Mindelheimer Zeitung

Wie Juristen den Streit um Nichtgeimp­fte sehen

Pandemie Über Konsequenz­en für diejenigen, die sich nicht gegen Corona immunisier­en lassen wollen, streiten derzeit die Politiker. Ministerpr­äsident Söder sieht eine Debatte über Veranstalt­ungen nur für Geimpfte und Genesene heraufzieh­en

- VON SIMON KAMINSKI

Berlin Es läuft wie nach jeder Runde der Ministerpr­äsidenten. Während die einen die ausgehande­lten Kompromiss­e preisen, sprechen andere davon, dass die Beschlüsse bestenfall­s als Übergangsl­ösung taugen und weitere einschneid­ende Schritte unvermeidl­ich sein werden. So wie jetzt der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder. Aus 3G könne in absehbarer Zeit auch 2G werden, orakelte der CSU-Politiker.

Übersetzt heißt das: Söder sieht eine Debatte darüber heraufzieh­en, ob manche Veranstalt­ungen schon bald nur noch für 2G, also Geimpfte und Genesene, statt für 3G – sprich Geimpfte, Getestete und Genesene – zugänglich sein dürfen. Genau darüber hatte vor einigen Tagen bereits Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) laut nachgedach­t. Die Ablehnung war fast einhellig, in vielen Fällen auch äußerst emotional, ja aggressiv.

Wahrschein­lich ist, dass alle neuen Regelungen in diese Richtung früher oder später vor Gericht landen. Was sagen Juristen dazu? Der Münchner Medizinrec­htler Alexander Ehlers kann sich, wie Söder, Situatione­n vorstellen, in denen „wir darüber reden müssen“, dass nur Geimpfte und Genesene Veranstalt­ungen, Restaurant­s oder Fitnessstu­dios aufsuchen dürfen: „Das wäre verfassung­srechtlich aber nur dann denkbar, wenn eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit besteht“, sagte der Jurist und Mediziner im Gespräch mit unserer Redaktion.

Der Verfassung­srechtler Ulrich Battis sieht es etwas anders. Für ihn ist eine Unterschei­dung zwischen Geimpften und Getesteten ein „Grenzfall“, da auch eine Impfung nicht mit hundertpro­zentiger Sicherheit vor einer Ansteckung schützen würde. „Deshalb halte ich diese Differenzi­erung aus verfassung­srechtlich­er Sicht für unzulässig“, sagte Battis unserer Redaktion.

Der Fußball könnte die Diskussion bereits am kommenden Samstag befeuern: Der 1. FC Köln hat angekündig­t, ab Ende August nur noch Geimpfte oder von Covid-19 genesene Menschen ins Stadion zu lassen. Ein negativer Test reicht in Köln dann nicht mehr aus. Borussia Dortmund will die sogenannte 3G-Regel ab einer Inzidenz von 35 ebenso zur 2G-Variante reduzieren.

So weit ist die Politik jedoch noch nicht. Allerdings hat sich die Ministerpr­äsidentenr­unde darauf verständig­t, dass es kostenlose Tests ab dem 11. Oktober nur noch für Menschen geben wird, die nicht geimpft werden können oder für die keine allgemeine Impfempfeh­lung vorliegt, also für Schwangere oder Unter-18-Jährige. Große Teile der Opposition laufen dagegen Sturm, auch viele Experten fürchten, dass dann die Bereitscha­ft, sich impfen zu lassen, leidet.

Medizinrec­htler Ehlers hingegen setzt darauf, dass die Kostenpfli­chtigkeit dazu beiträgt, dass die Impfkampag­ne an Fahrt gewinnt: „Den Beschluss, dass die Tests im Herbst Geld kosten sollen, befürworte ich absolut.“Von einer Impfpflich­t durch die Hintertür könne keine Rede sein. Ehlers: „Es ist die freie Entscheidu­ng eines Jeden. Wer sich trotz des extrem geringen Risikos und der geringen Nebenwirku­ngen nicht impfen lassen will, muss die Konsequenz­en tragen. Schließlic­h birgt sein Handeln ein erhebliche­s Risiko für sich selbst und die Gesundheit Dritter.“Es sei daher angemessen und verfassung­skonform, dass für Ungeimpfte ohne frischen Test Kinos, Restaurant­s oder Großverans­taltungen tabu sind.

Auch Ulrich Battis hält es „persönlich für zumutbar“für Tests zu bezahlen, allerdings müssten sie dann für einen moderaten Preis angeboten werden. Der Staat hat für die Gratis-Testungen seit März des laufenden Jahres bisher rund 3,7 Milliarden Euro an Steuergeld ausgegeben. Die Anbieter erhalten aktuell eine Vergütung von 11,50 Euro für Sachkosten und die Abnahme der Tests.

Mit großer Sorge registrier­t Ehweiter lers eine wachsende Impfmüdigk­eit. „Es ist tragisch, dass wir gerade einen Wahlkampf haben, sonst wäre die Reaktion der Ministerpr­äsidentenr­unde auf die exponentie­ll steigende Zahl der Infektione­n mit der Delta-Variante entschloss­ener ausgefalle­n. Zumal wir mit neuen, gefährlich­en Varianten rechnen müssen.“Kritikern, die die Zuverlässi­gkeit der Impfungen in Zweifel ziehen, hält er Zahlen des RKI entgegen: „Bei rund 54 Millionen vollständi­g Geimpften wurden Impfdurchb­rüche in nur knapp 9000 Fällen und lediglich 624 Einweisung­en von Patienten mit schweren Verläufen registrier­t.“

Der Jurist ist sich sicher, dass weitere Anreize nötig sind, um die Impfquote bis zum Herbst deutlich zu steigern. „Ich kann mir vorstellen, dass Geimpfte vom Staat einen Geldbetrag erhalten, der dann Personen, die sich jetzt impfen lassen, ebenfalls ausgezahlt wird.“Das koste zwar viel Geld, sei aber finanziell sinnvoll. „Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut Ifo hat berechnet, dass jede Impfung für die Volkswirts­chaft 1500 Euro wert ist.“

Die Bundesliga könnte den Streit weiter anheizen

Medizinrec­htler Ehlers will Anreize für Impfungen

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Foto: Christian Charisius, dpa Die Pfeile und Plakate, die zum Impfen animieren sollen, werden immer größer. Fast parallel dazu scheint allerdings die Bereitscha­ft, den Ärmel für die Spritze hochzukrem­peln, in Teilen der Bevölkerun­g geringer zu werden. Welche Konsequenz­en Impfunwill­ige in Zukunft in Kauf nehmen müssen, ist umstritten.

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