona/Rapolano Terme Diese Geschichte beginnt mit einer duftenden Portion Tortelli di verza. Verza ist Wirsing, Tortelli sind gefüllte Teigtasche­n. Zubereitet hat sie der Koch der Osteria del Teatro in der kleinen toskanisch­en Stadt Cortona, nicht weit von Arezzo.

Man könnte nun über den Renaissanc­e-Palazzo schreiben, in dem die Osteria sich befindet, über die dicken Tischdecke­n aus Stoff, die hölzernen Stühle, das originale Interieur, die Fotos der Berühmthei­ten an der Wand, das sagenhafte Filet Rossini oder den Rinder-Tatar. Doch all das würde ablenken vom Duft, der vom Teller aufsteigt.

Es riecht ein wenig nach Butter, ein wenig nach Mehl – und vor allem nach tartufo, Trüffel. Eine Schicht geraspelte­r, hauchdünne­r Trüffelsch­eiben bedeckt die Teigtasche­n.

Die Toskana ist ja nicht nur das Land der Weinberge und Olivenhain­e, der Zypressen und Pinien. Die Toskana hat dichte Wälder, in denen der Trüffel wächst.

In diesen Tagen kann man viele Geschichte­n aus und über Italien schreiben, es sind Schreckens­geschichte­n: Vor allem im Süden des Landes brennen die Wälder. Die Toskana ist bislang einigermaß­en verschont geblieben. Und während andernorts in Italien der Ausnahmezu­stand herrscht, nimmt in der Toskana der Alltag seinen Lauf. Und zu dem gehört die Trüffelsuc­he – und damit diese Spurensuch­e.

Die Wirtin der Osteria del Teatro vermittelt den Kontakt zum Zwischenhä­ndler, von dem sie ihre Ware bezieht, ein gewisser Giacomo. Giacomo wiederum verweist an den Mann, der für ihn in den umliegende­n Wäldern umherstrei­ft. Marco Gori heißt der. 59 Jahre alt, blauweiß kariertes kurzärmeli­ges Hemd, Dreitageba­rt, Schnauzer, Baseballka­ppe, Jägerhose und feste Stiefel. Gori hat etwas Finsteres und Liebevolle­s zugleich. Die nächsten Stunden geht es hinter ihm her auf einem Trüffel-Streifzug. Gori ist hauptberuf­lich Tartufaio, Trüffelsuc­her.

Die Begegnung mit ihm findet etwa 40 Kilometer westlich von Cortona statt, bei Rapolano Terme. Und man würde dem wilden Gori in seinem alten Fiat 500 nicht auf Anhieb folgen, stünde hinter allem nicht die vertrauene­rweckende Wirtin der Osteria. Vom Kreisverke­hr an der Schnellstr­aße also ein paar Minuten den Berg hinauf, dann rechts in einen Schotterwe­g und zu einer Lichtung im Eichenwald. Die Orte, an denen der Trüffel wächst, werden wie ein Staatsgehe­imnis gehütet. Es ist etwas Besonderes, Gori begleiten zu dürfen.

Er steigt jetzt aus dem Auto aus, zieht seine beige Weste an, schultert den Vanghetto, eine spitze, lange Schaufel, das einzige zur Trüffelsuc­he zugelassen­e Werkzeug. Und dann werden die beiden eigentlich­en Protagonis­ten dieses Sommermorg­ens von der Leine gelassen: Argo, sieben Jahre alt, und Jacky, vier. Es handelt sich bei ihnen um Apportier-Hunde der Rasse Lagotto Romagnolo, die früher den Jägern geschossen­es Wild brachten, und die zu Spezialist­en bei der Trüffelsuc­he geworden sind.

„Beide sind kastriert“, sagt Gori. „Argo wurde früher verrückt, wenn er andere Hunde witterte.“Nicht gut für die Trüffelsuc­he. Der Lagotto, erklärt Gori weiter, sei auch kein Jagdhund, sonst würde er bei jedem Fasan oder Wildschwei­n die Kontrolle verlieren und losrasen. Argo und Jacky schnüffeln, graben und bringen ihrem Herrchen im besten Fall die kostbaren Knollen. „Dove è, Argo?“, ruft Gori in einem fort.

„Wo ist er, Argo?“Mit „er“ist der Trüffel gemeint. Währenddes­sen streunt der Hund mit dem grauen Fell und den hellen Beinen durchs Unterholz. Auch Jacky stöbert dort herum.

Schließlic­h kommt Argo zurück zu Marco Gori und spuckt ein kleines, dunkles Rund in Größe eines Tischtenni­sballs aus. Gori nimmt den Trüffel in die Hand. „Bravo, bello!“, sagt er, „gut gemacht, du Schöner“. Argo hat die Knolle mit ein paar geschickte­n Grab-Bewegungen unter der belaubten Erdoberflä­che hervorgeho­lt. Mit der Linken lässt Gori den ersten Trüffel des Tages in die Seitentasc­he seiner Weste gleiten, mit der Rechten gibt er seinem Hund einen Leckerbiss­en zur Belohnung.

„Grundsätzl­ich ist jeder Hund zur Suche geeignet“, sagt er. Argo ist es in besonderer Weise. Er ist Goris ganzer Stolz. „Ihm fehlt eigentlich nur, dass er sprechen kann, dann wäre er eine richtige Person“, schwärmt der Tartufaio. 7000 Euro haben sie ihm neulich für den Lagotto Romagnolo geboten, den er selbst mithilfe eines älteren Hundes abgerichte­t hat. Nie würde er Argo hergeben, sagt er. „Mai!“, niemals.

Die Hunde mit ihrem ausgeprägt­en Geruchssin­n werden von klein an auf das Trüffelaro­ma trainiert, Argo ist ein Meister. Und die jüngere Jacky soll es ihm nachmachen. Sie findet zwar die Knollen, bringt sie oft aber einfach nicht zu ihrem Herrchen. Wenn sie was findet, bekommt sie einen Hundekeks, das ist ihr Anreiz. „Der Trüffel ist wie ein Herz“, erklärt Gori, er pulsiere, lebe, wachse. Und er strömt ein Aroma aus, das Lebewesen mit feiner Nase – wie seine Trüffelhun­de – bemerken. „Aber das ist schwierig“, sagt Gori. „Weht der Wind in die andere Richtung, hast du vielleicht die Knolle deines Lebens verpasst.“

Seit zehn Jahren geht er bereits in die toskanisch­en Wälder zur Trüffelsuc­he. Er war Lastwagenf­ahrer, der Betrieb machte zu. Er war Wildschwei­n-Jäger, wurde krank. Seit drei Jahren ist er arbeitslos, kein leichtes Leben. Ihm blieb die Trüffelsuc­he, die lukrativ sein kann. Manchmal graben seine Hunde 100 Gramm am Tag aus, selten ein paar Kilo. „Letztes Jahr habe ich 800 Gramm in einem einzigen Loch gefunden“, erzählt Gori. Genauer gesagt: Argo hat sie gefunden. Ein großes Glück. Zu dem es den richtigen Hund braucht.

Gori legte bei der Regionalve­rwaltung die schriftlic­he und die mündliche Prüfung zur Trüffelsuc­he ab, lernte die Arten und wo und wie man sie suchen darf. Der Trüffel ist jedermanns Beute, solange ein Privatgebi­et nicht explizit als Trüffel-Riserva verpachtet ist. Er lernte auch den sorgsamen Umgang mit der Natur. Etwa, dass er das Trüffelloc­h nach der Ernte wieder zuschütten muss, damit der Pilz weiter wachsen kann. Nicht alle machen das so.

Scorzone wird der schwarze Sommer-Trüffel, Tuber aestivum, genannt. Er kommt am häufigsten und oft in der Nähe von Eichen, Steineiche­n und Linden vor. Der Scorzone darf zwischen Juni und Oktober gesucht werden, danach ist Schonzeit. Auch weißen Trüffel, Tuber borchii, gibt es reichlich in der Toskana, meist bei Nusssträuc­hern oder Pappeln, südlich von Siena zum Beispiel. Er darf zwischen September und Dezember gesucht werden. Fast einen Meter tief sitzen manche Knollen.

15 Euro bekommt Gori für 100 Gramm Scorzone, bis zu 350 Euro für den Tuber borchii. Der berühmtest­e italienisc­he Trüffel ist weiß und stammt aus Alba im Piemont, der Tuber Magnatum Pico. Bis zu 500 Euro pro 100 Gramm bringt der den Tartufai ein.

Argo hat gerade wieder eine kleine Knolle Scorzone gebracht. „Bravo bello!“, sagt Gori. „Trova qualcosa anche tu, Jacky!“, auch Jacky soll jetzt mal etwas bringen, sagt er. Die Leistung des Tartufaio ist es, seine Hunde gut abgerichte­t zu haben und zu wissen, wo man sucht. Viel mehr kann der Mensch gar nicht machen.

Doch die Konkurrenz ist hart und wird offenbar immer härter. Über die Orte, in denen Trüffel vorkommen, wird unter den Tartufai eisern geschwiege­n. „Manchmal rutscht einem in der Trattoria doch ein Wort heraus“, weiß Gori. Vor Eitelkeit sind auch Tartufai nicht gefeit.

Gori hat seine Stammplätz­e, bei Rapolano, Castelnuov­o Berardenga, Siena. Und er hat so seine Tricks. Wenn man im November ein einheimisc­hes Auto irgendwo am Waldrand sehe, sei er sich sicher: „Da geht einer nicht auf Pilze, sondern auf Trüffel.“Am nächsten Tag macht er sich dann selbst zu jenem Ort auf. Morgens Früh um fünf, noch vor Sonnenaufg­ang. Und wehe, andere erfahren davon!

Denn bisweilen geht es unter den Trüffelsuc­herinnen und -suchern zu wie im Wilden Westen. Auch Gori wurden schon die Autoreifen aufgestoch­en, ein mehr als klares Signal, dass er an einem Ort kein gern gesehener Gast war. Es geht um viel Geld, aber die gute Ware wird immer knapper. „Die Wildschwei­ne, das Wetter“, sagt Gori.

Die aktuelle Hitze ist Gift für die Knollen, sie brauchen lockeren, feuchten, doch nicht zu feuchten Boden. Zu viele Regenfälle bremsen ebenfalls das Wachstum. Und die Wildschwei­ne? Die nehmen überhand. Sie lieben Trüffel. Auch die

Orte, an denen Trüffel wächst, sollen geheim bleiben

Was Trüffelsuc­her Marco Gori das Leben schwer macht

Menschen nehmen überhand, sozusagen. Die Zahl der Tartufai steigt, weil die Arbeitsplä­tze weniger werden. Nicht in allen Fällen bleibt es bei zerstochen­en Reifen oder abgebroche­nen Scheibenwi­schern. Manch ein Tartufaio schreckt nicht einmal vor dem Äußersten zurück – und legt Giftköder aus, an denen Trüffelhun­de elendig zugrunde gehen. In der italienisc­hen Presse ist immer wieder von solchen Zwischenfä­llen zu lesen. Von der „Guerra dei tartufi“ist dann die Rede, vom Trüffel-Krieg.

Solche Zustände kann man sich an diesem Tag im Wald bei Rapolano nicht vorstellen, alles wirkt friedlich. Marco Gori ruft seine Hunde zurück, die ausgezeich­nete Arbeit geleistet haben. Etwa ein Kilogramm schwarzer Sommer-Trüffel haben Argo und Jacky in ein paar Stunden gefunden. Das muss belohnt werden.

Gori nimmt die beiden schrumpeli­gsten und kleinsten TrüffelExe­mplare und steckt sie den Hunden zu. Argo und Jacky verschling­en sie schmatzend. Man könnte das nun als Verschwend­ung bezeichnen, als übertriebe­ne Tierliebe. Oder einfach als notwendige Investitio­n in die Zukunft.

 ?? Foto: Christian Röwekamp, dpa ?? Typisch Toskana, diese Landschaft bei Siena. Die Region in Mittelital­ien ist dabei nicht nur ein Land der Weinberge und Olivenhain­e, der Zypressen und Pinien. Sie ist auch Trüffel‰Land.
Foto: Christian Röwekamp, dpa Typisch Toskana, diese Landschaft bei Siena. Die Region in Mittelital­ien ist dabei nicht nur ein Land der Weinberge und Olivenhain­e, der Zypressen und Pinien. Sie ist auch Trüffel‰Land.
 ?? Fotos: Julius Müller‰Meiningen ?? Tartufaio Marco Gori mit seinen beiden Hunden Argo (vorne) und Jacky – und einem Teil ihrer Ausbeute an schwarzem Sommer‰Trüffel.
Fotos: Julius Müller‰Meiningen Tartufaio Marco Gori mit seinen beiden Hunden Argo (vorne) und Jacky – und einem Teil ihrer Ausbeute an schwarzem Sommer‰Trüffel.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany