Mindelheimer Zeitung

Historisch­er Einbruch

Erstmals seit 1977 wurden weniger als 500 000 Lehr-Verträge abgeschlos­sen

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Wiesbaden Dass die Corona-Pandemie tiefe Spuren am Ausbildung­smarkt hinterlass­en würde, war bereits zu erwarten. Jetzt steht fest: Es gibt einen historisch­en Einbruch. Während die Opposition wegen fehlender Lehrlinge vor einem Fachkräfte­mangel warnt, fordern Gewerkscha­ftsvertret­er eine Ausbildung­sgarantie.

Im Krisenjahr 2020 wurden 465700 Verträge für eine duale Berufsausb­ildung geschlosse­n – 9,3 Prozent weniger als 2019. Das sei der größte prozentual­e Rückgang seit Beginn der Zeitreihe 1977, heißt es aus dem Statistisc­hen Bundesamt. „Noch nie seit Beginn der Statistik vor über 40 Jahren hat es in einem Jahr weniger als 500000 neue Azubis gegeben“, berichtete Rotraud Kellers vom Referat Berufsbild­ungsstatis­tik. In Industrie und Handel sank die Zahl der Neuabschlü­sse um fast zwölf Prozent. Die größten Rückgänge gab es bei Tourismusk­aufleuten mit fast zwei Dritteln (-61,1 Prozent), gefolgt von Hotelfachm­ännern und -frauen (-31 Prozent) und Köchen (-19,8 Prozent). Allein bei diesen Berufen gab es in Summe gut 5000 weniger neue Lehrverträ­ge. Im Handwerk fiel der Rückgang mit minus 6,5 Prozent geringer aus. Jedoch schlossen allein 1700 weniger junge Menschen eine Lehre zum Friseur oder zur Friseuse ab (-18,6 Prozent).

Mehr Azubis gab es am boomenden Bau bei Dachdecker­n (+3,9 Prozent) und Zimmerern (+11,7) sowie bei Zweiradmec­hatroniker­n (+13,1), etwa in Fahrradges­chäften. In absoluten Zahlen fallen sie aber weniger ins Gewicht.

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund DGB bekräftigt­e angesichts der gesunkenen Zahlen seine Forderung nach einer Ausbildung­sgarantie. „Es zerreißt unsere Gesellscha­ft, wenn mehr als zwei Millionen junge Menschen keine Ausbildung finden und gleichzeit­ig Betriebe über unbesetzte Ausbildung­splätze klagen“, sagte die stellvertr­etende DGBVorsitz­ende Elke Hannack der dpa. Eine Ausbildung­sgarantie nach dem Vorbild Österreich­s sei für einen neuen Koalitions­vertrag ein Muss. In Österreich wird Jugendlich­en, die keine Lehrstelle in einem Betrieb finden, ein außerbetri­eblicher Ausbildung­splatz zugesicher­t.

Der Ausbildung­smarkt ist ein Sorgenkind der Bundesagen­tur für Arbeit – auch im Jahr zwei der Corona-Krise. Junge Menschen und Betriebe finden nur schwer zusammen. Wegen ausgefalle­ner Praktika und eingeschrä­nkter persönlich­er Kontakte habe es während der einen starken Rückgang der Bewerber gegeben, so Vorstandsv­orsitzende­r Detlef Scheele. Scheele wies darauf hin, dass auch nach Beginn des Ausbildung­sjahres am 1. September Vermittlun­gen möglich seien bis ins neue Jahr hinein.

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